Vom Suchen und Finden der Liebe.

Manchmal, da reicht es ja aus, einfach zu beobachten. Beobachten kann man schließlich viel in der Stadt; in so ziemlich jeder Ecke passiert ja immer irgendwas. Neulich reichte eine solche Beobachtung, um mich sehr nachdenklich zu stimmen. 

Doch der Reihe nach: 

 

Woran denkt ihr, wenn ihr das Wort “Liebe” hört?

Denkt ihr an die innige Beziehung zweier Menschen, die sich einander versprochen haben? Vielleicht sogar in Form der Ehe?

Denkt ihr an eine Mutter, die voll Stolz ihr Kind ansieht? An den Vater, der zu töten bereit wäre, um es zu verteidigen?

Oder denkt ihr vielleicht an die Liebe der Gemeinschaft, in der man einander hilft, füreinander da ist – vor allem in schlechten Zeiten? Denkt ihr an Liebe als Ursprung einer Leidenschaft, an die Liebe zur Musik, zum Tanz, zum Bundesligaverein?

Ihr seht: DIe Liebe hat viele Gesichter. Liebe ist ein Grundbedürfnis, das jeder Mensch zu stillen sucht. Ob bewusst oder unbewusst – das weiß nicht nur der Psychologe. 

 

Fünf Buchstaben, ein Foto

Neulich hatte ich beim Wort “Liebe” jedoch lediglich jene Skulptur im Sinn, an der ich beim Joggen im Anlagenring schon so oft vorbei gelaufen bin. “Das muss sich doch irgendwie in Szene setzen lassen”, so dachte ich mir. Packte meine analoge Kamera samt jungfräulichem Schwarzweiß-Film ein, schwang mich aufs Rad. Und hoffte inständig, dass sich die fünf großen Stahlbuchstaben irgendwie motivisch in Szene setzen ließen. Insgeheim hoffte ich auch das nächstbeste Liebespaar, das für einen Facebook-Beitrag zur Dokumentation seines jungen Glücks davor ein Selfie schoss. Vielleicht würde ich ja auch Zeuge eines Heiratsantrags werden, aber zumindest ein Hand an der Skulptur vorbeispazierendes Ehepaar würde ja wohl drin sein.

Meine Hoffnungen werden jedoch zunichte gemacht, als ich mein Fahrrad unweit der Skulptur abstelle und die Kamera zücke. Außer mir ist zunächst anwesend: Niemand. Der ewige Frust des Fotografen. 

Ich will nicht umsonst hergefahren sein, mache ein paar Aufnahmen. Bis sich dann, ja dann…

 

Von einem, der die Liebe suchte

Während ich also auf dem feuchten Rasen kniete, gerade zum letzten Mal den Auslöser betätigen wollte – da schlich sich eine traurige Gestalt hinein in den rechten Bildrand. Ich ließ die Kamera sinken, blickte auf. Ein Mann kam des Weges, langsam, eine Plastiktüte in der Hand.

Deren Inhalt drapierte er formvollendet auf dem mittleren Strich des letzten “E”:
Eine Flasche Wodka samt Discounter-Orangensaft aus dem Tetrapak.

Ich drückte nochmals Auslöser, fühlte mich schlecht dabei, den Mann zu fotografieren. Beschränkte mich fortan aufs Beobachten. Der Mann erklomm das letzte “E”, trank abwechselnd aus Wodkaflasche und Tetrapak.

Ich wurde trübsinnig. Dieser Anblick des Mannes mit dem ungepflegten Bart, der auf dem Wort “Liebe” saß und mittags um 2 dort Wodka trank. War dieser Anblick nicht viel aussagekräftiger als das beliebige Pärchen, das ins Smartphone grinste?

Dieser Mann suchte wohl die Liebe, und fand sie lediglich in Form eines modernen Kunstwerks und hartem Alkohol. Ich fühlte Mitleid in mir aufkommen, das Bedürfnis, ihm irgendwie etwas Gutes zu tun. Mir fiel nichts ein.

Ich packte meine Kamera ein, verließ meine kniende Fotografen-Position.

Während ich zum Fahrrad ging, rief ich ihm zu:

“Einen schönen Tag wünsch’ ich dir! Lass’ es dir gutgehen.”.
Er starrte mich mit leerem Blick an, erwiderte nichts.

 

Liebe suchen, Liebe finden

Ziemlich nachdenklich radelte ich gen Innenstadt; die Begegnung mit dem bärtigen Mann hatte mich trübselig gemacht. Ich wünschte ihm jemanden, der ihn liebt. Hetzte über die Zeil, ja, man hat ja so viel zu erledigen und besorgen heutzutage. Hielt kurz inne an der Hauptwache und beobachtete.

Ein Haufen junger Mädchen, die um einen Rollstuhlfahrer standen, erweckte meine Aufmerksamkeit. Sie schienen begeistert von den Tönen, die er seiner Flöte entlockte, während er auf dem Pflaster der Zeil saß. Klatschen im Takt zu seiner Musik. Und warfen nach einiger Zeit ihr Kleingeld in den Flötenkoffer vor ihm.

Dieser Mann hatte sie nicht nur gesucht, die Liebe. Sie gefunden in Form der Nächstenliebe, in Form der Liebe für seine Musik. In Form der Anerkennung durch eine finanzielle Gabe. Von diesem Anblick eigenartig berührt, drückte ich nochmals auf den Auflöser. Und zog nachdenklich von dannen.

 

Love is in the Air

In dieser Stadt schien die Liebe überall präsent zu sein. Im Suchen wie im Finden, in traurigen wie hoffnungsvollen Augenblicken. Manche zerbrechen während der Jagd nach ihr, manche schöpfen Kraft aus kleinen Gesten der Nächstenliebe.

Die liebe Liebe also. Der kleinste gemeinsame Nenner, der uns allesamt verbindet. Und wohl gerade deswegen überall präsent ist. In jeglichen Formen. Ich wünsche niemandem, sie lediglich in Form von metallenen Großbuchstaben und Spirituosen zu finden. 

Verratet mir doch: Was waren eure berührendsten Begegnungen mit der Liebe in Frankfurt?

Und bis dahin: Liebt euch.

Happy Birthday: Ein erster Hauch der QuarterLife-Crisis?

Nun sitze ich also hier, am Tresen meiner Lieblings-Kneipe in meiner unmittelbarer Nachbarschaft, mitten drin im Frankfurter Nordend.

Und beginne eine Ahnung von all den Gedanken, Zweifeln und Ängsten zu bekommen, die so ziemlich einen Jeden recht pünktlich zum 30. Geburtstag ereilen.

Zwar habe ich noch etwas Schonfrist, bis ich mich endgültig von meinen Zwanzigern verabschieden muss. Jedoch werde ich in exakt 48 Minuten meinen 29. Geburtstag feiern, und ich fürchte, auch mein nächstes Lebensjahr wird nur allzu schnell an mir vorüberziehen.

Einmal Frühjahr, einmal Sommer, noch ein Herbst – und zack, dann ist sie da, die Dreißig. Die doch irgendwie Symbol ist für ein endgültiges Erwachsensein.

Hey, war ich nicht gestern erst 20? Ich nehme einen Schluck aus meinem Gerippten und werfe einen Blick zurück.

Als Jugendlicher hatte ich einen väterlichen Freund, der damals in dem Alter gewesen ist, in dem ich mich heute befinde. “Ende zwanzig” eben.

 

Dieser väterliche Freund von mir, er war für mich der Inbegriff des Erwachsenseins:

Er hatte einen Job. Eine eigene Wohnung in einer Großstadt. Durfte spätabends noch ein Bier in der Kneipe trinken gehen, ohne dafür Schülerausweise fälschen zu müssen und unangenehme Fragen beantworten zu müssen. Und wenn ihm danach war, bis in die Morgenstunden hinein tanzen zu gehen, dann hat er das eben gemacht.

Kurzum:

Er, das war der erwachsenste Mensch für mich überhaupt. Grund für mich, mich im Zimmer meines Elternhauses auf dem Dorf nach dem Erwachsensein, einem unabhängigen Leben, meinem Traumberuf zu sehnen.

 

Sogar bügeln kann ich!

Und heute? Heute bin ich selbst so alt wie damals väterlicher Freund und mein Vorbild es war.

Lediglich: Ich fühle mich mitnichten “erwachsen”.
Und, ganz ehrlich: “Erwachsen sein”, was bedeutet das schon? 

Ich habe meinen Traumberuf ergriffen, der mich recht anständig verdienen lässt. Ich kann es mir leisten, in einer schicken Wohnung zu leben. In einer Großstadt, die erstmals ein Gefühl der Heimat in mir erweckt hat.

Ich habe viele Bücher gelesen, habe so manchen Ort der Welt bereist. Unzählige Menschen sind in mein Leben getreten, ebenso viele haben es wieder verlassen. Manche blieben länger, manche nur kurz. Nur meine Familie, die blieb für immer.

Ich kann für mich sorgen, ich kann Wäsche waschen, weiß einen Wischmopp zu benutzen. Und sogar Hemden bügeln kann ich!

Die Weisheitszähne habe ich verloren, dafür zieren bereits zwei Brücken mein Lächeln. Gut, dass ich über eine Zahn-Zusatzversicherung verfüge. Ja, auch solche profanen “Erwachsenen-Dinge” besitze ich.

Ich habe viele Feste gefeiert, manch Kater auskuriert. Ich habe gelacht, geweint, mal gewonnen, mal verloren. Mir mein Herz brechen lassen – und andere gebrochen. War mal der Arsch, mal das Häufchen Elend.

Erlebte Höhenflüge, bin so richtig abgestürzt. Habe Hilfe erfahren, habe mich neu entdeckt und mich mit meiner Liebe zu neu entdeckten Leidenschaften wieder aufgerappelt. Dieser Blog ist eine dieser Leidenschaften.

Die schönsten und bittersten Erfahrungen meines Lebens sind in Form von Tattoos auf meiner Haut verewigt.

Ich gehe arbeiten, habe Hobbies, verdiene Geld, gebe es aus. Verreise ab und zu, gehe nach wie vor auch gern mal feiern. Ich treibe Sport, wann auch immer die Zeit es zulässt – und bin froh, wenn ich meine Jungs treffe.

 

Könnte glatt so weitergehen, oder?

Es sind nun noch 34 Minuten bis zu meinem Geburtstag, und ich resümiere:

Jawollja, es ist mir gelungen, ein unabhängiges Leben aufzubauen. Jede meiner Entscheidungen habe ich aus freiem Willen treffen können, ich bin nur mir selbst Rechenschaft schuldig und habe auch ansonsten (gottlob!) keinerlei Schulden. Äh, auch meinen Deckel am letzten Wochenende hatte ich bezahlt. Glaube ich.

Herzlichen Glückwunsch also, Sie haben Ihr Ziel erreicht? 

Doch genau der Gedanke daran, dass es jetzt ja eigentlich so weiter gehen könnte: Er lässt mich verzweifeln und macht mir Angst.

Fast tröstlich, dass es nicht nur mir so geht. Mittlerweile wurde schließlich gar ein Begriff erdacht für dieses kritische Zurückblicken, gepaart mit der fatalsten aller Fragen: “War das jetzt schon alles?”.

“Quarter Life Crisis”, so hat man diese kleine Lebenskrise getauft. Die die Kraft hat, so manchen Endzwanziger kurzzeitig mal ordentlich aus der Bahn zu werfen.

 

Noch 23 Minuten

Und ich fürchte, ein Hauch dieser hat auch mich soeben erreicht. Klar, alles könnte gemütlich so weiter zu gehen. Aber hey, soll das tatsächlich schon alles gewesen sein? Bin ich angekommen, verharre nun mein restliches Leben lang im Alltag, den ich mir erschaffen habe?

Noch ist’s ja nicht zu spät, noch erwarte ich zu viel vom Leben. Aber was soll da noch kommen? Wie viele Orte dieser Welt muss man bereist haben, um “angekommen” zu sein? Wie viele Bücher soll ich noch lesen, um als “belesen” zu gelten? Welche Karriere soll ich noch machen, um mich mit stolz geschwellter Brust als “erfolgreich” bezeichnen zu dürfen?

Ich fürchte, meine Gedanken enden bei der alten Frage nach dem Glück.

Ein Zitat fällt mir ein, welches mir eine Person mit auf den Weg gegeben hat, die wohl zu den herausragendsten und denkwürdigsten Bekanntschaften meines bisherigen Lebens zählt:

Es gibt kein schönes Leben. Es gibt nur schöne Tage

Ein wunderschönes Zitat, und ich vermute, es ist verdammt wahr.

 

Solange ich noch Träume habe…

Ich ziehe an meiner Zigarette (ja, auch damit hab ich irgendwann mal ngefangen…) und überlege mir, was ich von den kommenden Jahren noch erwarte.

Ich könnte so viel tun und machen, so viel sehen und erleben – nur:
Möchte ich das? Will ich das? Und – um Himmels Willen – was verpasse ich auch alles? Kann ich mit 29 tatsächlich schon Wurzeln geschlagen haben in einer Stadt? Oder nicht vielmehr nochmals meine Zelte abbrechen, um den Horizont zu erweitern?

Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. 

Was ich aber ganz bestimmt weiß: Solange ich noch konkrete Ziele habe, solange ich noch Träume haben, solange mag ich mein Leben verdammt gerne.

Ich mag ein Buch schreiben. Mag zumindest Südostasien entdecken. Mag nicht von dieser Welt gehen, ohne Vater zu sein. Und zwar mindestens der allerbeste Papa dieser Welt!

Gleich ist es soweit. Der Minutenzeiger meiner Armbanduhr rückt bedrohlich Nahe an die Mitternacht heran. Wie gut, dass niemand außer mir im Raum weiß, dass ich in drei Minuten Geburtstag haben werden. Muss ja auch nicht, reicht wenn ich morgen Abend meine Freunde um mich versammeln kann.

 

Auf mich und ein neues Jahr!

Ich sollte das mit dem Denken jetzt vielleicht endlich mal bleiben lassen. Führt ja zu eh nichts, außer zu depressiver Verstimmung und schlaflosen Nächten.

Vielleicht fang’ ich übermorgen wieder zu Zweifeln und Grübeln an, aber heute, hey, da hab’ ich Geburtstag, und der ist schließlich nur einmal im Jahr!

Ich sollte meinen Tag und mein bisheriges Leben symbolisch zelebrieren. Nur für mich. Ich bestelle ein edles Getränk (gegeizt wird heute nicht!) und grinse in mich hinein. Die Datumsanzeige meiner Uhr wechselt. Es ist soweit. Und bislang fühle ich mich noch ganz und gar wie mit 28.

Happy Birthday, Matze. Auf ein neues Lebensjahr – und darauf, dass die 30 noch 365 Tage weit entfernt ist.

 

 

 

 

Lesestoff trifft Lyrisches: Vom Dilemma der “Generation Maybe”

Über das jüngste Buch, das ich verschlungen haben, bin ich genau zur rechten Zeit gestolpert. Ich hatte selbst schlaflose Nächte, zerbrach mir den Kopf. Über den Weg, den ich bis heute gegangen bin. Über mein Dasein, über meine Träume, meine Wünsche, meine Ziele.

Wer will ich sein, wo will ich hin, und verplempere ich nicht ohnehin meine Zeit mit Nichtigkeiten? Wo liegt der Sinn, was sind meine Werte, bin ich überhaupt noch “Up to Date”? Es galt, eine große Entscheidung zu treffen.

Aber vorher noch schnell mal Facebook und SPIEGEL ONLINE checken, ich könnte ja schließlich was verpassen.

Und genau von diesem Dilemma handelt auch meine heutige Lese-Empfehlung für euch:

Das erschreckend treffende, erheiternde und nachdenklich stimmende Buch

“Generation Maybe – Die Signatur einer Epoche” des Berliner Autors Oliver Jeges. 

 

Schon der Klappentext hätte aus meiner Feder stammen können

“Die  Generation Maybe” hat mehr Möglichkeiten als irgendeine Generation vor ihr. Sie ist in Wohlstand gebettet, gut ausgebildet und ringt dennoch um Orientierung. Sie will atomfreien Strom, glückliche Hühner und trotzdem mit Billigfliegern die Welt bereisen. Ihr Lebensziel ist ein CO2-freier Fußabdruck, finanzielle Absicherung und die große Selbstverwirklichung. Das klappt schon irgendwie. Oder? Was nach außen wie ein Segen scheint, ist für diese Generation ein Fluch. Weil plötzlich alles möglich ist, sind alle heillos überfordert.” 

Wie tröstlich doch, dass es offensichtlich nicht nur mir so ergeht. Dass vielleicht meine gesamte Generation damit zu kämpfen hat, die freieste aller Zeiten zu sein.

Noch keiner Generation vor uns irgendwann in den 80ern Geborenen stand die Welt ganz sprichwörtlich so offen wie uns. Nie zuvor hatten junge Menschen mehr Möglichkeiten, ihr eigenes Leben nach Gutdünken zu gestalten. Und dennoch fühle auch ich mich oftmals überfordert auf der großen Spielwiese, die sich “Multioptionalität” nennt. Verloren irgendwo zwischen Beruf und erfülltem Privatleben, verloren im ständigen Vergleich mit anderen. Gern auch mal nur virtuell bei Facebook. Ja, der eigene Willen kann schnell abhanden kommen, wenn alle Türen offen stehen.

Es geht uns eigentlich gut. Aber es ist dieses schwerelose Gefühl, das uns alle verbindet. Das Gefühl, dass wir auf der Stelle treten. Dass wir wir uns schwertun mit Entscheidungen. Dass wir nicht wissen, was richtig und falsch ist. Jenes namenlose Gefühl ist die Urkraft meiner Generation. […]

Ich tue mich schwer, Entscheidungen zu treffen. Mich festzulegen. Mich einer Sache intuitiv zu widmen. Ich habe kein ADHS. Und dennoch bin ich aufmerksamkeitsgestört, entscheidungsschwach. Ich sehe all die Optionen  vor mir, die Verlockungen einer ultraschnellen Welt, in der alles möglich ist. 

Diese Zeilen stehen auf einer der ersten Seiten des Werks. Und bereits jetzt fühle ich mich “ertappt”. Ja, ich bin dann wohl auch ein “Maybe”. Bloß nichts verpassen, bloß nicht festlegen. Und auch die folgenden Seiten erschrecken mich. Schreibt hier jemand über sich selbst, gar über mich – oder einfach über “UNS”?

“Wir leben in einem ständigen Teufelskreislauf und denken, dass das Interessante immer da ist, wo wir gerade nicht sind. Egal, mit wem man gerade zusammen ist – es könnte da draußen einen Menschen geben, der noch besser zu uns passt, noch interessanter ist. Einen Job, der noch attraktiver ist. Eine Lebensart, die weit mehr Glück verheißt. Das ist das Dilemma unserer Generation. […]

Wer sind wir? Hedonisten oder Minimalisten? Egoisten oder freiheitsliebende Individualisten? Ichbesoffene Feierbiester, zwischenmenschliche Analphabeten oder handzahme Pragmatiker? Wahrscheinlich von allem etwas. Mal mehr, mal weniger. Vor allem aber wissen wir nicht so richtig, wo es langgeht. Es heißt, der Weg sei das Ziel. 

Quatsch. Weg ist das Ziel! 

Ich fühle mich erneut ertappt. Und – so erschrocken ich bin, über mich selbst und die übergeordnete Frage nach dem “Warum” – kann das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Auch wenn ich – ganz klar – zwischenzeitlich den Drang verspüre, doch mal auf das nette, blaue Logo meiner Facebook-App zu drücken. Doch auch hierbei ertappt mich das Buch:

Wir können unser ganzes Leben chronoligisieren. Fotos auf Instagram, Gedankenfetzen auf Twitter, Ereignisse auf Facebook, gehörte Lieder auf Last.fm. […]

Das Internet mit all seinen Spielereien ist unser Tagebuch, in das wir alle anderen reinschauen lassen. Nur, dass darin keine Misserfolge, keine Niederlagen, keine Hänseleien, keine Fehler, keine Demütigungen, keine Erniedrigungen, keine Katastrophen vorkommen.”

Ja, so ist es. Vermag uns bereits das eigentliche Leben nur allzu oft zu überfordern, so kann uns das Internet endgültig zur Verzweiflung bringen lassen. In jeder Sekunde verpassen wir, verpasse ich, schließlich hunderte neue Artikel, neue Nachrichten, neue Bilder, neue Schnäppchen, neue Status-Nachrichten von vermeintlich glücklichen “Freunden” wie Bekannten. Neue Musik, neue Events, neuer Input.

Und, ihr ahnt es bereits:

Wenige Kapitel später fühle ich mich abermals ertappt.

Wir haben Angst, das Leben zu verpassen. Daher beschleunigen und verdichten wir es, packen so viel hinein wie nur möglich, machen es effizienter und straffer. Doch dadurch verpassen wir unser Leben erst recht. 

Wie wahr, wie wahr.

Doch: Was tun mit der Erkenntnis, dass auch ich so ticke? Dass ich nicht alleine bin mit meiner Orientierungslosigkeit, dass diese ein gewaltiges Problem einer gewaltig freien – und dennoch in den grenzenlosen Möglichkeiten gefangenen – Generation ist? Die überfordert ist von all den Möglichkeiten ist, sich erschlagen fühlt von all dem permanten Input? 

Ich weiß es nicht, und auch der Autor lässt den Leser ratlos mit dieser Frage zurück. Nachdenklich, erwischt. 

Beschleicht auch euch die leise Ahnung, ein “Maybe” zu sein? Oder seid ihr einfach neugierig geworden?

Tut euch selbst einen Gefallen, ersteht und lest dieses Buch! Falls euch das nicht beim lieben Buchhändler ums Eck möglich sein sollte, notfalls auch bei Amazon. 

 

Mein eigenes Dilemma: Lyrisch verpackt

Ich selbst habe übrigens – just an dem Tag, an dem ich die Lektüre begann – versucht, meinen Gedankenrausch lyrischen Ausdruck zu verleihen.

Es geht um Willen, um Entscheidungen, um die Frage nach dem “Wohin”. Und um das, was mir, was anscheinend uns allen fehlt: Mut und Rückgrat. Man sagt, man sei die Summe seiner Entscheidungen.

Und da ist vielleicht was dran. 

 

Zahnschmerzen und Einsamkeit.

Ich hasse diesen Tag schon jetzt.

Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Und meine Gedanken wissen so gar nicht mehr, wo sie nun anfangen sollen zu rotieren. Und wann das irgendwie enden soll.

To Do-Listen, die nicht enden wollen. Entscheidungen, die getroffen werden wollen. Termine, die eingehalten werden, Dinge, die bezahlt werden wollen. Wollen, wollen, wollen.

Wer fragt mich eigentlich mal, was ich will? Ach, verdammt. Das weiß selbst ich heute nicht so recht.

Als ob das nicht alles schon genug wäre, fühlt sich mein Mundinnenraum an wie ein Nagelbrett im Höllenfeuer. Schönen Dank auch, lieber Zahnarzt, für diese dentalmedizinische Tortur. Kurzum: Mir geht’s beschissen.

Nach Hause gehen will ich nicht. Ich fürchte die Deckenwand, die mir dort endgültig auf den Kopf fallen würde. Und nicht einmal auf mein Lieblings-Café hab ich Lust, will mich nicht unter lachenden Menschen befinden. Die ihrer Lebensfreude schadenfroh mit Latte Macchiato Ausdruck verleihen. Nee, heute echt nicht.

Aber Bewegung, das tut sicher gut, ist zwar schweinekalt, aber egal.
Ich schwinge mich aufs Fahrrad, lande irgendwie am Ostbahnhof.

Der Anblick des maroden Empfangsgebäudes passt zu meiner Stimmung. Zerbrechlich, kaputt, fehl am Platze.
Derart verfallen, dass es sogar von Stahlstreben gestützt werden muss.

Hey, und wer stütz bitte MICH?!

Wohl gerade niemand, Freunde auf Arbeit, Familie weit weg. Hab ich wohl wieder mal nur mich selbst. Schnell weg von hier.

Als ich das Mainufer erreiche, stehe ich dann kurz vor dem Kältetod. Sogar der wäre mir heute aber vermutlich egal, aber dann will ich vorher wenigstens noch ein paar Fotos machen.

Ich steige also die Deutschherrnbrücke hinauf. Und da stehe ich dann, eisiger Wind bläst mir ins fröstelnde Gesicht, ich starre hinunter in den Main und auf die Skyline. Ich fühle mich unendlich einsam und klein. Ich mache ein paar Bilder, bis meine Finger taub sind und erste Anzeichen einer bläulichen Verfärbung vorweisen.

Irgendwann halte es nicht mehr aus. Einsamkeit, Kälte, taube Finger, Zahnschmerzen, Scheißwelt.

Ich fahre zurück gen Innenstadt. Und erspähe mein Lieblings-Café. Hat mich mein Unterbewusstsein hierher gesteuert?

Was soll’s, ein heißer Kaffee erscheint mir nun überlebenswichtig. Als dieser dann vor mir dampft und meine Finger langsam auftauen, da besehe ich mir die Bilder von eben.

Und ich muss zum ersten Mal am heutigen Tage schmunzeln. Welch schöne Szenerie sich auf dem Display meines Telefons mir doch hier bietet.

Danke, Frankfurt, dass ich mich in dir zu Hause fühlen darf.
Auch – und ja, vielleicht gerade dann – wenn’s mir beschissen geht.

Nur ein bisschen wärmer, das dürftest du wirklich gern mal wieder werden. Dankeschön!

Nach Hause kommen.

Weihnachten, das ist keine Geburtstagsfeier.
Jedenfalls habe ich die heutige Reise nicht aufgenommen, um die Niederkunft eines Romanhelden zu feiern.
Nein, Weihnachten, das ist für mich ein Gefühl.

 

 

Das wird mir einmal mehr klar, als ich die Schwelle überschreite.
Die Schwelle der Eingangstür meines Elternhauses meines Heimatdorfes, irgendwo in der hessischen Prärie.

Die Schwelle, über die ich bereits als Säugling getragen wurde.
Ich umarme meine Liebsten.

Und als ich so am Küchenfenster stehe, den Blick schleifen lasse hinüber zur Kirche – diesen Ausblick, der mich meine gesamte Kindheit und Jugend über begleitete – und meine Mutter nebenan am Herd rotiert, da fühle ich es:

Weihnachten.

Das Gefühl, nur ein einziges Mal im Jahr mit den den Menschen zusammen zu sein, die mir am meisten bedeuten. Die mich einst in die Welt gesetzt haben, die mich kennen wie niemand sonst – und diejenigen, die mich schon mein Leben lang begleiten. Familie eben.

 

Familie, das bedeutet “zu Hause sein”:

Sich geborgen fühlen, keine Rolle spielen zu müssen. Ein einziges Mal im Jahr die Nachrichten die Nachrichten sein zu lassen. Unsere grausame Welt, Aleppo, 12 Tote auf einem Berliner Weihnachtsmarkt, Hass, Krisen und Gewalt ganz kurz zu vergessen.

 

 

Und sich auf das zu besinnen, was wichtig ist im Leben:

Zu wissen, wo man herkommt. Vielleicht nicht mehr hingehört, aber jederzeit zurückkehren kann, um durchzuatmen.

Und wenn es nur für zwei Tage ist. Bevor wir uns alle wieder bewähren müssen in einem Leben, das viel zu oft mit “leben” nicht mehr viel gemein hat .

Es duftet nicht nur mehr nach meiner Kindheit, es duftet nach Tannennadeln, Mamas Essen und Papas Parfum. Zeit, den Deckel meines Laptops herunterzuklappen.

 

Zu genießen, worauf es doch eigentlich nur ankommt:

Die Liebe zur Familie, die Liebe zum Nächsten.
Ein friedvolles Miteinander in einer manchmal verdammt rauen Welt. 

Und dabei all Diejenigen nicht zu vergessen, denen das Glück eines Zuhauses und einer Familie nicht vergönnt ist. Die sich – gerade in diesen Tagen – in ihrer Einsamkeit nach Liebe sehnen.

 

Wie schade, dass uns dies nur ein einziges Mal im Jahr gelingen mag.
Und genau dieses einzige Mal: Das ist für mich Weihnachten.

 

Laufen über Stock und Grabstein.

In meinem jüngsten “Lesestoff”-Artikel, in dem ich euch die beiden Bücher “Club der roten Bänder” sowie “Club der blauen Welt” vorstelle, hatte ich es bereits erwähnt: 

Die Lektüre der beiden Bücher hat etwas in mir bewegt. Etwas ausgelöst, mir ein Bewusstsein geschaffen. Mich an etwas doch eigentlich Selbstverständliches zurück erinnert:

Das eigene Leben ist endlich.

Eine simple Tatsache, die ich, vielleicht wir alle, nur allzu gern verdrängen. Ist das nicht eigentlich schade? Wie soll man auch das Leben schätzen, feiern und genießen, ohne die Existenz des Todes als Gegengewicht anzuerkennen?

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Wir errichten Mauern um den Tod

 

Und während mich diese Gedanken um das Leben und den Tod als Nachhall der Lektüre umtreiben, während ich feststelle, wie achtlos auch ich bisher mit dem Tod umging, drängen sich mir Fragen auf.

Ich lebe im Nordend, fast täglich passiere ich die hohen Mauern des hier befindlichen Frankfurter Hauptfriedhofs. Einen Gedanken daran, wie es dahinter ausschauen könnte – den hatte ich bislang allerdings noch nie verschwendet.

Warum eigentlich? Warum verschließen wir die Augen so sehr vor dem Tode, dass wir sogar seine Heimat mit hohen Mauern umschließen? Als wäre es äußerst unangenehm, nur ein notwendiges Übel, ihm Platz im Raum unserer Stadt zu gewähren zu müssen?

Wieso weiß sogar ein sonst so an unserer Stadt interessierter, neugieriger junger Mensch wie ich nicht, wie es auf dem riesigen Areal hinter den hohen Mauern aussieht? Nein, eine Antwort darauf finde ich zunächst nicht.

Doch einen Blick riskieren hinter die hohen Mauern, das möchte ich. Möchte auch dem Tod Platz in meinem Bewusstsein geben, möchte ihm auch während ich lebe begegnen.

 

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Joggen statt Trauern

 

Ist es nicht irgendwie bescheuert, dass so viele von uns Friedhöfe nur dann aufsuchen, wenn ein lieber Mensch verstorben ist? Wir sind doch allesamt froh, diesen Ort nach der Bestattung möglichst schnell wieder verlassen zu können – und hoffen anschließend, ihn so bald nicht wieder aufsuchen zu müssen.

Warum konfrontieren wir uns nur dann mit diesem Ort, wenn wir einen Mitmenschen verloren haben? Das erscheint mir nun etwas unverständlich. Man sollte den Tod doch zumindest hin und wieder mal kurz grüßen, um ihn nicht zu vergessen. Und das möchte ich nun tun.

“Hallo auch, Tod – ich weiß, dass du auch mich irgendwann ereilst. Aber gerade deswegen möchte ich mein Leben hier genießen, lass’ dir gern noch ein wenig Zeit. ‘nen schönen Sonntag noch!”

Dass ich ausgerechnet heute davon lese, dass die Zahl der Krebs-Neuerkrankungen in Deutschland stark gestiegen ist, schockiert mich und bestärkt mein Bedürfnis:

Ich beschließe, dem Tod am heutigen Sonntag Besuch in Form meiner morgendlichen Jogging-Runde abzustatten.

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Die Welt hinter den Mauern

 

Klar, mir ist durchaus bewusst, dass ich mir für meine sportlichen Aktivitäten einen – nun, ja – etwas “unkonventionellen” Ort ausgesucht habe. Auch bin ich ein wenig umsorgt, wie die Besucher des Friedhofes wohl auf meinen ungewöhnlichen Besuch reagieren werden. Platze ich gar in eine Trauergesellschaft hinein? Ist das, was ich hier zu tun gedenke, nicht genau das, was man in aller Regel als “pietätslos” bezeichnet?

Egal, ich mache das jetzt. Und bin erleichtert, als ich schon kurz nach dem Passieren des großen Eingangsportals der Grabstätte auf die ersten Menschen treffe, die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen besuchen und pflegen. Oder – ja, tatsächlich! – einfach spazieren gehen. Sie allesamt erwidern mein freundliches Nicken, manche wünschen gar einen schönen Sonntag. Puuh! 

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Die Welt indes, die sich hinter den Mauern verbirgt:

Sie erscheint mir fremd, obwohl sie dem Ort, an dem ich lebe, doch so nahe ist. Ich trabe über die endlosen und verschlungen Wege des Friedhofs. Lasse meinen Blick über Grabstätten und die vielen Bäume streifen. Ja, es fühlt sich eigentümlich an, hier zu sein. Das Laufen als Ausdruck meines Lebens inmitten der Erinnerungen an jene, denen dieses Glück nicht mehr gewährt ist.

Diese Erinnerungen, so stelle ich fest, sind teils noch frisch. Noch hell ist die Erde auf den Gräbern, noch ganz neu die darauf abgelegten Kränze. Und dann gibt es jene verwitterte Grabsteine, die aus einer gänzlich anderen Zeit zu stammen scheinen. Teils so verfallen sind, dass sie bald einzubrechen drohen.

Ich fühle mich, als liefe ich durch einen wunderschönen Park. 
Nur, dass unter den Zweigen, die unter meinen Schritten knacken, Gebeine vergraben sind. Ich schaudere.

 

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Würde es die Begrabenen wohl stören, wüssten sie, dass ich hier über sie hinweg trabe?

All meine mir vermittelten Wertvorstellungen sagen mir, dass mein Tun zutiefst pietätlos sei.. Aber warum sollten sich die Toten daran stören, wenn die Erinnerung an sie einen selbstverständlichen Platz im alltäglichen Leben der Stadt findet?

Nein, ich glaube nicht. Sollte es sie nicht viel mehr stören, dass wir Mauern um die Erinnerung an sie errichten?

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Darf ich mich hier wohl fühlen?

 

Weiterlaufen, tief einatmen. Die kalte Luft zieht kalt in meine Lunge.
Ich ärgere mich darüber, den Friedhof nie zuvor betreten zu haben.
Hinter jeder Kreuzung, an jedem Wegesrand werde ich überrascht von all den schönen Skulpturen, den ausgefallenen wie auch den schlichten Grabsteinen.

So unvorstellbar dieses Reich manchem sein mag, der von außen auf die Mauern blickt – so unvorstellbar erscheint mir gerade jene Welt des Alltags jenseits dieser Mauern. In der sich der Verkehr staut, Menschen zur U-Bahn hetzen, die gefüllten Einkaufstüten in der Hand. Big City Life as usual. 

Ich will erst später wieder Teil davon sein, ich bin gerade gerne hier. Bin fasziniert von den erhabenen Gedenkstätten an die Gefallenen des Krieges, von der Erkenntnis, dass ich mich gerade allen Ernstes auf einem Friedhof befinde. Und wohl fühle.

Gerade, als ich das Tempo nochmals erhöhe, begegne ich dann doch noch einer Trauergesellschaft. Blicke in traurige Gesichter, sehe Wangen voll Tränen.

Wäre ich den schwarz Gekleideten nicht begegnet, wäre mir wohl kaum so bewusst geworden, dass ich gerade glücklicherweise niemanden verloren habe. Dass ich noch Leben bin – und laufen kann, statt beigesetzt zu werden. Hätte ich diesen Umstand so zu schätzen gewusst, wäre ich nicht in Form der Trauergemeinde mit dem Tod konfrontiert worden? Wohl kaum.

Ich will nicht sagen, dass ich den Tod nicht fürchte. Ich will nicht sagen, dass es mir gelingen mag, den Tod auf “Augenhöhe zu betrachten”, so wie der Autor der beiden Bücher tut. Dies mag ihm angesichts seines Krebsleidens vermutlich besser gelingen als mir, so oft wie der sprichwörtliche Sensenmann bereits an seiner Türe klopfte. 

Aber:

Ich finde es schade, dass der Tod meist ausgeschlossen bleibt.
Keinen Raum findet in unserem Leben. Doch daran, dass er auch mich ereilen wird, dass ich die Zeit davor bestmöglich nutzen will:

Ja, daran mag ich mich fortan täglich erinnern.
Was Lektüre doch bewirken kann.

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Ich erspähe ein Schild. “Ein Hauch von Leben” steht darauf. Und genau der Richtung, in die es zeigt,  beschließe ich zu folgen. Wieder hinaus in den Großstadttrubel, all die Hektik, das Lachen und das Weinen.

Eben das, was man “das Leben” nennt.

Heißer Apfelwein

In meinem Beitrag “Alle Jahre wieder” hatte ich vor wenigen Wochen einen Streifzug sich über den damals noch im Aufbau befindlichen Frankfurter Weihnachtsmarkt gewagt. 

Dabei – es war Ende November – musste ich feststellen, dass es mir in diesem Jahr ganz besonders widerstrebt, Weihnachten zu feiern. Und meine Gedanken zur Besinnlichkeit auf kalendarischen Befehl mit euch geteilt.

Dennoch hatte ich angekündigt, dass auch ich bereits bald Teil des Weihnachtsmarktes sein werde. Unter Lichterketten stehend, mit dampfendem Heißgetränk und Tüten voll Weihnachtseinkäufen in den Händen.

Und, was soll ich sagen: Es ist soweit.

Obwohl gerade es gerade einmal Anfang Dezember ist, noch drei Wochen vergehen werden, bis sich an Heiligabend wieder Familien unterm Tannenbaum zusammenrotten und eifrig Geschenke austauschen. Obwohl die neue Woche gerade erst begonnen, der heutige Abend noch ganz jung ist:

Die Menschen strömen an die Weihnachtsbuden, als würde es morgen verboten. Die Stadt scheint zu platzen im Glühweinrausch. 

Und dennoch wirkt kaum einer der dick in Mantel und Schal eingepackten Menschen so, als wäre er freiwillig hier. Lausche ich hin und wieder den Gesprächen rechts und links, nehme ich Unmut allenthalben wahr.

Da wird sich über die vielen Termine in der Vorweihnachtszeit beschwert. Die Firmenfeier hier, die vom Sportverein da – die Verwandtschaft will besucht werden, nebenbei müssen noch Karten geschrieben werden. Von den Geschenken mal ganz zu schweigen, der ganze Einkaufsstress, ganze Nachmittage in der Warteschlange vor der Kasse verbracht. Und finanziell, ja, da sei man ebenfalls bald ruiniert. Und nervlich sowieso.

Ich bin ja schließlich auch hier!

Aber, ich will hier gar nicht lästern, ich bin ja schließlich auch hier – und warte fröstelnd auf meinen ersten heißen Apfelwein. So ein Weihnachtsmarkt in der Innenstadt ist ja schon irgendwo irre praktisch, um nach Feierabend die Freunde zu treffen.

Und, sind wir ganz ehrlich: Auch irgendwo ein schöner Anblick.

Klar, Lichterketten, Rentiere und Tannenbäume vor der Kulisse des Römerbergs mögen ledigliche technische Installationen, vielleicht sogar Kitsch sein. Aber sehnen wir uns nicht alle nach einer solchen heilen Welt?

Klar – daran, was ansonsten so in dieser Welt geschieht – darüber sollte man nicht denken in dem Moment, in dem man mit kindlicher Begeisterung auf das hell erleuchtete Karussell, den rauchenden Schornstein des “Schwarzwaldhauses” blickt.

Ich nippe an meinem heißen Apfelwein. Wärme durchströmt mich, lässt mich die Eiseskälte kurz vergessen.

 

Um das “Vergessen”, ja, darum geht es wohl den meisten hier. 

Zu vergessen, in einer Welt zu leben, in der Menschen einander die furchtbarsten Sachen antun. Zu vergessen, dass das eigene Dasein oftmals geprägt ist von Stress, Streit, Sorgen und Ängsten. Zu vergessen, dass das menschliche Miteinander nicht immer einfach ist.

Und – für einen kurzen Moment, hier an diesem Ort – mag das nach einiger Verweildauer irgendwie gelingen. Die Menschen hier eint die Sehnsucht nach der besseren Welt, einem friedlichen Miteinander. Der Nächstenliebe.

 

Drei Glühwein später

Und nach dem dritten Glühwein mag sich dieses Gefühl dann tatsächlich einstellen. Das Gefühl, nicht nur seine Freunde gern zu haben – sondern auch all die Besucher ringsum ins Herz schließen zu wollen. Die prallen Tüten in der Hand, die Sorgen im Kopf, die Nachrichten des Tages einen Moment lang zu vergessen – und das ewig drehende Karussell anzustarren, immer noch leicht frierend. Das Gefühl der Vorfreude, seine Liebsten an Heiligabend wieder zu sehen. Oder auch alte Freunde aus der Schulzeit. Das Gefühl, dass diese Welt zumindest eine kurze Zeit lang eine gute ist.

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Und hey, ist nicht genau das Weihnachten? 

Nein, ich halte nichts von Kirchen, Religionen im Allgemeinen, dem Christentum. So gar nicht.

Diese Sehnsucht nach der “heilen Welt”, nach Nächstenliebe, nach Harmonie:
Die steckt auch in mir. Wie wohl auch in jedem hier.

 

Und ist die Weihnachtszeit nicht genau das?

Eine – wenn auch ursprünglich kirchlich definierte – Zeit, um die in uns allen steckende Sehnsucht nach Liebe und Frieden zu leben? Und leider die einzige, in der es uns gelingt, an eine bessere Welt zu glauben und jenes behagliche Gefühl zu verspüren, dass irgendwie doch alles gut wird?

Ich glaube, leider ja. Darauf noch ‘nen heißen Äppler. 

328 Stufen.

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Der Aufstieg.
328 Stufen.
Roter Backstein, Gitterfenster.
66 Meter. Verschnaufen, innehalten.
Die Aussicht.
Verschlägt den Atem, kurz die Sprache.
Den Blick streifen lassen über die Dächer der Stadt.
Brücken, Schiffe, Main. Skyline, Römerberg, der Weihnachtsbaum.
Baustellen, Nieselregen, ein Karussell.
Frankfurt von oben, eine Heimat, ein Gefühl.
Alltag, Freude, Sorgen. Alles ganz weit unten.
Der Abstieg.
Drehwurm, aufeinander achten in der Enge.
Stimmgemurmel, Englisch, Französisch. Fernöstlich gar.
Wieder auf dem Pflaster der Stadt, ein Blick zurück nach oben auf den Dom.
Welch schöner Perspektivwechsel.
Der Aufzug.
Leider nicht vorhanden.

 


sw

 

Habt auch ihr Lust bekommen, einmal die Stufen des Frankfurter Doms zu erklimmen?
Der Aufstieg kostet 3 Euro (für Studenten 1,50) und ist ein wenig mühsam – doch der anschließende Ausblick auf die Stadt entschädigt alle Atemnot!

 

Ach ja: Ein paar Bilder hab’ ich natürlich auch gemacht:

 

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Bin ich eigentlich merkwürdig? Warum ich am liebsten allein ins Café gehe.

Manchmal frage ich mich ja, inwieweit ich eigentlich noch ganz normal bin.
Wobei: Normal – was bedeutet das eigentlich?

Wer bestimmt, was “normal” ist, und:
Ja, wer ist das eigentlich schon?

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Die Idee zu diesem Artikel kam mir, als ich mit meinem guten Freund Michael im Café verabredet war. Ich war mal wieder ein wenig spät dran, und als ich Michael dann – mit schlechtem Gewissen ob meiner Unpünktlichkeit – erspähte, sah ich ihn seelenruhig bereits am Tisch sitzen. Vertieft in sein Buch.

Und wie ich ihn da so sitzen sehe, denke ich mir, dass auch ich genau dieses Bild oft abgebe. Alleine im Café lümmeln, die Tageszeitung vor mir ausgebreitet.
Für mich kann ein Tag kaum wunderbarer beginnen.

Oftmals werde ich aber  immer wieder ungläubig bis verstört angeschaut, wenn ich erzähle, dass ich den ganzen Nachmittag im Café verbracht habe. Oder auch den (Feier-)Abend an der Bar. Und zwar allein.


“Was sollen da die Leute denken?”

 

“Du gehst alleine ins Café?!” – oftmals ernte ich für mein größtes Hobby nur Unverständnis. Ich wiederum vermag nicht zu begreifen, weshalb so viele Mitmenschen stets darauf bestehen, sich am Eingang des verabredeten Cafés, , dem Eingang der verabredeten Kneipe zu treffen.

Einst habe ich einen guten Freund, mit dem ich ich mich in einer Sachsenhäuser Schankwirtschaft verabredet hatte, fröstelnd vor der Türe der Kneipe vorgefunden. Ein wenig verwundert hatte ich den frierenden Kerl gefragt, warum er bei dieser Schweinekälte denn nicht bereits in die warme Stube hineingegangen sei.

“Ich geh’ da doch nicht alleine rein, was sollen denn da die Leute denken?” – so seine Antwort.

Und meine Kinnlade so: Runter. 

Tja, was denken “die Leute” eigentlich über Menschen wie mich, denen im Kaffeehaus Tageszeitung und Buch als Begleitung vollkommen ausreichen?

Die abends mit Notizblock und einem frisch gezapften Bier ihren Feierabend verbringen? Denken “die Leute” etwa, solche Menschen seien bemitleidenswerte Kreaturen ohne Freunde?

Soziopathen, komische Käuze, Eigenbrötler?

Nein, sowas möchte ich nicht auf mir sitzen lassen. Möchte mich verteidigen, möchte klarstellen und erläutern. Klar, könnte mir auch egal sein, was “die Leute” so denken. Ist’s mir dann aber doch nicht ganz. 


Weil, liebe “ich geh’ doch nicht alleine Kaffee trinken!” – Fraktion:

Alleine im Café sitzen ist großartig! Auf mein tägliches Ritual könnte ich niemals verzichten, schöner kann ich einen Tag nicht beginnen und nicht enden lassen.

Und warum das so ist, das mag ich euch nun erklären. Auf dass auch ihr euch traut, auf dass auch ihr euch einmal alleine auf den Weg zum nächstbesten der zahlreichen so wunderbaren Cafés dieser Stadt macht.

Warum das einfach unendlich viel Freude bereitet, mag ich euch nun anhand einiger Punkte aufzählen. 

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Weil ich alleine frei bin

Ohne ein Gegenüber, mit dem ich verabredet bin, bin ich frei in dem was ich tue oder lasse. Ich bin nicht dazu verpflichtet, einem anderen Menschen meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich muss nicht fürchten, dass sich eine andere Person von mir vernachlässigt oder nicht ausreichend unterhalten fühlt.

Alleine dagegen kann ich in Ruhe meine Tageszeitung lesen. Kann dabei ganz unverschämt Kopfhörer tragen, um meine Lieblingsmusik zu genießen.Kann mich gänzlich isolieren von der Außenwelt. Kann vor die Türe schreiten, um zu rauchen. Wann ich will, so oft ich will.

Ich kann den Blick von meiner Zeitung heben, kann den fremden Tischnachbarn auf die Nachrichten des Tages ansprechen. Mich mit ihm austauschen – sofern mir danach ist. Ich kann in Ruhe meinen Tag planen, kann die Einrichtung des Cafés intensiv studieren.

Kann den Inhaber darauf ansprechen, kann es aber auch bleiben lassen. Ich kann nach einer halben Stunde zahlen und weiterziehen, ohne unfreundlich zu wirken. Oder einfach stundenlang verweilen, ohne jemanden zu langweilen.

Und ja, man kommt so unendlich leicht ins Gespräch mit fremden Sitznachbarn. . Wirklich. Doch dazu mehr später – vorerst halte ich fest:

Alleine im Café bin ich mein eigener Herr, bin nicht alleine, wenn ich nicht will. Und dennoch gänzlich ungestört, wenn ich es sein mag.

Ich bin einfach gänzlich frei.

 

Weil People-Watching so unendlich aufschlussreich ist

Wisst ihr eigentlich, wie spannend es sein kann, nichts weiter zu tun als fremde Menschen zu beobachten? Ihre Kleidung zu betrachten? Ihnen zuzuschauen bei dem, was sie so tun? Oft überlege ich mir, welchen Job sie ausüben könnten.

Und wenn meine Neugier über mich siegt, dann spreche ich sie gern darauf an.

Natürlich kann man auch ganz hervorragend fremde Gespräche belauschen, was durchaus erheiternd wie lehrreich sein kann. Und häufig auch überaus unterhaltend wie amüsant!

Der gemeine Betrachter kann durch sein Beobachten unendlich viel über das (zwischen-)menschliche Verhalten lernen. Wie ein offensichtliches Tinder-Date nach dem dritten Glas Wein nach einem anfangs drögen Gespräch doch noch seine Vorliebe füreinander entdeckt. Wie ein offensichtlich Berlin-Mitte entflohener Hipster hochkonzentriert vor dem MacBook sitzt und stundenlang in die Tasten hämmert, während er an seinem vierten ColdBrew-Kaffee schlürft.

Wie gegenüber eine junge Frau verzweifelt versucht, einzuparken – und sich nach dem vierten Anlauf von einem zufällig vorbeilaufenden Passanten helfen lässt. Und sich mit hochrotem Kopf dafür bedankt.

Wie vier hochgradig wichtig wirkende Männer im Anzug über Börsenkurse diskutieren, während am Nachbartisch drei Pubertierende ihre prall gefüllten Primark-Tüten abstellen. Sich gegenseitig davon erzählen, mit welchen heißen Billig-Fummeln sie Freitagabend den Kevin aus der Neunten zu beeindrucken gedenken.

Hätte ich im Beisein einer Begleitung Zeit, meine Umwelt derart zu beobachten?
Wohl eher nicht.

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Weil es so spannend ist, einfach abzuwarten – und man dabei wertvolle Bekanntschaften macht.

Kleines Gedanken-Experiment:

Welchen Menschen könnte ich begegnen, genösse ich Lektüre und Kaffee auf meinem Sofa? Bestenfalls dem Mitbewohner, regelmäßig auch dem Paketboten, seltener dem Ableser für Heizung, Gas, Wasser, Schei… ach, nee, die wird ja gar nicht abgelesen (ein Glück!).

Über Besuch pflege ich mich zu freuen, aber auch dieser ist mir in der Regel bereits bekannt.

Ganz anders gestaltet sich all dies jedoch im öffentlichen Raum von Café und Kneipe: Ist es nicht einfach eine unendlich schöne Vorstellung, sich alleine niederzulassen und nicht zu wissen, welchen Menschen man innerhalb der nächsten Stunde(n) begegnen wird? Ist es nicht aufregend, jeden Tag aufs Neue Gespräche führen zu können, die niemals absehbar waren und deswegen so ganz besonders wertvoll sind?

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Ja, mit Fremden ins Gespräch zu kommen erfordert Mut. Und doch ist es so einfach, geschieht quasi zwangsläufig – und stärkt obendrein das Selbstbewusstsein.

Ich bin dankbar um jede einzelne Bekanntschaft, um jeden einzelnen Menschen, den ich auch nur für einige Minuten lang kennen lernen durfte.

Die junge Frau, die ich auf ihr Tattoo ansprach – und die mir daraufhin die letzte, zündende Idee für mein lang ersehntes, neuestes Kunstwerk unter meiner Haut lieferte.

Der junge Student, der – einige Jahre nach mir – in meiner Heimatstadt geboren wurde. Die ältere Dame, welche mir so viel Aufschlussreiches über das frühere Leben in Frankfurt berichten konnte, der Herr, der ambitionierte Anzug-Träger, welcher sich seine Zukunft hier am Main erhofft. Die junge Ostdeutsche, die Wahl hatte zwischen Wartebereich eines Arbeitsamtes in der Niederlausitz oder einem Job in Frankfurt. Die Künstlerin im Bahnhofsviertel, die so lebensfrohe Dame aus dem Café, welche zwar überaus vergesslich ist, aber meine Vorliebe für die Frankfurter Rundschau teilt. Die Blogger-Kollegin, welche ich aufgrund ihres “Wordpress für Dummies” – Buches angesprochen hatte. Meine liebste Nachbarin, deren Bekanntschaft ich einst schloss, als ich mich nach Feierabend mitsamt meines Buches unter dem Sternenhimmel einer Sommernacht im Biergarten des “Feinstaub” niederließ.

Um jede Einzelne dieser Begegnungen bin ich dankbar, keine einzelne davon möchte ich missen. Ist man verabredet, so ist die eigene Aufmerksamkeit dann doch dem Gegenüber geschuldet – alleine jedoch bin ich offen für all meine Mitmenschen, welche auch immer in meiner Nähe Platz nehmen werden.

Und genau deswegen liebe ich es, einfach Platz zu nehmen, zu genießen und abzuwarten. Auf Das- und Denjenigen, was und wer auch immer kommen mag.

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Weil ich mich hier am besten konzentrieren kann

Ich lese bekanntlich viel und gerne. Und ebenso gerne verfasse ich selbst Texte, bearbeite die Ausbeute meiner fotografischen Streifzüge durch die Stadt.

Nur: All das fällt mir in den heimischen vier Wänden schwer. Zu schnell bin ich dort abgelenkt, zu verlockend sind andere Beschäftigungen.

Hier das Regal, das noch schnell abgestaubt werden könnte, hier der Teller, der noch weggeräumt werden müsste – und, ach ja, wenn ich doch eh noch mal in die Küche gehe, dann kann ich ja direkt noch eine Maschine Wäsche anstellen. Ist ja auch längst überfällig. Irgendwo beneide ich ja Menschen, die einfach stundenlang zu Hause auf dem Sofa liegen können. Dabei ein Buch lesen, einen Film anschauen, ihr neues Projekt fertigstellen.

All dies gelingt mir jedoch am besten in einer ruhigen Ecke im Café oder im schummrigen Licht an einer Bar. Hier gibt es für mich sonst nichts weiter zu tun, hier kann ich jederzeit um Meinungen bitten, kann Pausen machen und kurz mit den Sitznachbarn plauschen, wenn es mir beliebt. Fast überall in der Stadt sind mittlerweile offene WLAN-Netzwerke verfügbar, sodass mir die gesamte Welt offen steht, wenn ich meinen Klapprechner in meine Tasche packe. Oder einfach das Buch, auf dessen Erscheinung ich doch schon so lange gewartet habe.

Und der schönste Moment des Tages ist doch sowie derjenige, in dem sich der stechende Geruch der Druckerschwärze einer frisch gedruckten Zeitungen mit dem herrlichen Aroma einer dampfenden Tasse Kaffee vermengt.

Ja, dafür bezahle ich auch gerne Geld. Zu Hause ist’s umsonst, auswärts ist es lebenswert. Finde ich. Ist das jetzt unnormal?

 

Traut euch!

Auch abschließend vermag ich nicht zu sagen, ob ich nicht doch ein “schräger Vogel” bin und vielleicht diesbezüglich psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen sollte.

Aber: Wenn ich tief in mich gehe, dann bin ich unendlich dankbar für all die wunderbaren und nicht vorhersehbaren Begegnungen und Momente, welche mir meine Allein-Besuche der Cafés  in dieser Stadt beschert haben.

 

Liebe Leute, die ihr dies nicht zu tun pflegt: 

Mag sein, dass ihr besser darin seid, zu Hause auf dem Sofa konzentriert eure Serie zu verfolgen. Darauf gern auch mal ein Buch lest, weil’s “zu Hause doch am schönsten ist”. Es genießen könnt, es euch bequem zu machen mit einem Kaffee aus der heimischen Maschine, während ich für eine einzelne Tasse dafür gern auch mal nur für mich so viel bezahle, wie ihr für ein ganzes Pfund.

Doch: Dieses Geld ist gut investiert.  “Auswärts” alleine sein ist schön, ganz ohne Verpflichtungen, und doch voller Überraschungen.

Dennoch bleibt dieses Gefühl in mir. Dieses Gefühl, welches mir sagt, dass es nicht “ganz normal” ist, was ich so gern tue. Doch immer dann, wenn ich meinen Blick streifen lasse – und andere entdecke, die es sich mit Buch, Zeitung oder Notebook bequem gemacht haben und ein Getränk ihrer Wahl genießen –  dann weiß ich, dass ich nicht alleine bin.

Und dass es sich – vorausgesetzt, mir steht der Sinn danach – lohnt, mutig zu sein, ein Gespräch zu beginnen. Mal schauen, welch Mensch hier gerade neben mir sitzt.


Die nächste spannende Begegnung, das nächste wertvolle Gespräche lauert schließlich an jeder Ecke. Darauf noch ‘nen großen Café Creme mit Sojamilch. Ach ja, und ein Glas Leitungswasser dazu. Für den Hals.

 

Lesestoff: Von roten Bändern und einer blauen Welt

Der Weihnachtsmarkt ist jüngst eröffnet worden, das Jahr nähert sich dem Ende. Und zusammen mit der Adventszeit stehen auch die kürzesten Tage und längsten Nächte vor der Türe. Die beste Zeit des Jahres zum Lesen also (okay, und zum Glühwein trinken, natürlich).

 

Also: Einkuscheln, Buch zücken, die Gedanken kreisen lassen!

Mein neuester Lese-Tipp für euch war für mich zunächst ein echter Zufallstreffer und Glücksgriff. Die Wartezeit am Bahnhof genutzt, um die Regale der Bahnhofsbuchhandlung zu durchstöbern, ein paar Klappentexte studiert – und beim Titel “Club der blauen Welt” des spanischen Autors Albert Espinosa hängen geblieben.

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Dass es sich hierbei um die Fortsetzung des Buchs “Club der roten Bänder” handelt, welche längst erfolgreich als TV-Serie des Senders VOX handelte, wusste ich zunächst nicht.

Nachdem ich an einem einzigen Tag das erste Buch verschlungen hatte, habe ich mir direkt dessen Vorgänger gekauft und ebenfalls innerhalb des Folgetags verschlungen. Weshalb die beiden Bücher dermaßen in ihren Bann gezogen haben und wieso ich euch deren Lektüre unbedingt ans Herz legen kann?

 

Selten hat mich Lektüre so bewegt

Zunächst zur Story der beiden Bücher:

Diese unterscheidet sich zwar grundlegend in der Handlung – so beschreibt der erste Teil (“Club der roten Bänder”) beschreibt autobiographisch die Erfahrungen, welche der Autor in der Zeit seiner Krebserkrankung sammeln konnte. Und wie er diese nach seiner Heilung, welche ihn allerdings sein Bein kostete, auf ein neues, glücklicheres Leben übertragen konnte.

Der zweite Teil (“Club der blauen Welt”) handelt dagegen von einer Gruppe unheilbar kranker junger Menschen, welche die letzten Tage bis zu ihrem sicheren Tod auf einer abgelegenen Insel verbringen. Ihren sicheren Tod vor Auge. Wie also verbringen sie ihre letzten Tage?

Letztlich geht es darum, den Tod zu akzeptieren. Nicht zu verdrängen, sondern von ihm ausgehend sein Leben neu auszurichten. Den sicheren Tod zu akzeptieren und als Gegengewicht zum Leben zu betrachten. Ja, was wäre ein Leben auch schon wert, ohne den Gegenwert des Todes? Nichts.

 

“Frei bist du, wenn du tust, was du nicht musst”

Nein, diese Bücher sind keine Lebensratgeber. Von diesen halte ich ohnehin nicht viel, davon distanziert sich der Autor auch in beiden Vorworten. Vielmehr Geschichten vom Tod als Ende, welches es zu akzeptieren statt verdrängen gilt – und aus einem Bewusstsein eines unabwendbaren Todes sein eigenes Leben zu leben. Und diesem schlussendlich Sinn zu verleihen.

Besonders bewegt mich momentan der Gedankengang, dass ein Menschenleben ohne Tod nichts wert ist. Wie oft verdränge ich, wie oft verdrängen wir alle das Bewusstsein darüber, dass auch unsere Existenz endlich ist?

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Wie schade eigentlich, Kann das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit doch so viel Kraft freisetzen. Dabei helfen, sich auf des Wesentliche zu konzentrieren.

Und genau hierfür bewundere ich den Autor: 

Dem eigenen Tod unendlich oft ins Auge gesehen, ist es ihm gelungen, allen Umständen seines am Krebs erkrankten Lebens etwas abzugewinnen. Und diese Erkenntnisse auf ein Leben nach der Heilung zu übertragen. Nein, soweit soll es bei mir (und auch euch!) niemals kommen – aber auch ich habe nach der Lektüre das Bedürfnis, mein Dasein neu zu überdenken.

 

Wenn beim Lesen fast die Tränen kommen

Ganz besonder berührt haben mich die Worte, die dem Autor von einem im Krankenhaus im Sterben liegenden Zimmernachbarn mit auf den Weg gegeben wurden. Erinnern mich diese Worte doch so sehr an mein eigenes oftmaliges Unvermögen, das Wesentliche im Leben zu erkennen. Meine Neigung, mich in Nichtigkeiten zu verlieren, meinen Fokus falsch zu setzen. Oftmals lediglich zu funktionieren, statt zu leben. Daran, dass auch ich nur allzu gern verdränge, dass auch mein Dasein endlich ist.

Diese letzten Worte eines Sterbenskranken möchte ich hier kurz wiedergeben:


Die Basis für alles ist die Überzeugung,
dass du heute noch sterben wirst. Sie verleiht dem Leben
einen Sinn – mehr gibt es nicht.

Und wenn du am nächsten Tag doch wieder aufwachst, dann
ist die Freude groß, weil man dir weitere 24 Stunden geschenkt hat.
Rufe dir jeden Tag in Erinnung, dass du ihn auf deine Art und
weise verbringen musst.

Was bringt es denn, nach den Regeln anderer zu leben?

Diese lassen dich doch nur glauben, dass du noch tausend
Jahre vor dir hast. Damit du dich nicht auf die Gegenwart
konzentrierst.

Nein, wir werden nicht noch tausend Jahre leben.
Sondern nur noch einen Tag, Und dann noch einen –
und noch einen. Wenn du so denkst, bringen sie dich dazu, dein
Leben zu verpfänden.

Überleg’ doch mal – wenn dir nur noch ein Tag bliebe,
würdest du dann arbeiten? Oder deine Rechnungen bezahlen?
Würden dich die Nachrichten interessieren?

Oder würdest du lieber versuchen, dich zu verlieben?
Spielen? Du musst nichts tun, was du nicht tun willst. Zwinge dich zu nichts, was du nicht willst. Oder nicht brauchst. Lebe jede Sekunde, genieße die Minuten.

Und vor allem: Vergiss die die ganzen Pflichten. Wenn du in diesem Kreis-
lauf einmal festhängst, bringt das immer neue Verpflichtungen mit sich.
Immer.

Im Leben nach fremden Regeln verstellt dir die Stadt den Blick auf deine Seele.
Diese riesigen Gebäude hat man dorthin gebaut, damit du sonst nichts siehst.

 

Diese Zeilen lösen etwas aus in mir. Und prompt verspüre ich das Bedürfnis, zu Handeln. Mehr hierzu demnächst an dieser Stelle.

 

Kaufen!

Ich lege euch den Kauf der beiden Bücher sehr an eure Herzen!
Diese sollte natürlich bestenfalls bei eurem Buchhändler ums Eck erfolgen.

“Support your Locals” und so – ihr wisst schon!

Ansonsten – PFUI ! – klickt hier und hier.


Was ist der Sinn, den ihr eurem Leben verleihen wollt? 
Verliert auch ihr öfters einmal den Blick für das Wesentliche? 

Ich bin gespannt, ob die beiden Bücher euch ebenso bewegen wie mich.
Lasst es mich gern wissen – ich wünsche ein schönes Lesevergnügen!