Gute Vorsätze.

Ein turbulentes, ja krasses Jahr 2016 ist zu Ende und wurde allenthalben resümiert. Ein Blick zurück, Bilder ziehen vorbei. Schöne wie grausame. Vom Jubel Fußball-WM bis hin zu verstümmelten Kindern in Syrien. So manchmal ließ es mich am Glauben an das Gute im Menschen zweifeln. 

Doch um das Weltgeschehen des vergangenen Jahres soll es hier gar nicht gehen. Sondern um mein ganz persönliches Jahr 2016. Wenn ich es an meinem inneren Auge vorbeiziehen lasse, so sehe ich ebenfalls schöne wie traurige Momente. Dinge, die ich bereue – und Dinge, auf die ich stolz bin:

Wie zum Beispiel, den Mut gefunden zu haben, meinen eigenen Blog zu erschaffen. Oder all die Fotoalben, welche von meinem neu entdeckten Hobby – der analogen Fotografie – zeugen.

Und wenn ich ganz tief in mich gehe, so möchte ich einen kleinen Beitrag dazu leisten, mir persönlich das neue Jahr noch ein wenig lebenswerter werden zu lassen.

“Gute Vorsätze fassen”, nennt man das wohl gemeinhin. Und die werden sich in diesen Tagen bekanntlich schier inflationär gemacht.

 

Da wird im kommenden Jahr mit dem Rauchen aufgehört, es wird endlich mehr Sport getrieben, sich gesünder ernährt. Auf die Finanzen wird endlich ein wenig mehr geachtet, ebenso wie auf die Verwandtschaft. Im Job soll was passieren, und das Traumziel endlich bereist werden.

Und so eifrig ein Jeder die ewig gleichen Vorsätze für das neue Jahr fasst, so wissen doch insgeheim die meisten von uns, dass bereits im Februar von ihnen nicht mehr viel übrig ist. Außer vielleicht die Mitgliedschaft im Fitness-Studio, die nur jährlich kündbar ist. Gute Vorsätze, die sind ungefähr so lange haltbar wie ein geöffneter Joghurt auf dem Esstisch.

Und trotzdem, auch ich möchte welche fassen. Weil ich um meine Laster, meine Schwächen weiß. Die mir das Leben nur allzu oft komplizierter werden lassen, als es doch eigentlich sein müsste.

 

Was sind sie also, meine “guten Vorsätze”?

Ich will mir keine Ziele setzen, die ich ohnehin nicht erreichen kann und deren Versuch mich gleich überfordern würde. Ich versuche also, realistisch zu denken:

Was kann ich tatsächlich verändern, ohne dass ich vorschnell frustriere und zurück in altbekannte Muster falle?

 

Mehr Dinge zum ersten Mal tun. Immer wieder.

Hand aufs Herz: Wie oft machen wir Dinge zum ersten Mal? Wie oft bringen wir den Mut dazu auf, uns Neuem zu stellen? Und wie oft bleiben wir alle lieber in unserer vertrauten Komfort-Zone und folgen munter unseren ausgetreten Pfaden?

Scheiße, was hatte ich für eine Angst vor meinem Roadtrip durch die USA im letzten Herbst. Und auch, wenn ich nicht wusste, was mich erwartete:

Es waren die wohl abenteuerlichsten, spannendsten und eindrucksvollsten Wochen des Jahres. Und das geht doch auch im Kleinen:

Warum nicht mal ins Theater? Alleine eine kleine Reise unternehmen? Ein Buch schreiben, Bungee springen?

Ich möchte öfters den Mut aufbringen, vertrautes Terrain zu verlassen und neues zu entdecken. Oder besser: Mich neu zu entdecken. Immer und immer wieder.

 

Weniger rauchen

Klingt jetzt wenig einfallsreich. Und ich gebe zu: Isses auch nicht.
Rauchen, das sieht zwar ungemein lässig aus, ist zwar aber auch ungemein dämlich: Einen Haufen Kohle dafür latzen, die eigene Gesundheit zu ruinieren. Eine derartige Unvernunft empfinde ich zwar – insbesondere bei Anderen – als durchaus sympathische Charaktereigenschaft, ich selbst ärgere mich aber zunehmend über meine Sucht.

Ihr wollt gar nicht wissen, wie viel Panik ich vor meinem USA-Flug geschoben habe. 11 Stunden lang nicht rauchen – oh mein Gott, die Welt geht unter!

Ich weiß, dass ich es nicht fertig brächte, von einem Tag auf den anderen aufzuhören. Aber ich will weniger rauchen. Und ich weiß, das kann ich packen.

Eine E-Zigarette, die ich bereits mein Eigen nennen darf und die mir Freude bereitet, soll mich dabei unterstützen. Drückt mir die Daumen, Freunde!

 

Mein Online- und Offline-Leben in Einklang bringen

Das ist das wohl meine größte Baustelle.
Wenn ich mein Dasein überdenke, so muss ich gestehen, dass ich nur allzu oft nicht einsehen mag, dass auch mein Tag nur 24 Stunden hat. Dass auch ich mich ständig und viel zu oft mit anderen vergleiche, eine stetige Angst davor verspüre, etwas zu verpassen.

Dass ich tausend Bekanntschaften pflege, darüber hinaus aber meine wahren Freunde oftmals nicht ausreichend wertschätze und den Kontakt zu ihnen pflege.

Zu viel Zeit in virtuellen Welten vertrödele, zu viele Nachrichten konsumiere, immer auf der Suche nach mehr Input bin – und mich dadurch viel zu oft davon abhalten lasse, selbst aktiv zu werden. Und einfach das zu tun, was ich will. Wenn ich denn mal weiß, was ich eigentlich will – oftmals ist es für mich nämlich gar nicht so einfach für mich, eigene Bedürfnisse zu erkennen. Der Fluch der persönlichen Freiheit.

 

Ein Anfang ist gemacht – ein “Poetry Slam”

Ich bin gespannt darauf, inwieweit es mir gelingen mag, meine Vorsätze für das neue Jahr umzusetzen.

Doch ein kleiner Anfang, der ist mir bereits jetzt gelungen: 

Mein lieber Freund Michael hat unlängst eine Auswahl seiner Poesie beim Poetry Slam präsentiert. Ich bewundere ihn sehr dafür – warum habe ich eigentlich so etwas noch nie gemacht? Fehlt mir das Könne, die Kreativität, der Mut?

Ich wollte mich also zunächst daran versuchen, wenn auch zunächst im Kleinen.
Also habe ich einen Text verfasst. Ein Gedicht zu all den Problemen, die das ständige Online-Sein, die ständige Verfügbarkeit und Präsenz von allen Informationen und Nachrichten dieser Welt, mit sich bringt. Von all den Möglichkeiten, die danach schreien, genutzt zu werden. Und den eigenen Willen nur allzu oft begraben.

“Der digitale Overkill”, so habe ich mein Werk genannt. 

Und hier könnt ihr es bewundern – denn ich habe ein kleines Video gedreht.
Zum ersten Mal. An einem Nachmittag im Dezember in der so schnuckeligen Stadt Marburg. In einer einzigartigen Atmosphäre, welches mir das wunderbare Antiquariat Kretzer dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat.

Womit wir bei meinem ersten Vorsatz wären…

 

Und ihr so?

Das sind sie also, meine guten Vorsätze für das neue Jahr. Und ein erster Anfang deren Umsetzung. Ich hoffe sehr, die Kraft für viele weiteren Anfänge im Jahr zu finden. Und genau die wünsche ich auch euch!

Verratet mir doch: 

Was sind eure “guten Vorsätze”? Woran habt ihr zu knabbern, was sind eure größten Schwächen, unter denen ihr im vergangenen Jahr gelitten habt? Was ist euer größter Wunsch, euer größter Traum für das Jahr 2017?

Ich bin gespannt auf euer Feedback.

Und wünsche euch schon jetzt ein (be-)rauschendes Silvesterfest, den sprichwörtlichen “guten Rutsch” – und alles Liebe für ein rundum zufriedenes, gesundes Jahr 2017.

Ein neues Jahr, ein neues Glück – schaut nach vorne, nie zurück!

Nach Hause kommen.

Weihnachten, das ist keine Geburtstagsfeier.
Jedenfalls habe ich die heutige Reise nicht aufgenommen, um die Niederkunft eines Romanhelden zu feiern.
Nein, Weihnachten, das ist für mich ein Gefühl.

 

 

Das wird mir einmal mehr klar, als ich die Schwelle überschreite.
Die Schwelle der Eingangstür meines Elternhauses meines Heimatdorfes, irgendwo in der hessischen Prärie.

Die Schwelle, über die ich bereits als Säugling getragen wurde.
Ich umarme meine Liebsten.

Und als ich so am Küchenfenster stehe, den Blick schleifen lasse hinüber zur Kirche – diesen Ausblick, der mich meine gesamte Kindheit und Jugend über begleitete – und meine Mutter nebenan am Herd rotiert, da fühle ich es:

Weihnachten.

Das Gefühl, nur ein einziges Mal im Jahr mit den den Menschen zusammen zu sein, die mir am meisten bedeuten. Die mich einst in die Welt gesetzt haben, die mich kennen wie niemand sonst – und diejenigen, die mich schon mein Leben lang begleiten. Familie eben.

 

Familie, das bedeutet “zu Hause sein”:

Sich geborgen fühlen, keine Rolle spielen zu müssen. Ein einziges Mal im Jahr die Nachrichten die Nachrichten sein zu lassen. Unsere grausame Welt, Aleppo, 12 Tote auf einem Berliner Weihnachtsmarkt, Hass, Krisen und Gewalt ganz kurz zu vergessen.

 

 

Und sich auf das zu besinnen, was wichtig ist im Leben:

Zu wissen, wo man herkommt. Vielleicht nicht mehr hingehört, aber jederzeit zurückkehren kann, um durchzuatmen.

Und wenn es nur für zwei Tage ist. Bevor wir uns alle wieder bewähren müssen in einem Leben, das viel zu oft mit “leben” nicht mehr viel gemein hat .

Es duftet nicht nur mehr nach meiner Kindheit, es duftet nach Tannennadeln, Mamas Essen und Papas Parfum. Zeit, den Deckel meines Laptops herunterzuklappen.

 

Zu genießen, worauf es doch eigentlich nur ankommt:

Die Liebe zur Familie, die Liebe zum Nächsten.
Ein friedvolles Miteinander in einer manchmal verdammt rauen Welt. 

Und dabei all Diejenigen nicht zu vergessen, denen das Glück eines Zuhauses und einer Familie nicht vergönnt ist. Die sich – gerade in diesen Tagen – in ihrer Einsamkeit nach Liebe sehnen.

 

Wie schade, dass uns dies nur ein einziges Mal im Jahr gelingen mag.
Und genau dieses einzige Mal: Das ist für mich Weihnachten.

 

Laufen über Stock und Grabstein.

In meinem jüngsten “Lesestoff”-Artikel, in dem ich euch die beiden Bücher “Club der roten Bänder” sowie “Club der blauen Welt” vorstelle, hatte ich es bereits erwähnt: 

Die Lektüre der beiden Bücher hat etwas in mir bewegt. Etwas ausgelöst, mir ein Bewusstsein geschaffen. Mich an etwas doch eigentlich Selbstverständliches zurück erinnert:

Das eigene Leben ist endlich.

Eine simple Tatsache, die ich, vielleicht wir alle, nur allzu gern verdrängen. Ist das nicht eigentlich schade? Wie soll man auch das Leben schätzen, feiern und genießen, ohne die Existenz des Todes als Gegengewicht anzuerkennen?

fullsizerender

 

Wir errichten Mauern um den Tod

 

Und während mich diese Gedanken um das Leben und den Tod als Nachhall der Lektüre umtreiben, während ich feststelle, wie achtlos auch ich bisher mit dem Tod umging, drängen sich mir Fragen auf.

Ich lebe im Nordend, fast täglich passiere ich die hohen Mauern des hier befindlichen Frankfurter Hauptfriedhofs. Einen Gedanken daran, wie es dahinter ausschauen könnte – den hatte ich bislang allerdings noch nie verschwendet.

Warum eigentlich? Warum verschließen wir die Augen so sehr vor dem Tode, dass wir sogar seine Heimat mit hohen Mauern umschließen? Als wäre es äußerst unangenehm, nur ein notwendiges Übel, ihm Platz im Raum unserer Stadt zu gewähren zu müssen?

Wieso weiß sogar ein sonst so an unserer Stadt interessierter, neugieriger junger Mensch wie ich nicht, wie es auf dem riesigen Areal hinter den hohen Mauern aussieht? Nein, eine Antwort darauf finde ich zunächst nicht.

Doch einen Blick riskieren hinter die hohen Mauern, das möchte ich. Möchte auch dem Tod Platz in meinem Bewusstsein geben, möchte ihm auch während ich lebe begegnen.

 

hauptfriedhof-2

 

Joggen statt Trauern

 

Ist es nicht irgendwie bescheuert, dass so viele von uns Friedhöfe nur dann aufsuchen, wenn ein lieber Mensch verstorben ist? Wir sind doch allesamt froh, diesen Ort nach der Bestattung möglichst schnell wieder verlassen zu können – und hoffen anschließend, ihn so bald nicht wieder aufsuchen zu müssen.

Warum konfrontieren wir uns nur dann mit diesem Ort, wenn wir einen Mitmenschen verloren haben? Das erscheint mir nun etwas unverständlich. Man sollte den Tod doch zumindest hin und wieder mal kurz grüßen, um ihn nicht zu vergessen. Und das möchte ich nun tun.

“Hallo auch, Tod – ich weiß, dass du auch mich irgendwann ereilst. Aber gerade deswegen möchte ich mein Leben hier genießen, lass’ dir gern noch ein wenig Zeit. ‘nen schönen Sonntag noch!”

Dass ich ausgerechnet heute davon lese, dass die Zahl der Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland stark gestiegen ist, schockiert mich und bestärkt mein Bedürfnis:

Ich beschließe, dem Tod am heutigen Sonntag Besuch in Form meiner morgendlichen Jogging-Runde abzustatten.

hauptfriedhof-1

 

Die Welt hinter den Mauern

 

Klar, mir ist durchaus bewusst, dass ich mir für meine sportlichen Aktivitäten einen – nun, ja – etwas “unkonventionellen” Ort ausgesucht habe. Auch bin ich ein wenig umsorgt, wie die Besucher des Friedhofes wohl auf meinen ungewöhnlichen Besuch reagieren werden. Platze ich gar in eine Trauergesellschaft hinein? Ist das, was ich hier zu tun gedenke, nicht genau das, was man in aller Regel als “pietätslos” bezeichnet?

Egal, ich mache das jetzt. Und bin erleichtert, als ich schon kurz nach dem Passieren des großen Eingangsportals der Grabstätte auf die ersten Menschen treffe, die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen besuchen und pflegen. Oder – ja, tatsächlich! – einfach spazieren gehen. Sie allesamt erwidern mein freundliches Nicken, manche wünschen gar einen schönen Sonntag. Puuh! 

fullsizerender2

 

Die Welt indes, die sich hinter den Mauern verbirgt:

Sie erscheint mir fremd, obwohl sie dem Ort, an dem ich lebe, doch so nahe ist. Ich trabe über die endlosen und verschlungen Wege des Friedhofs. Lasse meinen Blick über Grabstätten und die vielen Bäume streifen. Ja, es fühlt sich eigentümlich an, hier zu sein. Das Laufen als Ausdruck meines Lebens inmitten der Erinnerungen an jene, denen dieses Glück nicht mehr gewährt ist.

Diese Erinnerungen, so stelle ich fest, sind teils noch frisch. Noch hell ist die Erde auf den Gräbern, noch ganz neu die darauf abgelegten Kränze. Und dann gibt es jene verwitterte Grabsteine, die aus einer gänzlich anderen Zeit zu stammen scheinen. Teils so verfallen sind, dass sie bald einzubrechen drohen.

Ich fühle mich, als liefe ich durch einen wunderschönen Park. 
Nur, dass unter den Zweigen, die unter meinen Schritten knacken, Gebeine vergraben sind. Ich schaudere.

 

fullsizerender1

 

Würde es die Begrabenen wohl stören, wüssten sie, dass ich hier über sie hinweg trabe?

All meine mir vermittelten Wertvorstellungen sagen mir, dass mein Tun zutiefst pietätlos sei.. Aber warum sollten sich die Toten daran stören, wenn die Erinnerung an sie einen selbstverständlichen Platz im alltäglichen Leben der Stadt findet?

Nein, ich glaube nicht. Sollte es sie nicht viel mehr stören, dass wir Mauern um die Erinnerung an sie errichten?

fullsizerender2

 

Darf ich mich hier wohl fühlen?

 

Weiterlaufen, tief einatmen. Die kalte Luft zieht kalt in meine Lunge.
Ich ärgere mich darüber, den Friedhof nie zuvor betreten zu haben.
Hinter jeder Kreuzung, an jedem Wegesrand werde ich überrascht von all den schönen Skulpturen, den ausgefallenen wie auch den schlichten Grabsteinen.

So unvorstellbar dieses Reich manchem sein mag, der von außen auf die Mauern blickt – so unvorstellbar erscheint mir gerade jene Welt des Alltags jenseits dieser Mauern. In der sich der Verkehr staut, Menschen zur U-Bahn hetzen, die gefüllten Einkaufstüten in der Hand. Big City Life as usual. 

Ich will erst später wieder Teil davon sein, ich bin gerade gerne hier. Bin fasziniert von den erhabenen Gedenkstätten an die Gefallenen des Krieges, von der Erkenntnis, dass ich mich gerade allen Ernstes auf einem Friedhof befinde. Und wohl fühle.

Gerade, als ich das Tempo nochmals erhöhe, begegne ich dann doch noch einer Trauergesellschaft. Blicke in traurige Gesichter, sehe Wangen voll Tränen.

Wäre ich den schwarz Gekleideten nicht begegnet, wäre mir wohl kaum so bewusst geworden, dass ich gerade glücklicherweise niemanden verloren habe. Dass ich noch Leben bin – und laufen kann, statt beigesetzt zu werden. Hätte ich diesen Umstand so zu schätzen gewusst, wäre ich nicht in Form der Trauergemeinde mit dem Tod konfrontiert worden? Wohl kaum.

Ich will nicht sagen, dass ich den Tod nicht fürchte. Ich will nicht sagen, dass es mir gelingen mag, den Tod auf “Augenhöhe zu betrachten”, so wie der Autor der beiden Bücher tut. Dies mag ihm angesichts seines Krebsleidens vermutlich besser gelingen als mir, so oft wie der sprichwörtliche Sensenmann bereits an seiner Türe klopfte. 

Aber:

Ich finde es schade, dass der Tod meist ausgeschlossen bleibt.
Keinen Raum findet in unserem Leben. Doch daran, dass er auch mich ereilen wird, dass ich die Zeit davor bestmöglich nutzen will:

Ja, daran mag ich mich fortan täglich erinnern.
Was Lektüre doch bewirken kann.

{"total_effects_actions":0,"total_draw_time":0,"layers_used":0,"effects_tried":0,"total_draw_actions":0,"total_editor_actions":{"border":0,"frame":0,"mask":0,"lensflare":0,"clipart":0,"square_fit":0,"text":0,"shape_mask":0,"callout":0},"effects_applied":0,"uid":"A6FF0E37-EB0F-46B3-BE97-1F400670E374_1480261030456","width":2985,"photos_added":0,"total_effects_time":0,"tools_used":{"tilt_shift":1,"resize":0,"adjust":0,"curves":0,"motion":0,"perspective":0,"clone":0,"crop":0,"flip_rotate":0,"selection":0,"enhance":0,"free_crop":0,"shape_crop":0,"stretch":0},"source":"editor","origin":"gallery","height":1801,"subsource":"done_button","total_editor_time":3,"brushes_used":0}

Ich erspähe ein Schild. “Ein Hauch von Leben” steht darauf. Und genau der Richtung, in die es zeigt,  beschließe ich zu folgen. Wieder hinaus in den Großstadttrubel, all die Hektik, das Lachen und das Weinen.

Eben das, was man “das Leben” nennt.

Neulich im Yok-Yok.

Neulich hatte ich wieder zwei Stunden am Frankfurter Hauptbahnhof, die es irgendwie totzuschlagen galt. Da Drogeneinkauf in der B-Ebene für mich keine ädaquate Lösung darstellte und sowohl Shopping als auch Essen bloß aus Langeweile ebenfalls keine Alternative waren, hab’ ich einfach mal beschlossen, im Yok-Yok Platz zu nehmen. Ausgerüstet mit frisch erworbener, eisgekühlter Cola und Frankfurter Rundschau.

Zwischen Kühlschränken und der Sammlung von allerlei Bierflaschen Platz genommen, studierte ich die Zeitung und hob ab und zu meinen Blick, um meine Umgebung zu studieren.

Außer mir im Kult-Kiosk anwesend: Zwei gut gekleidete Herren “mittleren Alters”. 

Man griff sich ein neues Bier aus dem Kühlschrank, unterhielt sich offensichtlich über das politische Tagesgeschehen. Flüchtlingskrise, CSU-Parteitag, Atomausstieg – das Übliche eben.

Das “Yok Yok – Phänomen”

 

Nicht lange hat’s gedauert, und ich wurde von den beiden Herren angesprochen. Ob ich denn bei der Bahn arbeite – huch, hat mich meine Uniform wohl wieder einmal verraten? 

Ich bejahe, prompt entflammt eine hitzige Diskussion über Schuld und Unschuld des Fahrdienstleiters von Bad Aibling, der just an diesem Tage zu einer Freiheitsstrafe veruteilt wurde.

Eine DIskussion über Moral und Reue,über Strafmaß und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der verhängten Freiheitsstrafe. Über der Schwierigkeit eines Urteils, über die deutsche Justiz.

Krass, hatte ich nicht eben noch befürchtet, innerhalb der nächsten beiden Stunden zu sterben vor Langeweile? 

War wohl nix mit dem vorzeitigen Ableben – es wird interessant.
Die beiden Herren, so erzählen sie mir, seien alte Frankfurter Freunde.

Vor langer Zeit gemeinsam aus dem “Omen” gestolpert, ist der eine in Frankfurt verblieben – sein Freund nach Vancouver in Kanada ausgewandert und nun einmal wieder zu Besuch am Main.

Wir tauschen Anekdoten und Visitenkarten aus, ja verdammt, sind denn die zwei Stunden schon wieder um?

Als meine Zeit eng wird und ich mich verabschieden muss, bedanke ich mich bei den Beiden für das so interessante Gespräch, die gute Zeit, die Bekanntschaft.

“Hat uns doch genauso gefreut!”, entgegnen sie mir – das “Yok-Yok” sei schließlich ein Schmelztigel, man gehe hier schließlich einfach mal auf ein Bier hin und kann sich sicher sein, immer interessante Gespräche zu führen.

All das in einem Kiosk im Frankfurter Bahnhofsviertel. Mit dem innenarchitektonischen Charmes eines feuchten Kellerraumes voll Sperrmüll.

Doch Recht haben sie, die beiden – ich selbste bezeichne dies als “Yok-Yok – Phänomen”.

Ein weiteres Phänomen, für das sich unserer Stadt zu lieben lohnt.

Heißer Apfelwein

In meinem Beitrag “Alle Jahre wieder” hatte ich vor wenigen Wochen einen Streifzug sich über den damals noch im Aufbau befindlichen Frankfurter Weihnachtsmarkt gewagt. 

Dabei – es war Ende November – musste ich feststellen, dass es mir in diesem Jahr ganz besonders widerstrebt, Weihnachten zu feiern. Und meine Gedanken zur Besinnlichkeit auf kalendarischen Befehl mit euch geteilt.

Dennoch hatte ich angekündigt, dass auch ich bereits bald Teil des Weihnachtsmarktes sein werde. Unter Lichterketten stehend, mit dampfendem Heißgetränk und Tüten voll Weihnachtseinkäufen in den Händen.

Und, was soll ich sagen: Es ist soweit.

Obwohl gerade es gerade einmal Anfang Dezember ist, noch drei Wochen vergehen werden, bis sich an Heiligabend wieder Familien unterm Tannenbaum zusammenrotten und eifrig Geschenke austauschen. Obwohl die neue Woche gerade erst begonnen, der heutige Abend noch ganz jung ist:

Die Menschen strömen an die Weihnachtsbuden, als würde es morgen verboten. Die Stadt scheint zu platzen im Glühweinrausch. 

Und dennoch wirkt kaum einer der dick in Mantel und Schal eingepackten Menschen so, als wäre er freiwillig hier. Lausche ich hin und wieder den Gesprächen rechts und links, nehme ich Unmut allenthalben wahr.

Da wird sich über die vielen Termine in der Vorweihnachtszeit beschwert. Die Firmenfeier hier, die vom Sportverein da – die Verwandtschaft will besucht werden, nebenbei müssen noch Karten geschrieben werden. Von den Geschenken mal ganz zu schweigen, der ganze Einkaufsstress, ganze Nachmittage in der Warteschlange vor der Kasse verbracht. Und finanziell, ja, da sei man ebenfalls bald ruiniert. Und nervlich sowieso.

Ich bin ja schließlich auch hier!

Aber, ich will hier gar nicht lästern, ich bin ja schließlich auch hier – und warte fröstelnd auf meinen ersten heißen Apfelwein. So ein Weihnachtsmarkt in der Innenstadt ist ja schon irgendwo irre praktisch, um nach Feierabend die Freunde zu treffen.

Und, sind wir ganz ehrlich: Auch irgendwo ein schöner Anblick.

Klar, Lichterketten, Rentiere und Tannenbäume vor der Kulisse des Römerbergs mögen ledigliche technische Installationen, vielleicht sogar Kitsch sein. Aber sehnen wir uns nicht alle nach einer solchen heilen Welt?

Klar – daran, was ansonsten so in dieser Welt geschieht – darüber sollte man nicht denken in dem Moment, in dem man mit kindlicher Begeisterung auf das hell erleuchtete Karussell, den rauchenden Schornstein des “Schwarzwaldhauses” blickt.

Ich nippe an meinem heißen Apfelwein. Wärme durchströmt mich, lässt mich die Eiseskälte kurz vergessen.

 

Um das “Vergessen”, ja, darum geht es wohl den meisten hier. 

Zu vergessen, in einer Welt zu leben, in der Menschen einander die furchtbarsten Sachen antun. Zu vergessen, dass das eigene Dasein oftmals geprägt ist von Stress, Streit, Sorgen und Ängsten. Zu vergessen, dass das menschliche Miteinander nicht immer einfach ist.

Und – für einen kurzen Moment, hier an diesem Ort – mag das nach einiger Verweildauer irgendwie gelingen. Die Menschen hier eint die Sehnsucht nach der besseren Welt, einem friedlichen Miteinander. Der Nächstenliebe.

 

Drei Glühwein später

Und nach dem dritten Glühwein mag sich dieses Gefühl dann tatsächlich einstellen. Das Gefühl, nicht nur seine Freunde gern zu haben – sondern auch all die Besucher ringsum ins Herz schließen zu wollen. Die prallen Tüten in der Hand, die Sorgen im Kopf, die Nachrichten des Tages einen Moment lang zu vergessen – und das ewig drehende Karussell anzustarren, immer noch leicht frierend. Das Gefühl der Vorfreude, seine Liebsten an Heiligabend wieder zu sehen. Oder auch alte Freunde aus der Schulzeit. Das Gefühl, dass diese Welt zumindest eine kurze Zeit lang eine gute ist.

foto-01-12-16-20-46-49

 

Und hey, ist nicht genau das Weihnachten? 

Nein, ich halte nichts von Kirchen, Religionen im Allgemeinen, dem Christentum. So gar nicht.

Diese Sehnsucht nach der “heilen Welt”, nach Nächstenliebe, nach Harmonie:
Die steckt auch in mir. Wie wohl auch in jedem hier.

 

Und ist die Weihnachtszeit nicht genau das?

Eine – wenn auch ursprünglich kirchlich definierte – Zeit, um die in uns allen steckende Sehnsucht nach Liebe und Frieden zu leben? Und leider die einzige, in der es uns gelingt, an eine bessere Welt zu glauben und jenes behagliche Gefühl zu verspüren, dass irgendwie doch alles gut wird?

Ich glaube, leider ja. Darauf noch ‘nen heißen Äppler. 

328 Stufen.

skyline

 

Der Aufstieg.
328 Stufen.
Roter Backstein, Gitterfenster.
66 Meter. Verschnaufen, innehalten.
Die Aussicht.
Verschlägt den Atem, kurz die Sprache.
Den Blick streifen lassen über die Dächer der Stadt.
Brücken, Schiffe, Main. Skyline, Römerberg, der Weihnachtsbaum.
Baustellen, Nieselregen, ein Karussell.
Frankfurt von oben, eine Heimat, ein Gefühl.
Alltag, Freude, Sorgen. Alles ganz weit unten.
Der Abstieg.
Drehwurm, aufeinander achten in der Enge.
Stimmgemurmel, Englisch, Französisch. Fernöstlich gar.
Wieder auf dem Pflaster der Stadt, ein Blick zurück nach oben auf den Dom.
Welch schöner Perspektivwechsel.
Der Aufzug.
Leider nicht vorhanden.

 


sw

 

Habt auch ihr Lust bekommen, einmal die Stufen des Frankfurter Doms zu erklimmen?
Der Aufstieg kostet 3 Euro (für Studenten 1,50) und ist ein wenig mühsam – doch der anschließende Ausblick auf die Stadt entschädigt alle Atemnot!

 

Ach ja: Ein paar Bilder hab’ ich natürlich auch gemacht:

 

img_1466

img_1465

img_1464

img_1474

Bin ich eigentlich merkwürdig? Warum ich am liebsten allein ins Café gehe.

Manchmal frage ich mich ja, inwieweit ich eigentlich noch ganz normal bin.
Wobei: Normal – was bedeutet das eigentlich?

Wer bestimmt, was “normal” ist, und:
Ja, wer ist das eigentlich schon?

10428271_982567428475079_6482421758088615074_o

Die Idee zu diesem Artikel kam mir, als ich mit meinem guten Freund Michael im Café verabredet war. Ich war mal wieder ein wenig spät dran, und als ich Michael dann – mit schlechtem Gewissen ob meiner Unpünktlichkeit – erspähte, sah ich ihn seelenruhig bereits am Tisch sitzen. Vertieft in sein Buch.

Und wie ich ihn da so sitzen sehe, denke ich mir, dass auch ich genau dieses Bild oft abgebe. Alleine im Café lümmeln, die Tageszeitung vor mir ausgebreitet.
Für mich kann ein Tag kaum wunderbarer beginnen.

Oftmals werde ich aber  immer wieder ungläubig bis verstört angeschaut, wenn ich erzähle, dass ich den ganzen Nachmittag im Café verbracht habe. Oder auch den (Feier-)Abend an der Bar. Und zwar allein.


“Was sollen da die Leute denken?”

 

“Du gehst alleine ins Café?!” – oftmals ernte ich für mein größtes Hobby nur Unverständnis. Ich wiederum vermag nicht zu begreifen, weshalb so viele Mitmenschen stets darauf bestehen, sich am Eingang des verabredeten Cafés, , dem Eingang der verabredeten Kneipe zu treffen.

Einst habe ich einen guten Freund, mit dem ich ich mich in einer Sachsenhäuser Schankwirtschaft verabredet hatte, fröstelnd vor der Türe der Kneipe vorgefunden. Ein wenig verwundert hatte ich den frierenden Kerl gefragt, warum er bei dieser Schweinekälte denn nicht bereits in die warme Stube hineingegangen sei.

“Ich geh’ da doch nicht alleine rein, was sollen denn da die Leute denken?” – so seine Antwort.

Und meine Kinnlade so: Runter. 

Tja, was denken “die Leute” eigentlich über Menschen wie mich, denen im Kaffeehaus Tageszeitung und Buch als Begleitung vollkommen ausreichen?

Die abends mit Notizblock und einem frisch gezapften Bier ihren Feierabend verbringen? Denken “die Leute” etwa, solche Menschen seien bemitleidenswerte Kreaturen ohne Freunde?

Soziopathen, komische Käuze, Eigenbrötler?

Nein, sowas möchte ich nicht auf mir sitzen lassen. Möchte mich verteidigen, möchte klarstellen und erläutern. Klar, könnte mir auch egal sein, was “die Leute” so denken. Ist’s mir dann aber doch nicht ganz. 


Weil, liebe “ich geh’ doch nicht alleine Kaffee trinken!” – Fraktion:

Alleine im Café sitzen ist großartig! Auf mein tägliches Ritual könnte ich niemals verzichten, schöner kann ich einen Tag nicht beginnen und nicht enden lassen.

Und warum das so ist, das mag ich euch nun erklären. Auf dass auch ihr euch traut, auf dass auch ihr euch einmal alleine auf den Weg zum nächstbesten der zahlreichen so wunderbaren Cafés dieser Stadt macht.

Warum das einfach unendlich viel Freude bereitet, mag ich euch nun anhand einiger Punkte aufzählen. 

img_1297

 

Weil ich alleine frei bin

Ohne ein Gegenüber, mit dem ich verabredet bin, bin ich frei in dem was ich tue oder lasse. Ich bin nicht dazu verpflichtet, einem anderen Menschen meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich muss nicht fürchten, dass sich eine andere Person von mir vernachlässigt oder nicht ausreichend unterhalten fühlt.

Alleine dagegen kann ich in Ruhe meine Tageszeitung lesen. Kann dabei ganz unverschämt Kopfhörer tragen, um meine Lieblingsmusik zu genießen.Kann mich gänzlich isolieren von der Außenwelt. Kann vor die Türe schreiten, um zu rauchen. Wann ich will, so oft ich will.

Ich kann den Blick von meiner Zeitung heben, kann den fremden Tischnachbarn auf die Nachrichten des Tages ansprechen. Mich mit ihm austauschen – sofern mir danach ist. Ich kann in Ruhe meinen Tag planen, kann die Einrichtung des Cafés intensiv studieren.

Kann den Inhaber darauf ansprechen, kann es aber auch bleiben lassen. Ich kann nach einer halben Stunde zahlen und weiterziehen, ohne unfreundlich zu wirken. Oder einfach stundenlang verweilen, ohne jemanden zu langweilen.

Und ja, man kommt so unendlich leicht ins Gespräch mit fremden Sitznachbarn. . Wirklich. Doch dazu mehr später – vorerst halte ich fest:

Alleine im Café bin ich mein eigener Herr, bin nicht alleine, wenn ich nicht will. Und dennoch gänzlich ungestört, wenn ich es sein mag.

Ich bin einfach gänzlich frei.

 

Weil People-Watching so unendlich aufschlussreich ist

Wisst ihr eigentlich, wie spannend es sein kann, nichts weiter zu tun als fremde Menschen zu beobachten? Ihre Kleidung zu betrachten? Ihnen zuzuschauen bei dem, was sie so tun? Oft überlege ich mir, welchen Job sie ausüben könnten.

Und wenn meine Neugier über mich siegt, dann spreche ich sie gern darauf an.

Natürlich kann man auch ganz hervorragend fremde Gespräche belauschen, was durchaus erheiternd wie lehrreich sein kann. Und häufig auch überaus unterhaltend wie amüsant!

Der gemeine Betrachter kann durch sein Beobachten unendlich viel über das (zwischen-)menschliche Verhalten lernen. Wie ein offensichtliches Tinder-Date nach dem dritten Glas Wein nach einem anfangs drögen Gespräch doch noch seine Vorliebe füreinander entdeckt. Wie ein offensichtlich Berlin-Mitte entflohener Hipster hochkonzentriert vor dem MacBook sitzt und stundenlang in die Tasten hämmert, während er an seinem vierten ColdBrew-Kaffee schlürft.

Wie gegenüber eine junge Frau verzweifelt versucht, einzuparken – und sich nach dem vierten Anlauf von einem zufällig vorbeilaufenden Passanten helfen lässt. Und sich mit hochrotem Kopf dafür bedankt.

Wie vier hochgradig wichtig wirkende Männer im Anzug über Börsenkurse diskutieren, während am Nachbartisch drei Pubertierende ihre prall gefüllten Primark-Tüten abstellen. Sich gegenseitig davon erzählen, mit welchen heißen Billig-Fummeln sie Freitagabend den Kevin aus der Neunten zu beeindrucken gedenken.

Hätte ich im Beisein einer Begleitung Zeit, meine Umwelt derart zu beobachten?
Wohl eher nicht.

{"total_effects_actions":0,"total_draw_time":0,"layers_used":0,"effects_tried":0,"total_draw_actions":0,"total_editor_actions":{"border":0,"frame":0,"mask":0,"lensflare":0,"clipart":0,"text":0,"square_fit":0,"shape_mask":0,"callout":0},"effects_applied":0,"uid":"A6FF0E37-EB0F-46B3-BE97-1F400670E374_1480261326812","width":3264,"photos_added":0,"total_effects_time":0,"tools_used":{"tilt_shift":0,"resize":0,"adjust":0,"curves":0,"motion":0,"perspective":0,"clone":0,"crop":0,"enhance":0,"selection":0,"free_crop":0,"flip_rotate":0,"shape_crop":0,"stretch":0},"source":"editor","origin":"gallery","height":1836,"subsource":"done_button","total_editor_time":15,"brushes_used":0}

 

Weil es so spannend ist, einfach abzuwarten – und man dabei wertvolle Bekanntschaften macht.

Kleines Gedanken-Experiment:

Welchen Menschen könnte ich begegnen, genösse ich Lektüre und Kaffee auf meinem Sofa? Bestenfalls dem Mitbewohner, regelmäßig auch dem Paketboten, seltener dem Ableser für Heizung, Gas, Wasser, Schei… ach, nee, die wird ja gar nicht abgelesen (ein Glück!).

Über Besuch pflege ich mich zu freuen, aber auch dieser ist mir in der Regel bereits bekannt.

Ganz anders gestaltet sich all dies jedoch im öffentlichen Raum von Café und Kneipe: Ist es nicht einfach eine unendlich schöne Vorstellung, sich alleine niederzulassen und nicht zu wissen, welchen Menschen man innerhalb der nächsten Stunde(n) begegnen wird? Ist es nicht aufregend, jeden Tag aufs Neue Gespräche führen zu können, die niemals absehbar waren und deswegen so ganz besonders wertvoll sind?

img_1305


Ja, mit Fremden ins Gespräch zu kommen erfordert Mut. Und doch ist es so einfach, geschieht quasi zwangsläufig – und stärkt obendrein das Selbstbewusstsein.

Ich bin dankbar um jede einzelne Bekanntschaft, um jeden einzelnen Menschen, den ich auch nur für einige Minuten lang kennen lernen durfte.

Die junge Frau, die ich auf ihr Tattoo ansprach – und die mir daraufhin die letzte, zündende Idee für mein lang ersehntes, neuestes Kunstwerk unter meiner Haut lieferte.

Der junge Student, der – einige Jahre nach mir – in meiner Heimatstadt geboren wurde. Die ältere Dame, welche mir so viel Aufschlussreiches über das frühere Leben in Frankfurt berichten konnte, der Herr, der ambitionierte Anzug-Träger, welcher sich seine Zukunft hier am Main erhofft. Die junge Ostdeutsche, die Wahl hatte zwischen Wartebereich eines Arbeitsamtes in der Niederlausitz oder einem Job in Frankfurt. Die Künstlerin im Bahnhofsviertel, die so lebensfrohe Dame aus dem Café, welche zwar überaus vergesslich ist, aber meine Vorliebe für die Frankfurter Rundschau teilt. Die Blogger-Kollegin, welche ich aufgrund ihres “Wordpress für Dummies” – Buches angesprochen hatte. Meine liebste Nachbarin, deren Bekanntschaft ich einst schloss, als ich mich nach Feierabend mitsamt meines Buches unter dem Sternenhimmel einer Sommernacht im Biergarten des “Feinstaub” niederließ.

Um jede Einzelne dieser Begegnungen bin ich dankbar, keine einzelne davon möchte ich missen. Ist man verabredet, so ist die eigene Aufmerksamkeit dann doch dem Gegenüber geschuldet – alleine jedoch bin ich offen für all meine Mitmenschen, welche auch immer in meiner Nähe Platz nehmen werden.

Und genau deswegen liebe ich es, einfach Platz zu nehmen, zu genießen und abzuwarten. Auf Das- und Denjenigen, was und wer auch immer kommen mag.

12657883_942107679187721_8394212210963330286_o

 

Weil ich mich hier am besten konzentrieren kann

Ich lese bekanntlich viel und gerne. Und ebenso gerne verfasse ich selbst Texte, bearbeite die Ausbeute meiner fotografischen Streifzüge durch die Stadt.

Nur: All das fällt mir in den heimischen vier Wänden schwer. Zu schnell bin ich dort abgelenkt, zu verlockend sind andere Beschäftigungen.

Hier das Regal, das noch schnell abgestaubt werden könnte, hier der Teller, der noch weggeräumt werden müsste – und, ach ja, wenn ich doch eh noch mal in die Küche gehe, dann kann ich ja direkt noch eine Maschine Wäsche anstellen. Ist ja auch längst überfällig. Irgendwo beneide ich ja Menschen, die einfach stundenlang zu Hause auf dem Sofa liegen können. Dabei ein Buch lesen, einen Film anschauen, ihr neues Projekt fertigstellen.

All dies gelingt mir jedoch am besten in einer ruhigen Ecke im Café oder im schummrigen Licht an einer Bar. Hier gibt es für mich sonst nichts weiter zu tun, hier kann ich jederzeit um Meinungen bitten, kann Pausen machen und kurz mit den Sitznachbarn plauschen, wenn es mir beliebt. Fast überall in der Stadt sind mittlerweile offene WLAN-Netzwerke verfügbar, sodass mir die gesamte Welt offen steht, wenn ich meinen Klapprechner in meine Tasche packe. Oder einfach das Buch, auf dessen Erscheinung ich doch schon so lange gewartet habe.

Und der schönste Moment des Tages ist doch sowie derjenige, in dem sich der stechende Geruch der Druckerschwärze einer frisch gedruckten Zeitungen mit dem herrlichen Aroma einer dampfenden Tasse Kaffee vermengt.

Ja, dafür bezahle ich auch gerne Geld. Zu Hause ist’s umsonst, auswärts ist es lebenswert. Finde ich. Ist das jetzt unnormal?

 

Traut euch!

Auch abschließend vermag ich nicht zu sagen, ob ich nicht doch ein “schräger Vogel” bin und vielleicht diesbezüglich psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen sollte.

Aber: Wenn ich tief in mich gehe, dann bin ich unendlich dankbar für all die wunderbaren und nicht vorhersehbaren Begegnungen und Momente, welche mir meine Allein-Besuche der Cafés  in dieser Stadt beschert haben.

 

Liebe Leute, die ihr dies nicht zu tun pflegt: 

Mag sein, dass ihr besser darin seid, zu Hause auf dem Sofa konzentriert eure Serie zu verfolgen. Darauf gern auch mal ein Buch lest, weil’s “zu Hause doch am schönsten ist”. Es genießen könnt, es euch bequem zu machen mit einem Kaffee aus der heimischen Maschine, während ich für eine einzelne Tasse dafür gern auch mal nur für mich so viel bezahle, wie ihr für ein ganzes Pfund.

Doch: Dieses Geld ist gut investiert.  “Auswärts” alleine sein ist schön, ganz ohne Verpflichtungen, und doch voller Überraschungen.

Dennoch bleibt dieses Gefühl in mir. Dieses Gefühl, welches mir sagt, dass es nicht “ganz normal” ist, was ich so gern tue. Doch immer dann, wenn ich meinen Blick streifen lasse – und andere entdecke, die es sich mit Buch, Zeitung oder Notebook bequem gemacht haben und ein Getränk ihrer Wahl genießen –  dann weiß ich, dass ich nicht alleine bin.

Und dass es sich – vorausgesetzt, mir steht der Sinn danach – lohnt, mutig zu sein, ein Gespräch zu beginnen. Mal schauen, welch Mensch hier gerade neben mir sitzt.


Die nächste spannende Begegnung, das nächste wertvolle Gespräche lauert schließlich an jeder Ecke. Darauf noch ‘nen großen Café Creme mit Sojamilch. Ach ja, und ein Glas Leitungswasser dazu. Für den Hals.

 

Lesestoff: Von roten Bändern und einer blauen Welt

Der Weihnachtsmarkt ist jüngst eröffnet worden, das Jahr nähert sich dem Ende. Und zusammen mit der Adventszeit stehen auch die kürzesten Tage und längsten Nächte vor der Türe. Die beste Zeit des Jahres zum Lesen also (okay, und zum Glühwein trinken, natürlich).

 

Also: Einkuscheln, Buch zücken, die Gedanken kreisen lassen!

Mein neuester Lese-Tipp für euch war für mich zunächst ein echter Zufallstreffer und Glücksgriff. Die Wartezeit am Bahnhof genutzt, um die Regale der Bahnhofsbuchhandlung zu durchstöbern, ein paar Klappentexte studiert – und beim Titel “Club der blauen Welt” des spanischen Autors Albert Espinosa hängen geblieben.

1480110519032

Dass es sich hierbei um die Fortsetzung des Buchs “Club der roten Bänder” handelt, welche längst erfolgreich als TV-Serie des Senders VOX handelte, wusste ich zunächst nicht.

Nachdem ich an einem einzigen Tag das erste Buch verschlungen hatte, habe ich mir direkt dessen Vorgänger gekauft und ebenfalls innerhalb des Folgetags verschlungen. Weshalb die beiden Bücher dermaßen in ihren Bann gezogen haben und wieso ich euch deren Lektüre unbedingt ans Herz legen kann?

 

Selten hat mich Lektüre so bewegt

Zunächst zur Story der beiden Bücher:

Diese unterscheidet sich zwar grundlegend in der Handlung – so beschreibt der erste Teil (“Club der roten Bänder”) beschreibt autobiographisch die Erfahrungen, welche der Autor in der Zeit seiner Krebserkrankung sammeln konnte. Und wie er diese nach seiner Heilung, welche ihn allerdings sein Bein kostete, auf ein neues, glücklicheres Leben übertragen konnte.

Der zweite Teil (“Club der blauen Welt”) handelt dagegen von einer Gruppe unheilbar kranker junger Menschen, welche die letzten Tage bis zu ihrem sicheren Tod auf einer abgelegenen Insel verbringen. Ihren sicheren Tod vor Auge. Wie also verbringen sie ihre letzten Tage?

Letztlich geht es darum, den Tod zu akzeptieren. Nicht zu verdrängen, sondern von ihm ausgehend sein Leben neu auszurichten. Den sicheren Tod zu akzeptieren und als Gegengewicht zum Leben zu betrachten. Ja, was wäre ein Leben auch schon wert, ohne den Gegenwert des Todes? Nichts.

 

“Frei bist du, wenn du tust, was du nicht musst”

Nein, diese Bücher sind keine Lebensratgeber. Von diesen halte ich ohnehin nicht viel, davon distanziert sich der Autor auch in beiden Vorworten. Vielmehr Geschichten vom Tod als Ende, welches es zu akzeptieren statt verdrängen gilt – und aus einem Bewusstsein eines unabwendbaren Todes sein eigenes Leben zu leben. Und diesem schlussendlich Sinn zu verleihen.

Besonders bewegt mich momentan der Gedankengang, dass ein Menschenleben ohne Tod nichts wert ist. Wie oft verdränge ich, wie oft verdrängen wir alle das Bewusstsein darüber, dass auch unsere Existenz endlich ist?

hauptfriedhof-1

Wie schade eigentlich, Kann das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit doch so viel Kraft freisetzen. Dabei helfen, sich auf des Wesentliche zu konzentrieren.

Und genau hierfür bewundere ich den Autor: 

Dem eigenen Tod unendlich oft ins Auge gesehen, ist es ihm gelungen, allen Umständen seines am Krebs erkrankten Lebens etwas abzugewinnen. Und diese Erkenntnisse auf ein Leben nach der Heilung zu übertragen. Nein, soweit soll es bei mir (und auch euch!) niemals kommen – aber auch ich habe nach der Lektüre das Bedürfnis, mein Dasein neu zu überdenken.

 

Wenn beim Lesen fast die Tränen kommen

Ganz besonder berührt haben mich die Worte, die dem Autor von einem im Krankenhaus im Sterben liegenden Zimmernachbarn mit auf den Weg gegeben wurden. Erinnern mich diese Worte doch so sehr an mein eigenes oftmaliges Unvermögen, das Wesentliche im Leben zu erkennen. Meine Neigung, mich in Nichtigkeiten zu verlieren, meinen Fokus falsch zu setzen. Oftmals lediglich zu funktionieren, statt zu leben. Daran, dass auch ich nur allzu gern verdränge, dass auch mein Dasein endlich ist.

Diese letzten Worte eines Sterbenskranken möchte ich hier kurz wiedergeben:


Die Basis für alles ist die Überzeugung,
dass du heute noch sterben wirst. Sie verleiht dem Leben
einen Sinn – mehr gibt es nicht.

Und wenn du am nächsten Tag doch wieder aufwachst, dann
ist die Freude groß, weil man dir weitere 24 Stunden geschenkt hat.
Rufe dir jeden Tag in Erinnung, dass du ihn auf deine Art und
weise verbringen musst.

Was bringt es denn, nach den Regeln anderer zu leben?

Diese lassen dich doch nur glauben, dass du noch tausend
Jahre vor dir hast. Damit du dich nicht auf die Gegenwart
konzentrierst.

Nein, wir werden nicht noch tausend Jahre leben.
Sondern nur noch einen Tag, Und dann noch einen –
und noch einen. Wenn du so denkst, bringen sie dich dazu, dein
Leben zu verpfänden.

Überleg’ doch mal – wenn dir nur noch ein Tag bliebe,
würdest du dann arbeiten? Oder deine Rechnungen bezahlen?
Würden dich die Nachrichten interessieren?

Oder würdest du lieber versuchen, dich zu verlieben?
Spielen? Du musst nichts tun, was du nicht tun willst. Zwinge dich zu nichts, was du nicht willst. Oder nicht brauchst. Lebe jede Sekunde, genieße die Minuten.

Und vor allem: Vergiss die die ganzen Pflichten. Wenn du in diesem Kreis-
lauf einmal festhängst, bringt das immer neue Verpflichtungen mit sich.
Immer.

Im Leben nach fremden Regeln verstellt dir die Stadt den Blick auf deine Seele.
Diese riesigen Gebäude hat man dorthin gebaut, damit du sonst nichts siehst.

 

Diese Zeilen lösen etwas aus in mir. Und prompt verspüre ich das Bedürfnis, zu Handeln. Mehr hierzu demnächst an dieser Stelle.

 

Kaufen!

Ich lege euch den Kauf der beiden Bücher sehr an eure Herzen!
Diese sollte natürlich bestenfalls bei eurem Buchhändler ums Eck erfolgen.

“Support your Locals” und so – ihr wisst schon!

Ansonsten – PFUI ! – klickt hier und hier.


Was ist der Sinn, den ihr eurem Leben verleihen wollt? 
Verliert auch ihr öfters einmal den Blick für das Wesentliche? 

Ich bin gespannt, ob die beiden Bücher euch ebenso bewegen wie mich.
Lasst es mich gern wissen – ich wünsche ein schönes Lesevergnügen!

Ein stiller Moment im Ostpark.

Ein Ort der Ruhe im Osten dieser Stadt.
Ein Ort der herbstlichen Idylle.
Der bunten Blätter, die im See treiben.
Letzte Zeugen eines Sommers.
Gänse ziehen darin ihre Runden.
Und Jogger die ihrigen.
Neonfarbene Laufschuhe, Atemwolken.
Ein stiller Morgen im Herbst.

1479922126133

Ein Obdachloser sitzt vor der tristen Trinkhalle und starrt ins trübe Gewässer.
Die Flasche Wodka verspricht ihn von innen zu wärmen. Seine Seele friert trotzdem.
Ich winke ihm zu, wünsche ihm einen schönen Tag. Er lächelt – einen schönen Tag, ja, den wünscht er mir auch.
Hebt die Flasche zum Prost. Mitleid.
Ein Hund, angebunden angebunden an der Wand. Graffiti.
Und der Druckraum, der sich hinter dieser Wand verbirgt. Sucht. Wem Wodka nicht mehr half, der ist dem Heroin verfallen.
Durchatmen. Innehalten.
Den Blick wenden hin zu den Gärten, in dem irgendwann einmal die Rosen blühen werden.
Wenn der Schnee geschmolzen ist, den der Winter bringen wird. Und die Kinder wieder auf der Wiese toben.
Zurückgekehrt sind wie die Zugvögel, die den Park wieder bevölkern werden.
Ein Ort des Leids. Ein Ort der Natur.
Des Lebens, des Tods. Ein Abgrund, eine Idylle.
Ein Stück Frankfurt. Typisch eben, sinnbildlich.
Wie schön, hier zu sein. Der Ostpark – ein verrückter Ort. Bis bald mal wieder.

img_1397

 

Herr, ich bin schuldig….

… ich habe es getan.

Ja, ich habe das Eröffnungs-Konzert der vor 12 Jahren einst aufgelösten, nun als Rentner-Band samt neuem Album zurückgekehrten “Böhsen Onkelz” besucht.

boese-onkelz-100-x-50

Nachdem von der Frankfurter Band ein ganzes Jahrzehnt lang nicht viel zu lesen und hören war – außer vielleicht, dass Sänger Kevin Russell im Drogenrausch einen unschuldigen jungen Mann mittels Auto schwer verletzt ins Krankenhaus beförderte – kündigte sich dann doch irgendwann ein “Comeback” an. Trotz aller Beteuerungen im Jahre 2004, endgültig aufzuhören.

Die “Onkelz”, ja – ein schwieriges Thema. Ein Thema, zu oft breitgetreten, aufs Blut diskutiert, einfach ausgelutscht.

Dennoch: Ohne die ewige Diskussion über Nazi-Band, Götter auf dem Rock-Olymp, Legende, Religion hier weiterführen zu wollen: Ich habe das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Was trieb mich also zum Konzert?

img_1366


Was die Onkelz heute für mich sind

 

Die “Onkelz”, das sind meiner Meinung nach ein Haufen Kerle, die als Teenager dämliche Parolen grölten und sich im jugendlichen Leichtsinn einer fragwürdigen Bewegung anschlossen. Sei ihnen verziehen, wir alle waren mal jung. Und doof.

Später dann, Anfang der 90er – erinnert sich noch jemand an das “schwarze” und das “weiße Album”, an “Heilige Lieder”? – die wohl begabteste textlich wie Rockband des deutschen Sprachraumes. Und obendrein musikalisch noch recht talentiert.

Vom eigenen Erfolg jeder Bodenständigkeit beraubt, ging es nach den astreinen Scheiben der frühen Neunziger für mich nach der “E.I.N.S” dann musikalisch wie textlich bergab. Ihr eigener Mythos wurde von der Band erschaffen, von nun an zog sich die ewig gleiche, stumpfe Plattitüde “Alle sind gegen uns, aber wir sind stark, sitzen in einem Boot, wir gegen “Die da oben” durch ihre Songs.

Medien eh scheiße und verlogen, wir aber kennen die Wahrheit, lassen uns nicht unterkriegen, bla bla bla. Der immergleiche Sound des kleinen Mannes  . Gähn.

 

Kein Wunder, dass damit erfolgreich Bauernfang betrieben werden konnte und jeder noch bei Mutti wohnende 19-Jährige von nun an mit großem “Onkelz”-Heckscheibenaufkleber auf seinem tiefergelegten VW Golf durch die heimatliche Prärie fuhr. Oder sich – sofern noch minderjährig – brav von Mutti zum Onkelz-Konzert fahren ließ. Wie rebellisch.

 

Wieso also habe ich also das erste Konzert nach 12 Jahren Pause besucht?

 

img_1379

Weil die Onkelz nun einmal untrennbar zu Frankfurt gehören

Auch wenn ich viele (auch Frankfurter) nicht hören mögen:
Die Onkelz absolvierten ihre ersten Auftritte im “JUZ Bockenheim” und sind unbestreitbar nicht nur die bekannteste und erfolgreichste Frankfurter Formation.
Nicht nur das, nach der Anzahl der verkauften Tonträger kann Frankfurt sogar von sich behaupten, die erfolgreichste deutsche Rockband aller Zeiten hervorgebracht zu haben. Und, so schade es auch sein mag – was hat Frankfurt sonst an Größen des Musikgeschäfts zu bieten? Eben, nicht viel.

 

Weil ich auf dem Dorf groß geworden bin

Klingt jetzt n’ bisschen nach Klischee, war aber wirklich so.

“Man hat ja sonst nix gehabt”, alle haben irgendwann angefangen, nach kurzen Ausreißern über “Die Ärzte” und die “Hosen” die Onkelz zu hören. Klar, dass der Besitz sämtlicher Tonträger und Merchandise-Artikel Pflicht war.

Onkelz, das war Musik für uns harten Kerle in der Pubertät, die ein Sprachrohr für all die Probleme ihres Teenager-Daseins gefunden hatten. Probleme, die im Nachhinein natürlich lächerlich erscheinen mögen.

Und dennoch: Erinnerungen bleiben. Zu jeder Situation das passende Lied, ob zur ersten unerwiderten Liebe, dem ersten Mal von der 16-jährigen Freundin verlassen zu werden, zur Party in der Scheune am Wochenende. Zum Frust mit den Lehrern, Streit mit den Eltern, zur Rebellion und Aufbegehren gegen die Welt der Erwachsenen. Jawoll, Texte schreiben, das beherrscht der Weidner wie kein Zweiter – verbunden mit handwerklich nicht zu bemängelnder Musik.

Erst später dann – als erwachsener Mensch – begann ich, den selbst erschaffenden Mythos, die Vermarktungs-Maschinerie, die simple Attitüde “Wir gegen den Rest der Welt!” zu verstehen. Das Rezept der Jungs, mit ihren Liedern einen jeden Geist anzusprechen und Emotionen zu vermitteln zu können. Ein Gefühl der “Gemeinschaft der Verstoßenen” zu erzeugen.

Schwer, sich als junger Mensch in der Pubertät davor zu entziehen. Und genau deswegen gehören die Onkelz zu mir, meiner Erinnerung, meiner Vergangenheit. Punkt, aus, Ende. 

 

Weil ich schlicht neugierig bin

Dass das Comeback-Album “Memento” sowie die nach dessen Veröffentlichung stattfindende Tour wohl lediglich ein Zeichen des Geldmangels der alten Herren ist, sowie deren Glaubwürdigkeit massiv schadet, ist für mich unbestritten.

Nachdem ich 2005 am Lausitzring das Abschiedskonzert der Onkelt besucht hatte, war ich trotzdem neugierig. Aufgeregt, in welche Richtung sich die Band (überhaupt) entwickelt haben könnte. Ob sich deren Musik nach den zuletzt doch etwas peinlichen Alben mit derselben herunter gebeteten Leier gar zum Positiven geändert haben könnte.

Und, ja – als Frankfurter fühlte ich mich verpflichtet, dem Konzert einem des neben Apfelwein und Investment-Fonds erfolgreichsten Frankfurter Exports beizuwohnen.

Also: Für viel Geld eine Karte gekauft (danke, lieber Mitbewohner!) und den Tourauftakt am 21. November abgewartet.

 

Die Onkelz rufen – die Massen strömen

 

Am Abend des Konzerts geht’s zur altehrwürdigen Frankfurter Festhalle.
Erinnerung an das Jahr 2002 werden wach, an dem ich zuletzt ein Onkelz-Konzert in Frankfurt besucht hatte.

Erstmal scheint alles beim Alten: Menschenmassen im Einheitslook mit schwarzem Onkelz-Shirt wohin man blickt, ein Großteil davon hat bereits 3-4 Bier zuviel getrunken.

img_1381

 

 

 

 

 

 

 

“Wir sind dick und durstig”, wird gesungen, “Senoritas im Arm, Tequlia lauwarm” – ich schäme mich fremd. “NEIN, ich bin KEINER von euch!”, denke ich mir. Aber irgendwie ja schon, schließlich bin auch ich dem Lockruf der Onkelz gefolgt.

Wer dem Lockruf dagegen nicht folgen durfte: Die Presse, welche pauschal ausgesperrt wurde. Insbesondere in der heutigen Zeit (Stichwort: “Lügenpresse”) ein für mich völlig unangebrachtes Vorgehen und ein mehr als falsches Signal. Hier muss ich der Band einen großen Vorwurf machen – geht gar nicht! 

 

Alles beim Alten also. Fast.

 

Als die Vorband (wer hat Vorbands eigentlich erfunden?) überstanden ist, betreten die Onkelz unter lautem Gebrüll die Bühne. Zwar merklich gealtert, aber dennoch eindeutig wiederzuerkennen.

Nach den ersten Songs stelle ich fest, dass ich nach Jahren der Abstinenz immer noch nahezu alle mitsingen kann. Erschreckend, wie meine Gehirnkapazität offensichtlich genutzt scheint!

Anders als vor 12 Jahren aber reckt ein Großteil der Konzertbesucher das Smartphone gen Bühne und macht wahlweise schlecht belichtete Bilder oder Videos.

Und weil ich für mich beschlossen habe, ein Konzert lieber zu genießen, statt es damit zu verbringen, mein Handy in die Luft zu halten, erspare ich euch weitere Bilder oder gar Videos. Gibts ja eh bald massig auf Youtube zu bewundern.

img_1382

Eine kleine Zeitreise

Als das Konzert – wohl erstmals ohne Zugabe! – beendet ist und ich mich zum Ausgang begebe, bin ich unschlüssig.

Ich weiß nicht, inwieweit die alten Herren noch mit Herzblut und Überzeugung musizieren, oder ob aufgrund des Kontostandes noch einmal schnell die große Kasse gemacht werden soll.

Ich musste feststellen, dass die Pogo-tanzende Meute wohl gar nicht mehr meine Welt ist, dass ich nicht mehr darauf stehe, mit Bier begossen zu werden.

Aber: Ich fühle mich berührt von der Musik, die mich an zahllose Situationen meines Lebens erinnert hat. Erinnerungen wurden geweckt,und ich fühlte mich einen kurzen Moment lang genau so, wie ich mich vor 15 Jahren mal gefühlt habe.

Und hey, auch Bühnen-Show samt gigantischen LED-Leinwänden hat wahrlich Eindruck hinterlassen. Show machen, das können sie jedenfalls noch, auch wenn der Dialog zum Publikum recht eintönig war.

Ob die Onkelz besser nicht zurückkehren hätten sollen? Still und schweige versiegen, wie “Die Ärzte” es getan haben? Ich glaube, ja. Ihrer Glaubwürdigkeit hätte es gut getan, die Erinnerung an sie wäre mehr wert als dieses Konzert gewesen. 

Mit Bier übergossen und müde steige ich in die U-Bahn nach Hause. Während ich nur erschöpft und nass bin, hat es meinen Mitbewohner weit weniger gut getroffen: Wer wild tanzt, macht gelegentlich auch einmal Bekanntschaft mit dem Hallenboden.

Gute Besserung, mein lieber Chrissi!