Feilschen am Fluss: Der “FlowMarkt” der Sommerwerft

Gemeinhin bin ich kein allzu großer Fan des derzeit stattfindenden Kultur- und Theaterfestivals “Sommerwerft”. Programm und Publikum sind mir ein wenig zu langweilig, alternativ, Bündnis 90 — nun ja, äh, ihr wisst schon.

Am vergangenen Wochenende hat mich dann jedoch der sonntäglich stattfindende “FLOWMARKT” des Festivals zu einem Abstecher an die Weseler Werft bewogen, welchen ich mit meiner sonntäglichen Laufrunde am Main verbunden habe.

 

Und, was soll ich sagen :  WAHNSINN!

Dass ich mit Vorliebe viel Geld auf Flohmärkten lasse und große Freude am Feilschen und Scherzen mit den Stand-Besitzern habe, habe ich ja bereits in diversen Artikeln durchsickern lassen.


Soweit das Auge reicht: Flohmarkt-Treiben an der Weseler Werft

Das Mainufer unweit des EZB-Geländes bietet eine ganz hervorragende Kulisse für den regsamen Trödel, und die nebenan stattfindende Sommerwerft lädt zum gemütlichen Verweilen bei Käffchen oder Apfelwein ein, um auch das letzte noch übrig gebliebene Geld zu verprassen.

Ob Schallplatten, Klamotten, jeder Menge Vintage-Krempel, Bücher, Möbel, Bilder, Accessoires oder Foto-Apparate: An den zahlreichen Ständen werden Dinge jeglicher Couleur angeboten und lassen mein Herz höher schlagen. Die Händler habe ich allesamt als überaus freundlich erlebt, und der sonst auf Frankfurter Flohmärkten leider sehr verbreitete Fernost-Ramsch ist glücklicherweise nirgends zu erspähen.

Eine analoge Panorama-Kamera war übrigens der vorrangige Grund meines Besuchs.
Schließlich’ hab ich da so ein neues, kleines Hobby.

 

Und, was soll ich sagen: Ich bin fündig geworden!

Nach einem Paradebeispiel des erfolgreichen Handelns sowie der Durchführung diverser psychologischer Manipulationsversuche halte ich Stolz mein Schnäppchen des Tages in den Händen: Eine halbwegs ansehnliche, aber noch vollends brauchbare Fuji-Kamera.

Wer ebenfalls vor der tollen Kulisse der Sommerwerft am Main auf Schnäppchen-Jagd gehen möchte, der hat an den nächsten drei Sonntagen (letztmalig am 6. August) noch die Gelegenheit dazu. 

Räumt euer Konto leer und schaut mal vorbei, es lohnt sich — schöner lässt sich ein Sonntag in Frankfurt kaum verbringen!

Diesen Sommer schon gestoffelt?

In Frankfurt kann man ja ‘ne Menge Dinge tun, die man nirgends anders machen kann. Stoffeln zum Beispiel.

Während andernorts – vorrangig im Süden der Republik – allenfalls im Substantiv der “Stoffel” als griesgrämiger Mensch bekannt ist, bezeichnet im Frankfurter Stadtgespräch das Verb “stoffeln” dagegen dem Nachgehen einer äußerst angenehmen Tätigkeit:

Dem Besuch des Freiluft-Festivals “STOFFEL” im Günthersburgpark.

Der Name “STOFFEL” ist ein vom Veranstalter – dem Stalburg-Theater – kreiertes Kunstwort und ist nichts weiter als die Abkürzung für “Stalburg offen Luft”.

Das aber nur am Rande, das STOFFEL ist eben das STOFFEL, und wenn der Frankfurter sich bepackt mit Kaltgetränken, Decken und den liebsten Freunden gen Günthersburgpark aufmacht, um einen lauen Abend bei Live-Musik und Unterhaltung zu verbringen, dann geht er eben stoffeln.

Bei freiem Eintritt findet das Festival bereits zum vierzehnten Jahr in Folge statt – und das für stolze vier Wochen lang!

 

Sommerfreuden auf der Kippe

So etabliert das “Stoffel” mittlerweile zweifelsfrei auch ist:
Der Fortbestand auch dieser sommerlichen Frankfurter Institution darf – leider, leider! – nicht als gesichert betrachtet werden.

Darüber, dass der Veranstalter große Schwierigkeiten hat, trotz Zuschüssen seitens der Stadt kostendeckend zu arbeiten, wurde bereits zur Genüge berichtet. Auch, dass in diesem Jahr erstmalig aufgrund der Klage einer einzigen (!) Anwohnerin nur an 18 Tagen der vier Veranstaltungswochen Livemusik auf der Bühne gespielt werden darf, wurde in den einschlägigen Gazetten bereits kontrovers diskutiert. Darüber kann und darf man sicherlich geteilter Meinung sein. Das Stalburg-Theater hat jedenfalls reagiert, die Lautstärke der Musik entsprechend reduziert und an den “ruhigen Tagen” ohne musikalisches Rahmenprogramm ein spaßiges Ersatzprogramm geschaffen. So sollen auf den weiten Wiesen des Günthersburgparks Gesellschaftsspiele statt Dezibel für Unterhaltung sorgen.

Es wär’ so schade drum! Ein Aufruf.

Wieso ich also auf diesem Blog das “Stoffel” erwähnen möchte, wo das Festival doch nach 14 Jahren nunmehr jedem Frankfurter bekannt sein sollte – und über die Probleme, mit denen der Veranstalter zu kämpfen hat, bereits in jedem Käseblatt berichtet wurde?

Ganz einfach: Weil es mir ganz persönlich wichtig ist. 

Ich meine hey, wie glücklich können wir uns alle schätzen, ganze vier Wochen lang ein solch vielfältiges Festival inmitten unserer Stadt genießen zu können?

Wie dankbar muss man dem Veranstalter sein, trotz aller Widrigkeiten Jahr für Jahr aufs Neue ein solches Festival auf die Beine zu stellen? Ist es nicht fast selbstlos, dass Jahr für Jahr all die fleißigen Helfer und Organisatoren dafür schuften, damit wir eine geile Sommerzeit haben können? Und dabei mit nur mit Ach und Krach keine Verluste einfahren?

Kann man ein solches Engagement eigentlich genug wertschätzen? Ich denke, nein. Ich persönlich befürchte allerdings, dass viele von uns das “STOFFEL” erst dann zu schätzen wissen, wenn es zu spät ist.

Und das wäre unendlich traurig, wäre ein herber kultureller Verlust für Frankfurt.

Deswegen: Geht “stoffeln”, sozusagen für den guten Zweck!

Gibt es überhaupt einen Grund, den Feierabend nicht im Günthersburgpark zu verbringen? Mir jedenfalls fällt da – außer Unwettern und einem drohenden Weltuntergang – keiner ein. Der Eintritt ist umsonst, lediglich um Spenden wird gebeten.

Das kulturelle Rahmenprogramm dürfte für jeden etwas bereithalten. Und lässt sich ein lauer Sommerabend überhaupt schöner verbringen als mit den liebsten Freunden an einem der schönsten und grünsten Fleckchen inmitten der Stadt?

“Stoffeln”, das ist was feines. Ja, ich weiß, überall in Frankfurt locken in diesen Tagen die tollsten sommerlichen Vergnügungen. Doch einfach mal stoffeln zu gehen, das ist in diesem Jahr wahrscheinlich wichtiger denn je.

Nicht nur für das eigene Gemüt und die Pflege eurer Freundschaften:
Sondern dafür, dass diese wunderbare Veranstaltung auch in Zukunft noch existieren kann.
Es wäre schade drum. 

 

Programm & Infos

Nun klappt euren Rechner zu, schnappt euch Decken und Freunde, und macht euch auf in den Günthersburgpark!

Vorher könnt ihr euch freilich noch über das aktuelle Programm informieren. Dieses findet ihr online unter http://www.stalburg.de/stoffel/info/ . Dort erfahrt ihr auch von Möglichkeiten, das Festival anderweitig zu unterstützen.

Ich wünsch’ euch eine geile Zeit dort, Freunde!

 

 

 

 

 

 

 

[Talentfrei musizieren] : Eingeplackt

Frankfurt und ich, das war eine Liebe auf den zweiten Blick. Es dauerte seine Zeit, bis ich mich auf die Stadt einlassen konnte – und irgendwann dann doch zwischen Großstadt-Dreck, Hektik und Betonfassaden meine Heimat gefunden habe.

Auch heute noch bin ich Frankfurts Charme vollends erlegen, auch heute noch bekomme ich Gänsehaut, wenn sich die Lichter der Skyline nachts im schwarzen Main spiegeln…

Ich bin froh, dass ich heutzutage das bin, was man hier “eingeplackt” nennt.

Wär’ ja ganz nett, ein Lied über meine Liebe auf den zweiten Blick zu schreiben, dachte ich mir. Okay, ich kann weder singen noch verfüge ich über musikalisches Talent.

“Oh nein, hat er etwa schon wieder…?”

Falls ihr euch das gerade denkt, liegt ihr goldrichtig! Er hat.

Haltet euch rechtzeitig die Ohren zu und macht euch auf schiefe Töne gefasst!

Hier ist es, mein neues Werk fragwürdiger Qualität: “Eingeplackt” ! 

Neulich im Nachtbus: Eine komplizierte Liebe.

“Ohjeh. Und du musst jetzt den Nachtbus nehmen? Na, da kannste ja sicher was erleben, so in der Nacht von Samstag auf Sonntag!”

Ich nicke zerknirscht und beneide meinen Kollegen um seine Wohnung im Gallusviertel, der gleich nach kurzem Fußmarsch erreichen wird. Es ist Sonntag Morgen, drei Uhr zehn. Mein Kollege und ich freuen uns auf unseren wohlverdienten Feierabend. Nun gilt es nur noch, möglichst unbeschadet nach Hause zu kommen. Doch während meinen Kollegen lediglich ein kurzer nächtlicher Spaziergang von seinem Sofa trennt, gestaltet sich mein Heimweg indes ein wenig komplizierter. Zu Fuß vom Hauptbahnhof ins Nordend, das kommt nicht in Frage. Ebenso verspüre ich herzlich wenig Lust darauf, noch über eine Stunde auf die erste Straßenbahn zu warten. Und zum Fahrradfahren, da bin ich nach zehn Stunden Dienst nun auch zu faul. Es wird dann wohl tatsächlich der Nachtbus, und ich ahne bereits, dass mein Kollege mit seiner Prophezeiung recht haben könnte.

“Bleibt mir wohl nix anderes übrig!”, sag’ ich zu ihm. “Ich erzähl’ dir die Tage dann gern von meinen Erlebnissen. Komm’ gut nach Hause!”.

Ein Handschlag zur Verabschiedung, ich blicke auf die Uhr. Noch sechs Minuten bis zur Abfahrt des N81, strammen Schrittes marschiere ich die Empfangshalle hinaus und zünde mir noch schnell ‘ne Zigarette an. Dumme Idee, stelle ich schnell fest. So ziemlich ausnahmslos jeder, dem ich hier begegne, bittet mich prompt – mal mehr, mal weniger freundlich – um ‘ne Kippe. Ich schüttele stur den Kopf, trete meine Zigarette aus. Ich sollte das mit der Raucherei wirklich besser bald mal bleiben lassen.

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich. Und die gleich folgende Szenerie lässt mich eine dunkle Ahnung davon bekommen, warum sich selbst Ulrich Mattner nachts im Bahnhofsviertel äußerst unwohl fühlt und den Stadtteil in einem offenen Brief jüngst gar als “rechtsfreien Raum” bezeichnet hat.

Als ich die Nachtbushaltestelle nämlich erreiche, wartet außer mir eben noch das typische Morgens-um-Drei – Bahnhofsviertelklientel. Feierleichen, Halbstarke, arme Gestalten eben.

 

Schlechtes Bauchgefühl

Ein Mann mittleren Alters, offensichtlich angetüddelt, lehnt an der Straßenbegrenzung. Eine Gruppe junger Männer (deren offensichtliche Herkunft ich besser unerwähnt lasse, will ja schließlich keinen Shitstorm provozieren!) baut sich um ihn auf. Der Rädelsführer spricht ihn an, fragt, was er hier mache. Der Mann blickt auf, entgegnet, dass er ganz offensichtlich auf den Bus warte. “Und warum sprichst du dann mit anderen Menschen?” – der Ton des Anführers wird provokant. “Na, weil ihr doch mich angesprochen habt!”, der gute Mann wirkt nun ein wenig verstört und nervös. Auch mein Bauchgefühl sagt mir, dass dies keine nette Unterhaltung zum bloßen Zeitvertreib ist.

Der junge Kerl grinst höhnisch: “Was antwortest du mir überhaupt? Welcher Landsmann bist du, sag’ schon!”

Der Mann antwortet, er sei Grieche, bittet die Jungs jedoch, doch irgendjemand anderen der Anwesenden zu bequatschen. “Ich hasse Griechen!”, höre ich den Kerl antworten, mein flaues Gefühl legt sich etwas, als ich vor uns an der Ampel einen Streifenwagen halten sehe. Solange ich die Beamten in unserer Nähe weiß, fühle ich mich sicher – und tatsächlich wirft der Uniformierte auf dem Beifahrersitz einen aufmerksamen Blick auf das Geschehen.

Doch die Ampel wird grün, der Polizeiwagen zieht von dannen. “Die Bullen, die machen eh nichts außer gucken”, quittiert die Gruppe die kurzzeitige Polizeipräsenz. Ich überlege mir kurz, ob ich die Beamten vielleicht hätte aufmerksam machen sollen. Doch bislang war nichts geschehen außer einem aufgedrängten Gespräch zu später Stunde. Was hätte ich sagen sollen?

Das Zischen der sich öffnenden Türen verdrängt meine Gewissensbisse; mit einiger Verspätung ist dann auch der Bus mal angekommen.

 


[Bildquelle: www.traffiq.de]

 

Nächtliche Nächstenliebe

Noch etwas verstört ob des Erlebten nehme ich direkt vorn beim Fahrer platz, hoffe auf eine ruhige Heimfahrt. Der erweist sich obendrein als netter Kerl, als er meine Frage nach meinem Anschluss an der Konsti mit einem “sorry, die warten nicht!” beantwortet, feststellt, die VGF sei eben ein Saftladen und mir obendrein noch ausführlich all die unglücklichen Umstände schildert, die zu dieser bedauerlichen Verspätung geführt haben.

Jedenfalls kann die Weiterfahrt gleich erfolgen, nur noch ein junger hagerer Kerl in Arbeitsbekleidung hetzt heran. Mit seinem Feierabend-Apfelwein hat er es offensichtlich ein wenig eiliger als ich; gleich zwei Dosen davon balanciert er auf seinem linken Arm.

Ich hab indes meine Lektüre schon gezückt, bekomme aber auf halbem Ohr mit, wie er mit dem Busfahrer spricht. Es gibt wohl irgendein Problem, der junge Apfelweinfreund will nur nach Hause, kann aber gerade keine Fahrkarte kaufen .

Ich zeige mich von meiner barmherzigen Seite.

Da ich ein JobTicket habe und nach 19 Uhr jemanden mitfahren lassen kann, beschließe ich kurzerhand, dass der junge Mann fortan mein Mitfahrer ist. Das verklickere ich dann auch dem freundlichen Busfahrer, der ist d’accord. Mein neuer Mitfahrer stellt sich links neben mich, zwischenzeitlich sind alle Sitzplätze belegt, und bedankt sich artig.

Der Bus setzt sich endlich in Bewegung. Ich will mich gerade wieder meiner Lektüre widmen, da spricht mich mein Mitfahrer an.

“Tolle Tattoos!” sagt er, offensichtlich hat er einen Blick auf meine Haut geworfen. “Waren bestimmt teuer, oder?”

Das mit Lesen gebe ich in endgültig auf, wende mich ihm zu. “Nun ja, Tattoos waren noch nie ein günstiges Hobby, oder?”

Er schüttelt den Kopf, hält mir seinen Unterarm vors Gesicht. Frisch gestochen darauf prangt ein Frauenname. “600 Euro!”, informiert er mich über den Preis des unter der Haut verewigten Schriftzuges. Seine direkte, offene Art interessiert mich dann doch irgendwie mehr als meine Zeitschrift.

 

“Melanie…”, lese ich laut den Namen auf seinem Unterarm vor. “Deine Freundin?”

Mein Feierabend-Genosse und auserkorener Mitfahrer nimmt einen Schluck Apfelwein aus der Dose, schaut mich traurig an. “Ich wünschte, ich sie wäre meine Freundin…”, sagt er traurig. Uff. Muss ich jetzt mitten in der Nacht als Seelentröster herhalten? Aber hey, der Junge ist nett, tut niemandem was, hat nur ganz offensichtlich Redebedarf. Und wo ich ihn schon auf meine Fahrkarte mitfahren lasse, kann ich auch gerne noch mein offenes Ohr zu Verfügung stellen.

Ich gebe mich also empathisch. “Ohjeh, unerwiderte Liebe also. Tut weh, aber geht vorbei – ist jetzt natürlich ein schwacher Trost, ich weiß”. Ich beiße mir kurz auf die Zunge, will ja nicht zu direkt werden. Aber hey, man kann ja über Tattoos mit dem Namen des Partners geteilter Meinung sein. Aber sich gleich den Namen der Angebeteten großfomartig auf den Unterarm stechen lassen, ohne mit ihr zusammen zu sein? Das erscheint mir dann doch ein wenig wagemutig und grotesk. Ich muss da einfach mal weiterbohren.

“Ähm, meinst du, aus euch könnt noch was werden, also irgendwann? Ich meine, weiß sie denn überhaupt davon, dass du unter deiner Haut ihren Namen spazieren trägst? Und was sagt sie überhaupt dazu?” 

Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass die gute Melanie sonderlich angetan von diesem Art des Liebesbeweises ihres Verehrers ist. Hätte es ein Strauß Rosen vor der Haustür da nicht auch getan?

Der unglücklich Verliebte beißt sich auf die Lippen: “Sie hält mich seitdem für Verrückt”, sagt er traurig. Nun ja, ich kann’s ihr ja irgendwie nicht verdenken.
Und ich komme nicht umhin, ihm zu sagen, dass auch ich das irgendwie ein wenig…. verrückt finde.

Ich dachte ja, meine Verwunderung könnte diesen Abend nicht mehr gesteigert werden. Doch weit gefehlt! “Aber das ist ja noch nicht alles…”, sagt der arme Kerl. Und zieht den Kragen seines Shirts hinunter, sodass ich auf ein großes Portrait einer jungen Frau blicke, die seine gesamte Brust bedeckt.

Mehr als ein erschrockenes “OHA!” will mir zunächst nicht aus dem Mund fallen.
“Das ist sie… Hübsches Mädchen, oder?”

Nun bin ich vollends baff. “Äääh, ja. Wirklich hübsch!”, sage ich wahrheitsgemäß. Ich hoffe indes, dass der Gute diese beiden nicht gerade unauffälligen Tattoos nicht irgendwann bitterlich bereuen wird. Und stelle mir die Frage, wie er künftigen Liebhaberinnen diese beiden Tattoos wohl erklären mag. Meine eigenen Probleme erscheinen mir für einen kurzen Moment lang jedenfalls ganz klein.

 

Will der mich auf den Arm nehmen ?

Ich wäge kurz ab, ob mich der junge Mann nicht einfach nur verschaukeln möchte. Aber warum sollte er das tun? Außerdem, das merke ich, scheint er wirklich traurig und ein wenig verzweifelt. Und deswegen schenke ich ihm Glauben und mein Mitleid. Jedenfalls solange, bis ich vollends aus den Wolken falle.

Die Geschichte seines Liebeskummers ist nämlich noch nicht zu Ende erzählt.
“Und weißt du, was das Schlimmste ist?”, werde ich gefragt und blicke in seine Augen. Ich fühle mich derweil ein wenig unbeholfen, antworte mit einem schnippischen “Äh – klar, wenn das Bier leer ist!”.

Ich liege daneben. “Sie ist meine Großcousine. Und neun Jahre jünger als ich. Und trotzdem habe ich sie erst vor Kurzem kennen gelernt und kann nur noch an sie denken”.

Oooooh, Shit!

“Und wie alt bist du, wenn ich fragen darf?” – Sechsundzwanzig, so die Antwort. Sein Schwarm ist also nicht nur mit ihm verwandt, sondern obendrein erst siebzehn.

Verrückte Welt. Ich bin ein wenig überfordert, möchte ihn irgendwie aufbauen, irgendwie aber auch ein Stück näher auf den Boden der Tatsachen bringen.

“Nun ja”, sage ich also. “Wo die Liebe hinfällt, das kann sich leider niemand aussuchen. Aber weißt du, ich bin mir ganz sicher, dass du irgendwann – vielleicht schon morgen! – eine Frau kennen lernst, die dich Melanie ganz schnell vergessen lässt. Und deine Liebe sogar erwidert! Und ich hoffe für dich, dass du dann deine Tattoos nicht bereuen wirst”.

“Danke”, sagt der wahnsinnig Sympathische (oder sympathische Wahnsinnige?) neben mir.. “Ich kann’s mir aber nicht vorstellen”.

Er solle da einfach mal abwarten, gebe ich ihm mit auf den Weg. Ich jedenfalls, ich sei mir da ganz sicher und wünschte ihm alles Gute, vor allem natürlich in der Liebe.

“Seht ihr, alle Anschlüsse weg!” 

Die unerfreuliche Ankündigung unseres netten Busfahrers beendet unser Gespräch. Die Konstablerwache ist erreicht, unsere Wege werden sich nun trennen.

“Kopf hoch!”, sage ich noch. “Und bitte keine weiteren Tattoos, okay?”

Wir stehen auf dem nächtlichen Bussteig, ich buche mir ein Call-a-Bike für die letzten Meter bis nach Hause. Er wünscht mir einen guten Heimweg. “Und danke nochmal fürs Mitnehmen.

 

Immer was erleben

Und während ich in die Pedale hinauf ins Nordend strample, muss ich an die Worte meines Kollegen denken. Ja, im Nachtbus kann man immer was erleben. Schönes, Skurilles, Trauriges, Erschreckendes. Lustige Szenen, beklemmende Gefühle, gelegentlich auch Aggressivität: Alles mit an Bord.

Und dieses Mal, da hab’ ich wieder mal was erlebt. Die Geschichte von einem unglücklich verliebten jungen Mann, der seinen Gefühlen mit ziemlich drastischen Methoden Ausdruck verlieh. Der mir dann doch recht verrückt erschien, aber eben auch: Ziemlich sympathisch.

Nachtbus fahren, das macht nicht immer Spaß, nervt, dauert mitunter ziemlich lange. Aber danach hat man eben immer was zu erzählen!


 

Habt auch ihr schon außergewöhnliche Erlebnisse an Bord der Frankfurter Nachtbusse gehabt? Habt ihr lustige, unterhaltsame, verrückte Bekanntschaften gemacht – oder vielleicht eure große Liebe gefunden?
Hinterlasst mir gerne einen Kommentar und erzählt mir eure beste Nachtbus-Story. Ich freu’ mich drauf !

 

 

 

Schwarz, weiß, Frankfurt: Ein aktueller Bilderbogen

Da streife ich Tag für Tag durch Frankfurt, meine analoge Kompaktkamera stets im Gepäck. Halte hin und wieder inne, fällt mir ein Motiv ins Auge. Wenn ich wieder einmal besonders angetan von der Stadtkulisse bin oder mich ein Moment des Stadtlebens besonders berührt.

In schöner Regelmäßigkeit hole ich dann meine Werke vom Labor ab, mache es mir im Café bequem und öffne mit zittrigen Fingern und kindlicher Vorfreude die Fototasche. Ich liebe den Moment, in dem ich zum ersten Mal meine Fotografien in den Händen halte und anschauen kann – denn ob ein Bild “was geworden ist”, das weiß man eben vorher nie so genau bei der analogen Fotografie.

Was früher diversen Gerüchten zufolge einmal normal war, ist in den heutigen Zeiten der Digital- und Handyfotografie dann doch eher bemerkenswert. Und genau deswegen so spannend.

Habe ich mir dann die in meinen Augen gelungensten Aufnahmen herausgesucht, klebe ich sie fein säuberlich in meine Alben hinein.

Habt ihr Lust, einen Blick hinein zu werfen?

 

Voilá, hier ist er:

Ein kleiner Bilderbogen aus den letzten Wochen des Frühjahrs und beginnenden Sommers. 100 Prozent analog, 100 Prozent schwarz&weiß, 100 Prozent Frankfurt !

 

Mutet ein wenig futuristisch an und fügt sich irgendwie nicht recht ganz in das Gesamtbild des Ostparks ein: Der jüngst eröffnete Neubau des Obdachlosenheims samt Druckraums der Drogenhilfe.

 

Zum ersten Mal über 25 Grad: Die Stadt dürstet nach Pausieren und Erfrischen. Und wie könnte es sich schöner vom Shopping-Rausch erholen lassen als bei einem kurzen Stopp beim Brunnen mitten auf der Zeil?

 

Von der Kaufkraft der Stadt gänzlich unbeeindruckt gönnen sich auch diese Frankfurter unter der bekannten Euro-Skulptur an der Taunusanlage eine kurze Hitzepause.

 

Westhafenwohlstandseinheitsbrei: Mal ganz im Ernst, wer möchte hier leben?

 

Gleich nebenan an der Alten Oper findet der Deutsche Schützentag statt. Diesen Herren hier allerdings recht egal, lieber sitzen sie am Fuße einer der schönen Lampen und schauen dem bunten Treiben zu. Recht haben sie!

 

Same procedure as every year: Kaum sind die langersehnten lauen Abende da, strömen die Frankfurter ans Mainufer. Und bei Schoppen, Klatsch & Tratsch lässt sich’s ja auch wahrlich gut aushalten!

 

Ziemlich enttäuscht stehen diese beiden jungen Damen vor dem abgesperrten chinesischen Garten im Bethmannpark. Hier kommt so schnell niemand mehr rein – denn in der Nacht zuvor wurde der große Pavillon in Brand gesetzt. Die Polizei ermittelt. Für mich ein echter Tiefpunkt des bisherigen Jahres!

 

“Savoir Vivre” in Frankfurt:
Auf den Stühlen des Café Wacker am Bornheimer Uhrtürmchen kann man ganz hervorragend… nichtstun. Und Kaffee trinken, versteht sich.

 

Einheitsbauten links wie rechts: Leben im matschigen Brei von teurem Wohneigentum auf dem Gelände des ehemaligen Hauptgüterbahnhofs. Hässlich zerschnitten von der Europa-Allee. Frankfurt, du hast besseres verdient als das Europaviertel.

 

“Huch, ist der hoch!” – diese junge Frau riskiert schon mal einen Blick hinauf zur Aussichtsplattform, bevor es gleich heißt: Treppensteigen! Goetheturm, Frankfut-Sachsenhausen.

 

… und das hier war in besseren Zeiten wohl mal ein Kaugummiautomat. Ffm-Ostbahnhof.

 

Ebenfalls im Osten der Stadt: Kleines Osthafenpanorama.

 

Freut nicht nur das Federvieh: Der “Yachtklub” ankert wieder an prominenter Stelle und lockt mit Musik und kaltem Schoppen zum sommerlichen Abendausklang.

 

Wer’s gediegener mag, entspannt derweil im Bethmannpark und erfreut sich all der Blütenpracht…

 

Hafenanlagen und Industrie in Frankfurts Westen: Ausblick von der Leunabrücke.

 

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie mag ich dieses Bild:
Mitten in der Innenstadt liefern sich diese beiden Kleinen ein Wettrennen vor einer verfallenen Häuserfassade am Klapperfeld…

 

Hattet ihr Gefallen beim Betrachten der Bilder? Habt auch ihr gar ein kleines Faible für die analoge Fotografie? Ich freue mich auf eure Kommentare!

Bücher kaufen für den guten Zweck: Im “OXFAM Bookshop”

Nicht allein das Schreiben ist eine meiner großen Leidenschaften. Ich bin nämlich gleichwohl ‘ne richtige Leseratte und verlasse meine Wohnung  niemals ohne Buch im Rucksack. Insofern hab’ ich mich natürlich erstmal gefreut, als “Hugendubel” kürzlich eine weitere Filiale mitten auf der Zeil eröffnet hat. 

Bücher kaufen, das geht blöderweise auch schnell ins Geld. Angesichts meines Bücherverschleißes wäre ich vermutlich schnell ein armer Mann, würde ich ein jedes Buch neu und druckfrisch erwerben. Wie gut, dass es Antiquariate und Flohmärkte gibt, wo sich echte Bücher-Schnäppchen machen lassen.

Und noch besser, dass es einen Laden gibt, bei dem der Bücherkauf zur guten Tat gerät: 

Der “OXFAM Bookshop” in der Töngesgasse.

Die Welt ein kleines Stückchen besser machen

Das Ladengeschäft in der Töngesgasse 35 existiert bereits seit über 15 Jahren und wird betrieben von der Hilfs- und Wohltätigkeitsorganisation OXFAM. 

Über 70 (!) ehrenamtliche Mitarbeiter nehmen hier tagtäglich Bücherspenden an, kategorisieren die einzelnen Werke und zeichnen sie mit einem wirklich fairen Preis aus. Selten steht ein Buch hier für mehr als 3,50 EUR zum Verkauf. Das gilt sogar für aktuelle Titel!

Der Verkaufserlös wird unmittelbar weitergeleitet an OXFAM, die davon ihre zahlreichen Hilfsprojekte in der gesamten Welt finanziert.

Hier profitiert also jeder:

Der Bücherfreund, der sich hier mit Lesestoff versorgen kann, ohne ein Vermögen ausgeben zu müssen. Und schließlich all die Menschen, die an Armut leiden oder sich in Not befinden – und von der humanitären Hilfe der OXFAM-Projekte erreicht werden.

 

“Ein jedes Buch befindet sich in gutem Zustand”

Als ich neulich mal wieder auf der Suche nach neuem Lesestoff vor Ort war, hatte ich das Glück, mich mit den beiden netten Verkäufern ein wenig zu unterhalten.

Beide, so erzählen sie, arbeiten ehrenamtlich hier. Das Verkaufen mache nur einen kleinen Teil der Arbeit aus: Fast täglich würden hier Bücher angeliefert. Mal nur einzelne, mal gleich ganze Kartons.

Und jedes einzelne Buch, so wird mir versichert, würde umgehend auf seinen Zustand hin begutachtet. Was zerfleddert wirkt oder bereits nicht vorgesehene Bekanntschaften mit Kaffee, Wein und sonstigen Flüssigkeiten gemacht hat, wird aussortiert und nicht verkauft.

Was übrig bleibt, wird thematisch eingeordnet und in eines der vielen Regale eingeräumt, wo es fortan auf Kundschaft wartet. Ob Weltliteratur, Klassiker der Belletristik, Fachliteratur, seichte Urlaubsunterhaltung oder spannende Krimis: Ein jeder Leser solle hier auf seine Kosten kommen.

Wie lange es dann dauert, bis ein Buch einen neuen glücklichen Besitzer findet, das lasse sich indes kaum sagen: Gerade aktuelle Titel seien ratzfatz wieder verkauft, manche Bücher warten aber auch Monate lang auf einen Käufer. Und manche, die müssen dann eben irgendwann Platz machen für “Frischware”.

 

Der Bücherkauf als Erlebnis

Dass wirklich Jedermann hier fündig werden kann: Das kann ich nur bestätigen!

Klar, benötigt man ein ganz bestimmtes Buch, ist man beim gewöhnlichen Buchhändler besser aufgehoben. Möchte man dagegen einfach nur “mal schauen”, sich überraschen oder inspirieren lassen – dann ist man hier goldrichtig. Und macht es nicht auch verdammt viel Freude, sich durch die Regale zu stöbern?

Wie viele tolle Bücher ich hier schon entdeckt habe, die ich vermutlich ansonsten niemals gelesen hätte, vermag ich schon gar nicht mehr zu sagen. Meist verlasse ich den OXFAM-Buchshop dann mit gleich drei Büchern, für die ich gerade einmal so viel gezahlt habe wie für ein druckfrisches bei HUGENDUBEL & Co. Und natürlich mit dem guten Gewissen, einen kleinen Beitrag für eine bessere Welt geleistet zu haben.

Auch heute bin ich wieder fündig geworden: 

Voltaire ist es geworden, “Candide oder der Optimismus”, eine recht bekannte Erzählung des französischen Philosophen.

Für erschwingliche zwofuffzich!

Somit bin ich wieder mal sehr glücklich darüber, dass es den OXFAM-Buchshop gibt. Und damit das noch lange so bleiben mag, kann ich auch euch nur ans Herz legen, dort einmal vorbeizuschauen, wenn euch demnächst mal wieder der Lesestoff ausgeht.

Es lohnt sich gleich doppelt!

OXFAM Buchshop
Töngesstraße 35
Geöffnet:

Mo-Fr 10.00-18.30
Sa 10.00-16.30

 

Talentfrei Musizieren: Ein Abgesang auf den “Friedi”

Leute, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein!
Ja, ich weiß – eure Synapsen dürften gerade erst meinen letzten symphonischen Anschlag auf euer  Hörzentrum verkraftet haben.

Dennoch, da konnte ich es mal wieder einmal nicht lassen – und hab’ erst zu Stift und Block, dann zu Gitarre gegriffen. Denn auch dem “Friedi”, dem wollte ich eine entsprechende Hymne gewidmet wissen.

“Friedi”, ist das eigentlich noch irgendjemandem kein Begriff?

Würde mich ja wundern, aber dennoch noch einmal ein kleiner Abriss der jüngeren Stadtgeschichte:

“Friedi”, so wird im allgemeinen Stadt-Sprech der Friedberger Markt genannt. Einst als süßer, kleiner Wochenmarkt gestartet, geht hier schon lange kaum mehr jemand zwecks Obst- oder Gemüseerwerb hierhin. Längst ist der Friedberger Markt am gleichnamigen Platz im Frankfurter Nordend nämlich zum allgemeinen After-Work-Treff mutiert. Und wie das eben so ist mit einer ganzen Horde Stadtmenschen, die sich zum allgemeines Besäufnis trifft, da bleiben eben auch entsprechender Lautstärkepegel, Wildpinkelei und entsprechende Proteste und Klagen der Anwohner nicht aus.

Über das Fortbestehen des “Friedi” musste jüngst sogar das Oberlandesgericht Kassel entscheiden: Mit dem Ergebnis, dass sich auch künftig jeden Freitag munter getroffen werden darf, um sich bei Weinschorle und Bierchen gemeinsam feucht-fröhlich auf das Wochenende einzustimmen.

“Urbanität” nennen das die Einen, “Lärmbelästigung” die Anderen – und alles, was es sonst noch so zu sagen gibt zum “Friedi”, das hab’ ich in einen kleinen Song gepackt. 

Ich wünsche starke Nerven! 

Frühschicht.

Es ist einer jener Momente, die ich wirklich von ganzem Herzen hasse. Einer der Momente, in denen ich wirklich traurig bin. Es ist Freitagabend, noch dazu ein lauer Sommerabend. Die Stadt strömt nach draußen, läutet bei Bier und kaltem Schoppen das Wochenende ein. Feiert das Leben und die freudige Erwartung auf das, was diese Nacht wohl bringen mag. 

Ich jedoch, ich habe weder Bier noch Apfelwein in der Hand, keine Freunde neben mir, mit denen ich mich auf den Abend freuen konnte. Ich nämlich sitze auf meinem Balkon, betrachte die untergehende Abendsonne und schreibe diese Zeilen.

Unter mir, da tobt das Leben:

An der Hipster-Trinkbude GUDES, auf die ich hier von meinem Balkon im Frankfurter Nordend ganz hervorragend herunterschauen kann, steht das junge Nordend Schlange. Und der angrenzende Matthias Beltz-Platz ist bevölkert von Grüppchen, die miteinander anstoßen, lachen, sich lautstark unterhalten. Ich höre ihr Gelächter, ihre Gespräche bis hier.  The joy of Life in Frankfurt. 

 

Augen auf bei der Berufswahl

Wie gerne doch auch ich jetzt einfach runtergehen würde, meine Freunde anrufen würde und mir ein eisgekühltes Bier öffnen würde. Doch was ich stattdessen mache? Gleich ins Bett gehen. Freitagabends, die Uhr zeigt halb neun. 

Mein Wecker, klingelt nämlich bereits in – oh weh, tatsächlich – sieben Stunden. Um halb vier, zur gänzlich unchristlichen Zeit am Samstag morgen, da heißt es für mich nämlich: Aufstehen, kalte Dusche, Rucksack schnappen, Dienst antreten. Dann, wenn viele der Leute da unten noch immer ihr Wochenende zelebrieren werden, dem Rausch der Nacht erliegen sein werden.

Nein, es ist nicht immer schön, mitten drin im Geschehen zu wohnen. Das wilde, bunte Stadtleben permanent unter die Nase gerieben zu bekommen. Nicht dann, wenn man gerade auf dem Weg ins Bett ist. Nicht weil man es so will – sondern weil es man so muss. Die Miete, die zahlt sich schließlich nicht von alleine.

Bereits seit zehn Jahren, da mache ich diesen Job: Ein Beruf, der mich zu den unmöglichsten Tages- und Nachtzeiten meinem Bett entspringen lässt. Der mir zwar jede Menge Freizeit schenkt, die ich zum Beispiel diesem Blog schenken kann – der mich aber auch gelegentlich dazu zwingt, Momente wie diesen zu erleben. Und jedes Mal aufs Neue, da bin ich traurig, wenn ich am Wochenende Frühschicht habe und hier auf meinem Balkon sitze. Eine letzte Zigarette rauche, noch einmal die Schallplatte rumdrehe, bevor ich mich schlafen lege.

Doch ich hab es mir so ausgesucht, habe mich für diesen vielleicht etwas ungewöhnlichen Beruf entschieden – der mir, bei all den Schattenseiten, die ich wie eben erlebe – “unterm Strich” viel Freude bereitet. Und mich wahrlich schöne Momente erleben lässt. Womit wir beim Thema wären! 

 

Frankfurt macht einen drauf. Ich mir positive Gedanken.

Doch statt nun in Depressionen zu verfallen oder umgehend die schriftliche Kündigung zu formulieren, da versuche ich, meine Traurigkeit bestmöglich durch positive Gedanken zu ersetzen. Irgendwann habe ich nämlich ein System entwickelt, das mich dann meist doch mit einem Lächeln zu Bett gehen lässt:

Nein, ich kann mich heute auf keinen schönen Abend freuen. Den Freitagabend, den verbringe ich im Bett. Dafür aber, da werde ich morgen früh um Vier in der Straßenbahn sitzen und jede Menge Freude daran haben, mir all die Feierleichen anzuschauen und ihre meist wenig sinnstiftenden Gespräche zu belauschen.

Und anschließend, da werde ich irgendwann einen wunderschönen Sonnenaufgang erleben. Werde den jungfräulichen Beginn des des neuen Tages in aller Schönheit genießen können, während der Rest der Stadt noch lange in eigenen wie fremden Betten liegen wird.  Werde in meiner Arbeitspause spazieren gehen können, während die Leute da unten noch lange schlummern werden.

Und wenn ich irgendwann Feierabend habe, dann kann ich mich darauf freuen, mit klarem Kopf den Tag genießen zu dürfen. Nach kleinem Mittagsschlaf versteht sich. Der Rest der Stadt indes macht indes nichts, wird wach, fühlt sich verkatert. Und ich geh’ erstmal joggen, während der Rest der Stadt sich allmählich mit zerknautschten Gesichtern in die Cafés traut.

Der Montag ist mein Freitag

Auch am folgenden heiligen Sonntag, da werd’ ich dann noch mal pflichtbewusst meinen Dienst antreten. Doch am Montag, wenn der gemeine Büromensch sich schlecht gelaunt auf den Weg an den Schreibtisch machen und in überfüllten S-stehen und das aufdringliche Parfüm des Sparkassenangestellten gegenüber verfluchen wird: Dann hab’ auch ich endlich Wochenende.

Werde mich nochmals gemütlich im Bett rumdrehen, während anderswo bereits die Telefone bereits dauerklingeln, die Kunden wieder an den Nerven zehren und die ersten Meetings absolviert werden wollen.

Spätestens abends dann werde ich die Lichter in den Wohnungen erlöschen sehen. Die Stadt geht zu Bett, ich gehe zum PubQuiz. Hab’ ja schließlich Wochenende.

Es gibt also so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. Und dennoch hilft mir dieses Gewissen in diesem Moment nicht weiter, hier auf meinem Balkon, wo ich den unter mir Feiernden ein gedankliches “Trinkt ‘nen Schoppen für mich mit!” zurufe und gleich den Deckel meines Laptops zuklappen werde.

Denn zu Bett, das gehe ich jetzt wirklich schweren Herzens. Schichtdienst kann ein arschloch sein. Aber auch ein Engel.
Gute Nacht, Frankfurt. Bis morgen früh zu Sonnenaufgang, der mich für meine momentane traurigkeit entschädigen wird Ich freu’ mich drauf! Glaube ich. Ein bisschen. think positive.

 

Als Autos noch Huckepack auf Zügen fuhren: Es war einmal in Neu-Isenburg…

Vielleicht erscheint es euch bereits heute unvorstellbar:
Es gab mal eine Zeit, in der an Ryanair, Easyjet & Co. noch nicht zu denken war. Als Fliegen noch ein überaus teures Privileg war, das nur Wenigen vergönnt war.

Eine Zeit, in der nicht überall auf der Welt jederzeit ganze Mietwagenflotten darauf warteten, um von Urlaubern preiswert genutzt zu werden.

Doch auch damals schon verspürte der reiselustige Deutsche den Wunsch, das Urlaubsland mit dem Auto zu entdecken. Und ein eigenes Auto, das hatte damals schließlich noch nahezu jeder. Nun war es aber wahrlich kein Vergnügen, die lange Anreise ins Urlaubsland auch im eigenen Mobil zu bestreiten. Auch an Pauschalreisen wagte damals schließlich noch niemandem ein Begriff.

Man glaubt es kaum, aber bereits vor über 80 Jahren hatte die damalige Deutsche Reichsbahn eine ganz schlaue Idee:

Warum sollten die Autos nicht auf Transportwagen an Zügen verreisen, in deren Schlafwagen die Urlauber entspannt der Sonne entgegen schlummerten? Das System der “Autoreisezüge”, so nannte man dieses pfiffige Konzept, erfreute sich schnell großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Kaum wunderlich, schließlich lagen die Vorteile auf der Hand: Man kam morgens ausgeruht an Adria, Algarve oder kroatischer Küste an und konnte nach einem ausgiebigen Frühstück im Zug direkt mit dem eigenen Auto losdüsen.

 

Von Neu-Isenburg aus in die schönsten Regionen Europas

Aufgrund der wachsenden Nachfrage baute die Deutsche Bundesbahn in den Nachkriegsjahren schnell aus: Von Deutschland aus erreichten die Urlauber schnell und komfortabel begehrte Ferienregionen innerhalb der Nachbarländer. Und natürlich verspürten auch die Frankfurter – das Wirtschaftswunder noch im Rücken – eine nie zuvor gefühlte Reiselust.

Da bereits in den späten 1950er Jahren das Frankfurter Eisenbahnnetz an den Grenzen seiner Kapazität angelangt war, hat die Bundesbahndirektion Frankfurt eine im wahrsten Sinne des Wortes naheliegende Entscheidung getroffen:

Der Bahnhof des benachbarten Neu-Isenburg sollte zum Autozug-Bahnhof ausgebaut werden. Verladerampen wurden errichtet, eine Wartehalle samt Café wurde errichtet. Neue Gleise für die aufwändigen Rangiermanöver wurden verlegt, ein entsprechendes Reisebüro eröffnet.

Der Bahnhof Neu-Isenburg war fortan also Ausgangspunkt für all die Urlauber des Rhein-Main-Gebiets, die ihr Gefährt “huckepack” auf dem Zug mit auf die Reise nehmen wollten.

Narbonne in Frankreich, Westerland auf Sylt, Allesandria in Italien oder auch in die Alpen nach Schwarzach: All diese Urlaubsorte  waren neben zahlreichen anderen schnell von Frankfurts kleiner Nachbarstadt zu erreichen.

 

 

 

Daran erinnerte über Jahrzehnte hinweg auch die himmelsblaue Bemalung des Bahnhofsgebäudes, die um Motive aus den von hier aus angefahrenen Ferienregionen ergänzt wurde. (Bild: www.gueterbahnhof-neu-isenburg.de)

 

Irgendwann jedoch begann mit dem Aufkommen des Pauschaltourismus der Niedergang des Autozuges. Fliegen wurde erstmals erschwinglich, Billigflieger taten später ihr übriges. Statt ins benachbarte Ausland machten die Deutschen nun lieber gleich am anderen Ende der Welt Urlaub. Karibik statt Korsika, das war nun die Devise – und spätestens, als dann überall auch noch günstige Mietwagen zu finden waren, war der “gute, alte Autozug” schlicht überflüssig.

Und so ereilte schließlich auch Neu-Isenburg das Schicksal der Autozug-Verladebahnhöfe: Am 26. Oktober 2014 lief der “AZ 53370” aus Narbonne ein und beendete das jahrzehntelange Kapitel des Autoreisezugverkehrs ab Neu-Isenburg.

Die himmelsblaue Fassade des Bahnhofsgebäudes wich samt den schönen Motiven einem Einheitsweiß, sodass heute nur noch das längst geschlossene Wartegebäude sowie die alten Rampen an all die freudigen Urlauber erinnern, die hier ihre Reise begonnen hatten.

Wenn ich heute, im Jahre 2017, vor dem Bahnhofsgebäude stehe, mir die verfallenden Anlagen anschaue: Dann werde ich ein wenig wehmütig.

Und wenn ich dann noch meine Augen schließe, dann erinnere ich mich an die Geschichte eines jungen Lokführers, der einmal frühmorgens um 4 noch recht verschlafen im Taxi saß. Auf dem Weg vom Frankfurter Hauptbahnhof nach Neu-Isenburg war. Er sollte dort einen Autozug aus Italien zu übernehmen, neue Urlauber samt ihren motorisierten Zwei- und Vierrädern mit an Bord nehmen und bis Hildesheim zu bringen, wo ein Kollege ihn ablösen würde und er einen ICE zurück nach Frankfurt nehmen würde. Das Ende der Autozüge war bereits absehnbar, der Fahrplan bereits entsprechend ausgedünnt. Es war, sagen wir mal, irgendwann im Sommer 2011.

 

Und die Geschichte, die geht so…

Nein, mitten in der Nacht aufstehen und zum Dienst eilen müssen, das war noch nie meins. Daran werd’ ich mich wohl nie gewöhnen. Ich sitze im Taxi, sehe die dunklen Fassaden des Gutleutviertels an mir vorüberziehen. Der Taxifahrer scheint munterer als ich, schert er sich doch jedenfalls herzlich wenig um jegliche innerstädtischen Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ich habe andere Probleme: Ich brauche Kaffee. Viel Kaffee. Und hoffe, dass ich in Neu-Isenburg am Bahnhof noch welchen ergattern kann, bevor meine Fahrt nach Hildesheim beginnt.

Wir erreichen den noch in Dunkelheit gehüllten Bahnhof, vor dem aber bereits großer Trubel herrscht. Urlaubstrubel, um genau zu sein. Auf dem großen Parkplatz vor der Wartehalle stehen bereits brav Autos Schlange, um auf die bereitstehenden Transportwagen verladen zu werden. Motorräder stehen daneben, ihre stolzen Besitzer sind offensichtlich trotz der unchristlichen Uhrzeit bereits in bester Urlaubsstimmung und rauchen Zigaretten in Lederkluften. Ich trage derweil auch Leder, allerdings in Form meiner Uniformjacke, die mich als Lokführer ausweist.

Zielsicher steuere ich auf die kleine Tür im Erdgeschoss des Empfangsgebäudes zu und klingele. Ein alter Mann mit sanftem Blick in seinem verlebten Gesicht öffnet mir die Türe und mustert mich. “Lokführer?” fragt er mich. “Jau”, sag ich. “Für den 13370 nach Westerland”. Er nickt. “Na denn komm’ mal rein! Gibt auch Kaffee!”.

Wärme und Kaffee. Ich bin glücklich. Der Kaffee sollte sich zwar als bluthochdruckfördernder Filterkaffee “alter Schule” herausstellen, aber soll ja schließlich wirken, nicht schmecken. Ich folge dem Kollegen, er führt mich in sein Büro, bietet mir Platz an und reicht mir eine dampfende Tasse Kaffee. Ich schmunzele, als ich das Logo der Deutschen Bundesbahn auf ihr entdecke. Wohl schon was älter.

“Kannst auch noch eine Tasse trinken oder auch zwei”, sagt der Kollege. “Dein Zug hat eine gute Stunde Verspätung. Wieder irgendwelche Verzögerungen an der Grenze. Na ja, die Italiener eben. Kennt man ja.”

Ich bin fast ein wenig froh um die Verspätung. Noch ein bisschen Augenpflege vielleicht, ein paar Kaffee hinterher – das erscheint mir als angenehmere Aussicht als eine unmittelbare Dienstaufnahme. Auch die Urlauber draußen vor dem Fenster scheinen die Verspätung gelassen zu nehmen.

Ich nutze die Zeit, um mich ein wenig im Büro umzuschauen. Es scheint mir auf den ersten Blick zur Tasse in meiner Hand zu passen. Irgendwie aus der Zeit gefallen, als seien die Uhren hier irgendwann einfach stehen geblieben. In den “guten, alten Zeiten der Bundesbahn”, von der die älteren Kollegen immer so schwärmen.

Mein Blick streift unendliche Reihen von Akten, fein säuberlich beschriftet und verfrachtet in riesigen Regalen. Ich versuche, die Buchstaben zu entziffern. “Westerland 1977”, lese ich da. “Villach 1981”, “Paris 1984”, “Narbonne 1986”.

Auf dem gewaltigen Schreibtisch stehen unzählige Stempel, fein gespitzte Bleistifte liegen daneben. Und darüber, da tickt lautstark eine alte Bahnhofsuhr. Nein, ich sitze hier nicht verschlafen in einem Büro, befinde ich.
Vielmehr befinde ich mich in einer Amtsstube, in einem Relikt aus der Bundesbahnzeit, einem Bilderbuchbeispiel für deutsches Behördentum.

Mein Kollege bemerkt meine neugierigen Blicke, bietet mir eine Zigarette an. “Hab’ eigene”, sage ich. “Aber Danke dir!”. Er nickt, stellt einen bereits überquellenden Aschenbecher zwischen uns, gibt mir Feuer. Klar, in einer richtigen Amtsstube, da schert man sich herzlich wenig um seit Jahren gültige Nichtraucherschutzgesetze am Arbeitsplatz.

“Alles fein säuberlich aufbewahrt”, bricht er unser Schweigen, “so wie sich das gehört. Er deutet auf ein großes, vergilbtes Plakat an der Wand, das ich jetzt erst entdecke. “Netzplan Autoreisezugverkehr, Winterfahrplan 1977/1978” steht darauf. Farbige Linien verbinden Städte in ganz Europa, und irgendwo – relativ in der Mitte – ist mit rotem Filzstift die Station Neu-Isenburg eingekreist.

“Tja, damals war von hier aus noch die ganze Welt erreichbar”, seufzt mein alter Kollege. “Und der Netzplan, der hängt dort, seit ich hier angefangen habe. Seit 1977 sitze ich hier auf meinem Stuhl und kümmere mich um die Bürokratie, damit andere in ihren verdienten Urlaub reisen können”. Er bläst blauen Rauch in mein Gesicht, ich gieße mir Kaffee aus der ebenfalls vergilbten Kanne nach. Ich überschlage kurz Jahreszahlen.

“Du sitzt schon seit 35 Jahren hier?”, frage ich verwundert.
“So ist es!”, seine Augen strahlen stolz. “Ich habe damals meine Junggesellen-Ausbildung bei der Bundesbahn gemacht, hier beim Bahnhofsvorsteher von “Isebursch”. Und als der in Pension ging – Gott habe ihn selig! – hab’ ich seinen Posten übernommen. Und seitdem sitz’ ich eben hier in meinem Reich.”

Ich staune. Und überlege, ob auch ich noch in 35 Jahren im Führerstand einer Lokomotive sitzen werde. Und ob ich das überhaupt möchte. Der alte Kollege spricht weiter. “Damals, da war hier noch richtig was los. Jeden Tag kamen Züge von überall hier an. Es wuselte noch von Rangierern, die für Isenburg bestimmte Autowagen hier abkuppelten, hier verladene Autos wieder anhängten. Die Autos stiegen hier auch mit um, wurden an andere Züge angehängt. Und dann wieder auf die Reise geschickt, irgendwohin, wo es schön ist”. Sein Blick ist nun ein wenig wehmütig, er starrt ins Leere. “Tja”, er haut auf den Tisch, “alles vorbei. Der Lauf der Zeit eben”. Der Autozugverkehr, der sei am Sterben, er sei sich ganz sicher, dass das Ende bald kommen würde. Und dann, sagt er, würde er hier “die Bude absperren”. “Für immer”. Und dann endlich in Pension gehen und selbst verreisen. Er sagt das nicht traurig – er sagt das mit einer inneren Zufriedenheit, wie sie nur ältere Menschen sie besitzen. Er scheint dankbar um seine Zeit hier zu sein. “35 Jahre”, sag’ ich, “da hast du bestimmt so einiges erlebt. Du könntest sicher Bücher schreiben!”

“Allerdings”, nun lacht er. “Die schönsten und traurigsten Geschichten, die sind mir aller hier passiert.” Er erzählt mir von einem Ehepaar, dass sich kurz vor der Abfahrt in den gemeinsamen Urlaub hier am Bahnhof dermaßen zerstritten hat, dass die Frau spontan die Flucht ergriff und der Mann seine Reise dann alleine antrat. All sein gutes Zureden habe da nix geholfen. Oder aber von einer Familie, die versehentlich den falschen Zug bestiegen hat, denen er aber auf dem kleinen Dienstweg einen kleinen Unterwegs-Umstieg ermöglicht hat und dafür gesorgt hat, dass ihr eigentlich gebuchter Zug an einem anderen Ort noch auf sie wartet. Aus dem Urlaub habe er ein Dankeschön-Schreiben erhalten, das habe er noch heute. Er klingt stolz. “Nur einmal”, fährt er fort, “da habe er großen Mist gebaut. Ein Auto einem falschen Transportwagen zugewiesen, sodass die Urlaubsfamilie vergeblich auf ihr Auto wartete, als sie in Italien ankam. Denn das war derweil nämlich irgendwo in Frankreich. “Das hätte nie passieren dürfen”, er beißt sich auf die Zunge.

Ich zucke auf, als sich die Türe öffnet. Ein junger Kerl in verschmierter Warnkleidung tritt ein. “Mahlzeit!”, begrüßt er mich, streift Handschuhe ab und greift zur Kaffeekanne. “Ladevorgang für den 13370 beendet!”. Mein Gegenüber greift einen Stapel Papiere, macht irgendwelche Vermerke. Stempelt irgendwas. Ich reiche dem jungen Kerl die Hand, “Moin, Kollege!”. Kollegen, das seien wir ja eigentlich gar nicht. Eigentlich sei er Student und das hier nur sein Ferienjob.

Klar, hätte ich mir ja denken können. Für die wenigen Zugpaare in der Woche dürfte es sich für die Deutsche Bahn kaum lohnen, festangestellte Verladehelfer hier vorzuhalten. Ebenso wie auch das Rangierpersonal: Während früher hier gleich zwei Rangierlokomotiven der Baureihe V60 (die wir Lokführer liebevoll als “dreibeiniges Stangenwirbeltier” bezeichnen) samt Personal fest stationiert waren, reist heute für jeden Zug eigens eine Rangierlok aus dem Hauptbahnhof in Frankfurt an. Und die Rangierarbeiten, die erledigt dann allein der Rangierlokführer. Tja, man spart eben wo man kann, muss ja seit 1994 Geld verdienen als Eisenbahn des Bundes. Bundesbahn, das war einmal. Außer eben in diesen vier Wänden hier.

Ich quatsche ein wenig mit dem Studenten, er studiert Germanistik. Und die Arbeit hier, die sei zwar körperlich anstrengend – dafür sei sie aber wesentlich besser bezahlt als ein Job als Kellner im Café. Und Trinkgeld, das bekomme er sogar manchmal auch. “Du weißt ja, bei Urlaubern sitzt die Brieftasche immer etwas lockerer!”, grinst er. Ich grinse mit, der alte Mann wirft einen Blick auf seinen Monitor. Röhre, kein TFT – aber immerhin: Ein Monitor.

“Kannst dich langsam fertig machen!”, sagt er. “13370 im Anflug, gerade Darmstadt durch”.

Ich ziehe meine Jacke an, trinke den letzten Schluck des bitteren Kaffees aus. Packe meinen schweren Rucksack, reiche dem alten Kollegen die Hand. “Hat mich gefreut”, ich verabschiede mich, “ich hoffe, wir sehn uns noch mal vor deinem Ruhestand. Solange die Autozüge noch rollen!”.

Ich trete aus auf den Bahnhofsvorplatz. “Sind Sie unser Lokführer?”. Aha, die Jungs mit den Motorrädern also. “Also, verkleidet hab’ ich mich nicht – meine Uniform ist echt!”, lache ich, die Jungs lachen mit. Ob sie denn nachher mal einen Blick vorne in die Lok werfen dürften, werde ich gefragt. “Na klar dürft ihr das!”. Man freut sich, jawoll, bis später. Ich laufe auf den Bahnsteig, sehe irgendwo am Horizont drei weiße Lichter vor der aufgehenden Morgensonne. Das muss er also sein, mein 13370. Das laute Brummen der Rangierlok ist bereits zu hören, sie befindet sich im Rangierbahnhof auf “Lauerstellung”, wartet mitsamt den Autotransportwagen auf den ankommenden Zug. Und auch ich muss nun durch die Gleise zum Rangierbahnhof laufen. Dort lösen wir Lokführer ab, mein Kollege wird dann herüber zur S-Bahn laufen und die Fahrt in seinen Feierabend antreten. Mit kreischenden Bremsen hält die alte Lokomotive vor mir: Eine Maschine der Baureihe 110, Baujahr 1956. Da war selbst mein Vater noch nicht geboren. Ich klettere auf den Führerstand, es ist angenehm überhitzt. “Alles in bester Ordnung!”, sagt der Kollege, nachdem ich ihm die Hand gegeben habe. Ich wünsche ihm einen schönen Feierabend, beginne meine Vorbereitungsarbeiten.

Als die Rangiermanöver beendet sind, führe ich gemeinsam mit dem Rangierlokführer eine Bremsprobe mit den neuen Wagen durch. Anschließend erhalte ich über Funk die Zustimmung des Fahrdienstleiters, zum Bahnsteig vorzuziehen. Die Urlaubsrückkehrer, die wollen hier schließlich noch aussteigen – und schließlich gilt es noch, die Urlauber aus dem Rhein-Main-Gebiet einsteigen zu lassen, damit ihre schönsten Tage des Jahres endlich beginnen können.

Ich halte am Bahnsteig, die junge Zugführerin steigt aus und eilt zu mir vor. Sie begrüßt mich mit einem “Morgen, lieber Lokführer!” und reicht mir lächelnd einen dampfenden Kaffee und ein Frühstück aus dem Speisewagen. “Damit du mir auch durchhältst bis Hildesheim!” Ich bedanke mich, sie macht eine kurze Sprechprobe mit ihrem Funkgerät. Und nun steht auch die Motorrad-Gang bei mir, schon ganz neugierig. Ach ja, da war ja was. Ich bitte sie, zu mir heraufzukommen. “Aber Einer nach dem Anderen, ist ziemlich eng hier drinnen!”.

Einer nach dem anderen blickt mit staunenden Blicken über den Führerpult. “Hat ja auch ein paar mehr PS als unsere Bikes”, wird da festgestellt. Und alle wollen sie mal auf meinem Führersitz platznehmen. Ob ich denn ein Foto von ihnen machen könne, von ihnen vorne auf dem Sitz des Lokführers. Für ihre Frauen. Na klar kann ich, die Jungs freuen sich, laden mich auf ein Bier im Speisewagen ein. Muss ich leider dankend ablehnen, Dienst ist schließlich Dienst und Schnaps ist schließlich Schnaps. Dabei ist auch egal, dass der Schnaps in diesem Falle nur Bier ist. “Aber, Moment…” nun kommt mir ein Einfall, “nachher in Hildesheim, da werde ich abgelöst. Wenn ich dann absteige, und ihr mir noch einen Kaffee nach vorne bringen könntet, dann wäre das der Revanche genug!”.

“Abgemacht!”, der Rocker und ich geben uns ein High Five. “Verlass’ dich drauf, ein Mann, ein Wort!”. Ja ja, die Rocker-Ehre. Ich bin doch ein Schlitzohr, denke ich in mich hinein. Und den Kaffee nach der Ankunft, den werd’ ich später ziemlich nötig haben!

Sämtliche Urlauber sind an Bord, ich melde dem Fahrdienstleiter die Fahrbereitschaft für den 13370. Das Ausfahrsignal zeigt freie Fahrt, ich drehe sachte am Fahrschalterhandrad. Die Fahrmotorlüfter laufen hoch, der Autoreisezug gen Westerland rollt an. Ein Blick auf meinen Fahrplan und meine Motorstromanzeigen, ein letzter Blick hinaus auf das Fenster der Amtsstube im Bahnhofsgebäude. Ich bediene der Pfeife der Lok, verabschiede mich mit einem lauten Pfeifsignal von meinem alten Kollegen. Und ich will nur hoffen, dass ich ihm nochmals begegne.

Und ebenso, da hoffe ich, dass ich auch irgendwann so zufrieden auf mein Berufsleben zurückschauen kann. So viel erlebt haben werde wie der alte Kollege. Irgendwann, wenn dann auch mal ich in Rente gehe. Und “die Bude zusperre”.

Aber erst einmal, da gilt es, Familien und Motorradfreunde sicher in ihren Urlaub zu bringen. Ach ja, und ihre Autos und Motorräder, die natürlich auch.

 

Das traurige Ende einer großen Ära

Vielleicht ist diese Geschichte nichts weiter als erstunken und erlogen. Vielleicht aber auch war ich selbst der junge Lokomotivführer war, der diese Geschichte irgendwann  im Sommer des Jahres 2011 erlebt hat. Wie auch immer, ich denke gern an diese Geschichte zurück. Und genauso gern, da denke ich an den alten Beamten der sich mittlerweile längst in Pension befindet und hoffentlich endlich einmal selbst Urlaub macht. Und an die große Zeit der Autoreisezüge, die nun unwiderruflich vorbei ist.

An all das denke ich, wenn ich das einheitsweiße Bahnhofsgebäude und die verrammelte Wartehalle des Bahnhofs Neu-Isenburg heute 2017 anschaue. Werde ein wenig traurig, wenn ich den Verladerampen – einst Beginn von Urlaubsträumen – beim stetigen Verfall zuschaue.
Zeiten gehen vorbei, Momente werden zu Geschichten. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.

 

Als Tourist in der eigenen Stadt: Auf ein Bier im “Frankfurt Hostel”

So sehr man auch angekommen ist in Frankfurt, so gut man sich auch auskennen mag in seiner Heimatstadt, so sehr man ihren Duft bereits geatmet haben mag:

Es gibt dann doch ein paar Facetten des Stadtlebens, in die man als Frankfurter in der Regel keinen Einblick hat. Diejenigen, die eigentlich den Touristen und Besuchern unserer Stadt vorbehalten sind.

Nachdem ich bereits “undercover” und bestens als Tourist getarnt im roten Sightseeing-Bus eine Rundfahrt durch meine Heimatstadt gemacht habe, stellte sich mir noch eine andere Frage:

 

Wie schaut es eigentlich hinter den Fassaden der zahlreichen Hostels aus?

Welche Menschen trifft man dort an, woher stammen sie wohl, wie mögen ihre Eindrücke von Frankfurt sein?

Zeit, das herauszufinden. Klar, ein Hostel betritt man als Einheimischer eher selten. Wozu auch, wenn man praktischerweise eine Wohnung hier hat. Nicht nur zu Besuch ist, sondern das Glück hat, hier leben zu dürfen. Doch meine Neugierde treibt mich dann nach Feierabend dann doch einmal an einen Ort, an dem ich mit Sicherheit auf keine Einheimischen stoßen werde:

Dem “Frankfurt Hostel”, gelegen direkt am Kaisersack unweit des Hauptbahnhofs. Mittendrin im Bahnhofsviertel – also nicht unbedingt ein Ort, der in den Stadtführern ganz oben auf der Liste der sehenswerten Gegenden stehen dürfte.

Noch während ich vor dem Eingang stehe und darauf warte, dass ein Hostel-Gast die prunkvolle Eingangstür öffnet (ich habe schließlich keine Zimmerkarte und muss mich folglich unauffällig hineinschmuggeln), rechne ich aus, ob es angesichts der Mietpreisentwicklung nicht sogar günstiger wäre, würde icheinfach  meinen Hauptwohnsitz in ein Hostel verlegen.

 

 

Noch ehe ich meine Überlegung zu Ende führen kann, möchte dann tatsächlich ein junger Mann samt großem Rucksack das Hostel betreten. Ich husche flink hinterher und bedanke mich fürs Türaufhalten artig mit einem “Thank you”.

Endlich drinnen, staune ich schon mal nicht schlecht über das feudale Treppenhaus. Habe ich vorher eigentlich bereits jemals einen der Pracht-Altbauten des Bahnhofsviertel betreten?

 

 

 

Wohin bloß zum Feiern? Nach Alt-Sachs, natürlich!

Möglichst souverän (möchte ja nicht weiter als Nicht-Gast auffallen) steige ich die Treppen hinauf in den dritten Stock. Schaue mich ein wenig um. Auf den ersten Blick, da schaut es aus wie in jedem beliebigen anderen Hostel dieser Welt:

Einladungen zum abendlichen Pasta-Essen, zu einer “Free Walking Tour”. Auf einer Weltkarte haben die Besucher mittels Pins ihre Herkunft dokumentiert, ja, die ganze Welt war schon zu Gast in Frankfurt.

Ein wenig schmunzeln muss ich dann jedoch über die “What to do in Franfkurt” – Tipps, die an der Wand zu finden sind. Eigenartig, diese Empfehlungen als Einheimischer zu betrachten.

So ist der heißeste “Nightlife”-Tipp, wie sollte es auch anders sein: Alt-Sachsenhausen, pardon: “Old-Sachsenhausen”.

“Music: Ballermann” – klar, wenn man schon zu Gast in Deutschland ist, dann mag man sich natürlich gerne ein wenig Klischee gönnen.

Nun ja, irgendwie bin ich ja auch froh, dass all die Orte, die ich gerne aufsuche, bislang von Touri-Massen verschont geblieben sind. Wär’ ja noch schöner, hätten wir Frankfurter keine Rückzugsorte mehr, an denen wir ganz unter uns sein können. Wobei ich den Austausch mit Fremden durchaus schätze, schließlich bin ich genau deswegen hier.

Und wo kommt man am besten mit solchen ins Gespräch? Richtig, an der Bar. Ich geh’ rein, staune nicht schlecht über den regen Betrieb – es ist Montagabend, schon halb elf.

Erstmal genieße ich die nächtliche Aussicht auf den Hauptbahnhof, anschließend lasse ich meinen Blick kreisen: Man tratscht an der Theke, sitzt mit Klapprechner an den Tischen, lässt einen schönen Daytrip ausklingen.
Ich selbst tue derweil weiter unauffällig, bestelle mir ein eisgekühltes Tannenzäpfle, nehme Platz an einem Tisch am Fenster, zücke mein Buch.

 

“The most multi-cultural city I’ve been visiting in Germany”

Aber Halt, ich bin ja auch nicht zum Lesen hier. Zeit für ein bisschen Austausch!
Mir gegenüber sitzt eine junge Frau, die auf ihr MacBook starrt und sich offensichtlich ein wenig müde und gelangweilt durch die gängigen Social-Media-Plattformen klickt.

Ich sag’ mal “Excuse me”, nein, sie spricht kein Deutsch, nur Englisch. Kein Problem, ich improve ja gern meine foreign language skills.

Ich oute mich als Einheimischer, die junge Frau lacht. Warum ich denn dann in der Bar eines Hostels sitze, will sie wissen. Ich erzähle ihr von meiner Intention, sie mag meine Idee. Und schon entwickelt sich ein nettes Gespräch.

Yukie, so heißt sie, lebt in den USA – in Montana, um genau zu sein. Frankfurt ist die letzte Station ihrer Europareise: In Prag war sie vorher, in Dresden, Leipzig und Berlin. Eastern Germany. Schon morgen geht ihr Flieger in die Heimat. Und ein bisschen, sagt sie, freue sie sich schon auf ihr Zuhause. Sie sei des Sightseeings mittlerweile schon ein wenig überdrüssig. Ich frage sie, wie das Leben in Montana so ist – sie erzählt mir von den National Parks, den wunderschönen Seen, den Bergen. Der Nähe zu Kanada, die sie so schätzt.

Wie denn ihr Eindruck von Frankfurt sei, will ich wissen. 

Frankfurt, das sagt sie bestimmt, sei die auf den ersten Blick multikulturellste Stadt in Deutschland, die sie bislang besucht hat. Ich spreche sie auf die Umgebung des Hostels an, frage, ob sie sich wohl fühlt hier. Zu meinem Erstaunen scheint sie sich wirklich nicht von all den armen Gestalten hier am Kaisersack zu stören. Aus den USA sei sie da viel Schlimmeres gewöhnt, “where’s the problem” ?

Auch den Main habe sie sich bereits angesehen, der sei auch ganz nett. Aber Flüsse, die gäbe es ja auch in Dresden und Berlin, wäre jetzt nichts besonderes gewesen. Mein Frankfurter Stolz ist kurz angegriffen, lautstarken Protest spüle ich mit einem Schluck Tannenzäpfle hinunter.

Wir tratschen noch eine Weile, ich erzähle von meinem Roadtrip durch die USA im letzten Jahr. Als mich das Nordend ruft, verabschiede ich mich, wünsche ihr einen guten Flug gen Übersee.

 

Zig Nationen und Geschichten – in einem Raum. Wie spannend!

Als ich wieder auf dem Pflaster der Kaiserstraße stehe, da freue ich mich. Ich meine, ganz zentral in der eigenen Stadt auf zig Menschen aus verschiedenen Kulturen treffen zu können, die allesamt von ihren Eindrücken, Reisen und – ganz besonders schön! – von ihrer Heimat berichten können: Wie geil ist das denn?!

Ich bin mir ganz sicher, demnächst mal wieder vorbeizuschauen. Ganz undercover, versteht sich. Café und Bar haben schließlich 24 Stunden am Tag geöffnet, die Preise sind moderat – und “Free WiFi”, das gibt’s natürlich auch. Und wieso nicht einmal hier arbeiten statt im Café (sorry, Sugar Mama!) ?
Außerdem hab’ ich mal wieder mein Englisch ein wenig aufgefrischt – und davon profitiere ich dann spätestens nächste Woche, wenn ich selbst im Hostel in einer fremden Stadt sitzen werde. Auf einer kleinen Reise durch Portugal, als leibhaftiger Tourist. Mit Zimmerkarte, versteht sich. 

 

Hattet ihr auch schon unterhaltsame, aufschlussreiche und interessante Gespräche mit Besuchern unserer Stadt? Ich bin gespannt auf eure Geschichten!