Neulich im Nachtbus: Eine komplizierte Liebe.

“Ohjeh. Und du musst jetzt den Nachtbus nehmen? Na, da kannste ja sicher was erleben, so in der Nacht von Samstag auf Sonntag!”

Ich nicke zerknirscht und beneide meinen Kollegen um seine Wohnung im Gallusviertel, der gleich nach kurzem Fußmarsch erreichen wird. Es ist Sonntag Morgen, drei Uhr zehn. Mein Kollege und ich freuen uns auf unseren wohlverdienten Feierabend. Nun gilt es nur noch, möglichst unbeschadet nach Hause zu kommen. Doch während meinen Kollegen lediglich ein kurzer nächtlicher Spaziergang von seinem Sofa trennt, gestaltet sich mein Heimweg indes ein wenig komplizierter. Zu Fuß vom Hauptbahnhof ins Nordend, das kommt nicht in Frage. Ebenso verspüre ich herzlich wenig Lust darauf, noch über eine Stunde auf die erste Straßenbahn zu warten. Und zum Fahrradfahren, da bin ich nach zehn Stunden Dienst nun auch zu faul. Es wird dann wohl tatsächlich der Nachtbus, und ich ahne bereits, dass mein Kollege mit seiner Prophezeiung recht haben könnte.

“Bleibt mir wohl nix anderes übrig!”, sag’ ich zu ihm. “Ich erzähl’ dir die Tage dann gern von meinen Erlebnissen. Komm’ gut nach Hause!”.

Ein Handschlag zur Verabschiedung, ich blicke auf die Uhr. Noch sechs Minuten bis zur Abfahrt des N81, strammen Schrittes marschiere ich die Empfangshalle hinaus und zünde mir noch schnell ‘ne Zigarette an. Dumme Idee, stelle ich schnell fest. So ziemlich ausnahmslos jeder, dem ich hier begegne, bittet mich prompt – mal mehr, mal weniger freundlich – um ‘ne Kippe. Ich schüttele stur den Kopf, trete meine Zigarette aus. Ich sollte das mit der Raucherei wirklich besser bald mal bleiben lassen.

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich. Und die gleich folgende Szenerie lässt mich eine dunkle Ahnung davon bekommen, warum sich selbst Ulrich Mattner nachts im Bahnhofsviertel äußerst unwohl fühlt und den Stadtteil in einem offenen Brief jüngst gar als “rechtsfreien Raum” bezeichnet hat.

Als ich die Nachtbushaltestelle nämlich erreiche, wartet außer mir eben noch das typische Morgens-um-Drei – Bahnhofsviertelklientel. Feierleichen, Halbstarke, arme Gestalten eben.

 

Schlechtes Bauchgefühl

Ein Mann mittleren Alters, offensichtlich angetüddelt, lehnt an der Straßenbegrenzung. Eine Gruppe junger Männer (deren offensichtliche Herkunft ich besser unerwähnt lasse, will ja schließlich keinen Shitstorm provozieren!) baut sich um ihn auf. Der Rädelsführer spricht ihn an, fragt, was er hier mache. Der Mann blickt auf, entgegnet, dass er ganz offensichtlich auf den Bus warte. “Und warum sprichst du dann mit anderen Menschen?” – der Ton des Anführers wird provokant. “Na, weil ihr doch mich angesprochen habt!”, der gute Mann wirkt nun ein wenig verstört und nervös. Auch mein Bauchgefühl sagt mir, dass dies keine nette Unterhaltung zum bloßen Zeitvertreib ist.

Der junge Kerl grinst höhnisch: “Was antwortest du mir überhaupt? Welcher Landsmann bist du, sag’ schon!”

Der Mann antwortet, er sei Grieche, bittet die Jungs jedoch, doch irgendjemand anderen der Anwesenden zu bequatschen. “Ich hasse Griechen!”, höre ich den Kerl antworten, mein flaues Gefühl legt sich etwas, als ich vor uns an der Ampel einen Streifenwagen halten sehe. Solange ich die Beamten in unserer Nähe weiß, fühle ich mich sicher – und tatsächlich wirft der Uniformierte auf dem Beifahrersitz einen aufmerksamen Blick auf das Geschehen.

Doch die Ampel wird grün, der Polizeiwagen zieht von dannen. “Die Bullen, die machen eh nichts außer gucken”, quittiert die Gruppe die kurzzeitige Polizeipräsenz. Ich überlege mir kurz, ob ich die Beamten vielleicht hätte aufmerksam machen sollen. Doch bislang war nichts geschehen außer einem aufgedrängten Gespräch zu später Stunde. Was hätte ich sagen sollen?

Das Zischen der sich öffnenden Türen verdrängt meine Gewissensbisse; mit einiger Verspätung ist dann auch der Bus mal angekommen.

 


[Bildquelle: www.traffiq.de]

 

Nächtliche Nächstenliebe

Noch etwas verstört ob des Erlebten nehme ich direkt vorn beim Fahrer platz, hoffe auf eine ruhige Heimfahrt. Der erweist sich obendrein als netter Kerl, als er meine Frage nach meinem Anschluss an der Konsti mit einem “sorry, die warten nicht!” beantwortet, feststellt, die VGF sei eben ein Saftladen und mir obendrein noch ausführlich all die unglücklichen Umstände schildert, die zu dieser bedauerlichen Verspätung geführt haben.

Jedenfalls kann die Weiterfahrt gleich erfolgen, nur noch ein junger hagerer Kerl in Arbeitsbekleidung hetzt heran. Mit seinem Feierabend-Apfelwein hat er es offensichtlich ein wenig eiliger als ich; gleich zwei Dosen davon balanciert er auf seinem linken Arm.

Ich hab indes meine Lektüre schon gezückt, bekomme aber auf halbem Ohr mit, wie er mit dem Busfahrer spricht. Es gibt wohl irgendein Problem, der junge Apfelweinfreund will nur nach Hause, kann aber gerade keine Fahrkarte kaufen .

Ich zeige mich von meiner barmherzigen Seite.

Da ich ein JobTicket habe und nach 19 Uhr jemanden mitfahren lassen kann, beschließe ich kurzerhand, dass der junge Mann fortan mein Mitfahrer ist. Das verklickere ich dann auch dem freundlichen Busfahrer, der ist d’accord. Mein neuer Mitfahrer stellt sich links neben mich, zwischenzeitlich sind alle Sitzplätze belegt, und bedankt sich artig.

Der Bus setzt sich endlich in Bewegung. Ich will mich gerade wieder meiner Lektüre widmen, da spricht mich mein Mitfahrer an.

“Tolle Tattoos!” sagt er, offensichtlich hat er einen Blick auf meine Haut geworfen. “Waren bestimmt teuer, oder?”

Das mit Lesen gebe ich in endgültig auf, wende mich ihm zu. “Nun ja, Tattoos waren noch nie ein günstiges Hobby, oder?”

Er schüttelt den Kopf, hält mir seinen Unterarm vors Gesicht. Frisch gestochen darauf prangt ein Frauenname. “600 Euro!”, informiert er mich über den Preis des unter der Haut verewigten Schriftzuges. Seine direkte, offene Art interessiert mich dann doch irgendwie mehr als meine Zeitschrift.

 

“Melanie…”, lese ich laut den Namen auf seinem Unterarm vor. “Deine Freundin?”

Mein Feierabend-Genosse und auserkorener Mitfahrer nimmt einen Schluck Apfelwein aus der Dose, schaut mich traurig an. “Ich wünschte, ich sie wäre meine Freundin…”, sagt er traurig. Uff. Muss ich jetzt mitten in der Nacht als Seelentröster herhalten? Aber hey, der Junge ist nett, tut niemandem was, hat nur ganz offensichtlich Redebedarf. Und wo ich ihn schon auf meine Fahrkarte mitfahren lasse, kann ich auch gerne noch mein offenes Ohr zu Verfügung stellen.

Ich gebe mich also empathisch. “Ohjeh, unerwiderte Liebe also. Tut weh, aber geht vorbei – ist jetzt natürlich ein schwacher Trost, ich weiß”. Ich beiße mir kurz auf die Zunge, will ja nicht zu direkt werden. Aber hey, man kann ja über Tattoos mit dem Namen des Partners geteilter Meinung sein. Aber sich gleich den Namen der Angebeteten großfomartig auf den Unterarm stechen lassen, ohne mit ihr zusammen zu sein? Das erscheint mir dann doch ein wenig wagemutig und grotesk. Ich muss da einfach mal weiterbohren.

“Ähm, meinst du, aus euch könnt noch was werden, also irgendwann? Ich meine, weiß sie denn überhaupt davon, dass du unter deiner Haut ihren Namen spazieren trägst? Und was sagt sie überhaupt dazu?” 

Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass die gute Melanie sonderlich angetan von diesem Art des Liebesbeweises ihres Verehrers ist. Hätte es ein Strauß Rosen vor der Haustür da nicht auch getan?

Der unglücklich Verliebte beißt sich auf die Lippen: “Sie hält mich seitdem für Verrückt”, sagt er traurig. Nun ja, ich kann’s ihr ja irgendwie nicht verdenken.
Und ich komme nicht umhin, ihm zu sagen, dass auch ich das irgendwie ein wenig…. verrückt finde.

Ich dachte ja, meine Verwunderung könnte diesen Abend nicht mehr gesteigert werden. Doch weit gefehlt! “Aber das ist ja noch nicht alles…”, sagt der arme Kerl. Und zieht den Kragen seines Shirts hinunter, sodass ich auf ein großes Portrait einer jungen Frau blicke, die seine gesamte Brust bedeckt.

Mehr als ein erschrockenes “OHA!” will mir zunächst nicht aus dem Mund fallen.
“Das ist sie… Hübsches Mädchen, oder?”

Nun bin ich vollends baff. “Äääh, ja. Wirklich hübsch!”, sage ich wahrheitsgemäß. Ich hoffe indes, dass der Gute diese beiden nicht gerade unauffälligen Tattoos nicht irgendwann bitterlich bereuen wird. Und stelle mir die Frage, wie er künftigen Liebhaberinnen diese beiden Tattoos wohl erklären mag. Meine eigenen Probleme erscheinen mir für einen kurzen Moment lang jedenfalls ganz klein.

 

Will der mich auf den Arm nehmen ?

Ich wäge kurz ab, ob mich der junge Mann nicht einfach nur verschaukeln möchte. Aber warum sollte er das tun? Außerdem, das merke ich, scheint er wirklich traurig und ein wenig verzweifelt. Und deswegen schenke ich ihm Glauben und mein Mitleid. Jedenfalls solange, bis ich vollends aus den Wolken falle.

Die Geschichte seines Liebeskummers ist nämlich noch nicht zu Ende erzählt.
“Und weißt du, was das Schlimmste ist?”, werde ich gefragt und blicke in seine Augen. Ich fühle mich derweil ein wenig unbeholfen, antworte mit einem schnippischen “Äh – klar, wenn das Bier leer ist!”.

Ich liege daneben. “Sie ist meine Großcousine. Und neun Jahre jünger als ich. Und trotzdem habe ich sie erst vor Kurzem kennen gelernt und kann nur noch an sie denken”.

Oooooh, Shit!

“Und wie alt bist du, wenn ich fragen darf?” – Sechsundzwanzig, so die Antwort. Sein Schwarm ist also nicht nur mit ihm verwandt, sondern obendrein erst siebzehn.

Verrückte Welt. Ich bin ein wenig überfordert, möchte ihn irgendwie aufbauen, irgendwie aber auch ein Stück näher auf den Boden der Tatsachen bringen.

“Nun ja”, sage ich also. “Wo die Liebe hinfällt, das kann sich leider niemand aussuchen. Aber weißt du, ich bin mir ganz sicher, dass du irgendwann – vielleicht schon morgen! – eine Frau kennen lernst, die dich Melanie ganz schnell vergessen lässt. Und deine Liebe sogar erwidert! Und ich hoffe für dich, dass du dann deine Tattoos nicht bereuen wirst”.

“Danke”, sagt der wahnsinnig Sympathische (oder sympathische Wahnsinnige?) neben mir.. “Ich kann’s mir aber nicht vorstellen”.

Er solle da einfach mal abwarten, gebe ich ihm mit auf den Weg. Ich jedenfalls, ich sei mir da ganz sicher und wünschte ihm alles Gute, vor allem natürlich in der Liebe.

“Seht ihr, alle Anschlüsse weg!” 

Die unerfreuliche Ankündigung unseres netten Busfahrers beendet unser Gespräch. Die Konstablerwache ist erreicht, unsere Wege werden sich nun trennen.

“Kopf hoch!”, sage ich noch. “Und bitte keine weiteren Tattoos, okay?”

Wir stehen auf dem nächtlichen Bussteig, ich buche mir ein Call-a-Bike für die letzten Meter bis nach Hause. Er wünscht mir einen guten Heimweg. “Und danke nochmal fürs Mitnehmen.

 

Immer was erleben

Und während ich in die Pedale hinauf ins Nordend strample, muss ich an die Worte meines Kollegen denken. Ja, im Nachtbus kann man immer was erleben. Schönes, Skurilles, Trauriges, Erschreckendes. Lustige Szenen, beklemmende Gefühle, gelegentlich auch Aggressivität: Alles mit an Bord.

Und dieses Mal, da hab’ ich wieder mal was erlebt. Die Geschichte von einem unglücklich verliebten jungen Mann, der seinen Gefühlen mit ziemlich drastischen Methoden Ausdruck verlieh. Der mir dann doch recht verrückt erschien, aber eben auch: Ziemlich sympathisch.

Nachtbus fahren, das macht nicht immer Spaß, nervt, dauert mitunter ziemlich lange. Aber danach hat man eben immer was zu erzählen!


 

Habt auch ihr schon außergewöhnliche Erlebnisse an Bord der Frankfurter Nachtbusse gehabt? Habt ihr lustige, unterhaltsame, verrückte Bekanntschaften gemacht – oder vielleicht eure große Liebe gefunden?
Hinterlasst mir gerne einen Kommentar und erzählt mir eure beste Nachtbus-Story. Ich freu’ mich drauf !

 

 

 

Frühschicht.

Es ist einer jener Momente, die ich wirklich von ganzem Herzen hasse. Einer der Momente, in denen ich wirklich traurig bin. Es ist Freitagabend, noch dazu ein lauer Sommerabend. Die Stadt strömt nach draußen, läutet bei Bier und kaltem Schoppen das Wochenende ein. Feiert das Leben und die freudige Erwartung auf das, was diese Nacht wohl bringen mag. 

Ich jedoch, ich habe weder Bier noch Apfelwein in der Hand, keine Freunde neben mir, mit denen ich mich auf den Abend freuen konnte. Ich nämlich sitze auf meinem Balkon, betrachte die untergehende Abendsonne und schreibe diese Zeilen.

Unter mir, da tobt das Leben:

An der Hipster-Trinkbude GUDES, auf die ich hier von meinem Balkon im Frankfurter Nordend ganz hervorragend herunterschauen kann, steht das junge Nordend Schlange. Und der angrenzende Matthias Beltz-Platz ist bevölkert von Grüppchen, die miteinander anstoßen, lachen, sich lautstark unterhalten. Ich höre ihr Gelächter, ihre Gespräche bis hier.  The joy of Life in Frankfurt. 

 

Augen auf bei der Berufswahl

Wie gerne doch auch ich jetzt einfach runtergehen würde, meine Freunde anrufen würde und mir ein eisgekühltes Bier öffnen würde. Doch was ich stattdessen mache? Gleich ins Bett gehen. Freitagabends, die Uhr zeigt halb neun. 

Mein Wecker, klingelt nämlich bereits in – oh weh, tatsächlich – sieben Stunden. Um halb vier, zur gänzlich unchristlichen Zeit am Samstag morgen, da heißt es für mich nämlich: Aufstehen, kalte Dusche, Rucksack schnappen, Dienst antreten. Dann, wenn viele der Leute da unten noch immer ihr Wochenende zelebrieren werden, dem Rausch der Nacht erliegen sein werden.

Nein, es ist nicht immer schön, mitten drin im Geschehen zu wohnen. Das wilde, bunte Stadtleben permanent unter die Nase gerieben zu bekommen. Nicht dann, wenn man gerade auf dem Weg ins Bett ist. Nicht weil man es so will – sondern weil es man so muss. Die Miete, die zahlt sich schließlich nicht von alleine.

Bereits seit zehn Jahren, da mache ich diesen Job: Ein Beruf, der mich zu den unmöglichsten Tages- und Nachtzeiten meinem Bett entspringen lässt. Der mir zwar jede Menge Freizeit schenkt, die ich zum Beispiel diesem Blog schenken kann – der mich aber auch gelegentlich dazu zwingt, Momente wie diesen zu erleben. Und jedes Mal aufs Neue, da bin ich traurig, wenn ich am Wochenende Frühschicht habe und hier auf meinem Balkon sitze. Eine letzte Zigarette rauche, noch einmal die Schallplatte rumdrehe, bevor ich mich schlafen lege.

Doch ich hab es mir so ausgesucht, habe mich für diesen vielleicht etwas ungewöhnlichen Beruf entschieden – der mir, bei all den Schattenseiten, die ich wie eben erlebe – “unterm Strich” viel Freude bereitet. Und mich wahrlich schöne Momente erleben lässt. Womit wir beim Thema wären! 

 

Frankfurt macht einen drauf. Ich mir positive Gedanken.

Doch statt nun in Depressionen zu verfallen oder umgehend die schriftliche Kündigung zu formulieren, da versuche ich, meine Traurigkeit bestmöglich durch positive Gedanken zu ersetzen. Irgendwann habe ich nämlich ein System entwickelt, das mich dann meist doch mit einem Lächeln zu Bett gehen lässt:

Nein, ich kann mich heute auf keinen schönen Abend freuen. Den Freitagabend, den verbringe ich im Bett. Dafür aber, da werde ich morgen früh um Vier in der Straßenbahn sitzen und jede Menge Freude daran haben, mir all die Feierleichen anzuschauen und ihre meist wenig sinnstiftenden Gespräche zu belauschen.

Und anschließend, da werde ich irgendwann einen wunderschönen Sonnenaufgang erleben. Werde den jungfräulichen Beginn des des neuen Tages in aller Schönheit genießen können, während der Rest der Stadt noch lange in eigenen wie fremden Betten liegen wird.  Werde in meiner Arbeitspause spazieren gehen können, während die Leute da unten noch lange schlummern werden.

Und wenn ich irgendwann Feierabend habe, dann kann ich mich darauf freuen, mit klarem Kopf den Tag genießen zu dürfen. Nach kleinem Mittagsschlaf versteht sich. Der Rest der Stadt indes macht indes nichts, wird wach, fühlt sich verkatert. Und ich geh’ erstmal joggen, während der Rest der Stadt sich allmählich mit zerknautschten Gesichtern in die Cafés traut.

Der Montag ist mein Freitag

Auch am folgenden heiligen Sonntag, da werd’ ich dann noch mal pflichtbewusst meinen Dienst antreten. Doch am Montag, wenn der gemeine Büromensch sich schlecht gelaunt auf den Weg an den Schreibtisch machen und in überfüllten S-stehen und das aufdringliche Parfüm des Sparkassenangestellten gegenüber verfluchen wird: Dann hab’ auch ich endlich Wochenende.

Werde mich nochmals gemütlich im Bett rumdrehen, während anderswo bereits die Telefone bereits dauerklingeln, die Kunden wieder an den Nerven zehren und die ersten Meetings absolviert werden wollen.

Spätestens abends dann werde ich die Lichter in den Wohnungen erlöschen sehen. Die Stadt geht zu Bett, ich gehe zum PubQuiz. Hab’ ja schließlich Wochenende.

Es gibt also so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. Und dennoch hilft mir dieses Gewissen in diesem Moment nicht weiter, hier auf meinem Balkon, wo ich den unter mir Feiernden ein gedankliches “Trinkt ‘nen Schoppen für mich mit!” zurufe und gleich den Deckel meines Laptops zuklappen werde.

Denn zu Bett, das gehe ich jetzt wirklich schweren Herzens. Schichtdienst kann ein arschloch sein. Aber auch ein Engel.
Gute Nacht, Frankfurt. Bis morgen früh zu Sonnenaufgang, der mich für meine momentane traurigkeit entschädigen wird Ich freu’ mich drauf! Glaube ich. Ein bisschen. think positive.

 

Als Autos noch Huckepack auf Zügen fuhren: Es war einmal in Neu-Isenburg…

Vielleicht erscheint es euch bereits heute unvorstellbar:
Es gab mal eine Zeit, in der an Ryanair, Easyjet & Co. noch nicht zu denken war. Als Fliegen noch ein überaus teures Privileg war, das nur Wenigen vergönnt war.

Eine Zeit, in der nicht überall auf der Welt jederzeit ganze Mietwagenflotten darauf warteten, um von Urlaubern preiswert genutzt zu werden.

Doch auch damals schon verspürte der reiselustige Deutsche den Wunsch, das Urlaubsland mit dem Auto zu entdecken. Und ein eigenes Auto, das hatte damals schließlich noch nahezu jeder. Nun war es aber wahrlich kein Vergnügen, die lange Anreise ins Urlaubsland auch im eigenen Mobil zu bestreiten. Auch an Pauschalreisen wagte damals schließlich noch niemandem ein Begriff.

Man glaubt es kaum, aber bereits vor über 80 Jahren hatte die damalige Deutsche Reichsbahn eine ganz schlaue Idee:

Warum sollten die Autos nicht auf Transportwagen an Zügen verreisen, in deren Schlafwagen die Urlauber entspannt der Sonne entgegen schlummerten? Das System der “Autoreisezüge”, so nannte man dieses pfiffige Konzept, erfreute sich schnell großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Kaum wunderlich, schließlich lagen die Vorteile auf der Hand: Man kam morgens ausgeruht an Adria, Algarve oder kroatischer Küste an und konnte nach einem ausgiebigen Frühstück im Zug direkt mit dem eigenen Auto losdüsen.

 

Von Neu-Isenburg aus in die schönsten Regionen Europas

Aufgrund der wachsenden Nachfrage baute die Deutsche Bundesbahn in den Nachkriegsjahren schnell aus: Von Deutschland aus erreichten die Urlauber schnell und komfortabel begehrte Ferienregionen innerhalb der Nachbarländer. Und natürlich verspürten auch die Frankfurter – das Wirtschaftswunder noch im Rücken – eine nie zuvor gefühlte Reiselust.

Da bereits in den späten 1950er Jahren das Frankfurter Eisenbahnnetz an den Grenzen seiner Kapazität angelangt war, hat die Bundesbahndirektion Frankfurt eine im wahrsten Sinne des Wortes naheliegende Entscheidung getroffen:

Der Bahnhof des benachbarten Neu-Isenburg sollte zum Autozug-Bahnhof ausgebaut werden. Verladerampen wurden errichtet, eine Wartehalle samt Café wurde errichtet. Neue Gleise für die aufwändigen Rangiermanöver wurden verlegt, ein entsprechendes Reisebüro eröffnet.

Der Bahnhof Neu-Isenburg war fortan also Ausgangspunkt für all die Urlauber des Rhein-Main-Gebiets, die ihr Gefährt “huckepack” auf dem Zug mit auf die Reise nehmen wollten.

Narbonne in Frankreich, Westerland auf Sylt, Allesandria in Italien oder auch in die Alpen nach Schwarzach: All diese Urlaubsorte  waren neben zahlreichen anderen schnell von Frankfurts kleiner Nachbarstadt zu erreichen.

 

 

 

Daran erinnerte über Jahrzehnte hinweg auch die himmelsblaue Bemalung des Bahnhofsgebäudes, die um Motive aus den von hier aus angefahrenen Ferienregionen ergänzt wurde. (Bild: www.gueterbahnhof-neu-isenburg.de)

 

Irgendwann jedoch begann mit dem Aufkommen des Pauschaltourismus der Niedergang des Autozuges. Fliegen wurde erstmals erschwinglich, Billigflieger taten später ihr übriges. Statt ins benachbarte Ausland machten die Deutschen nun lieber gleich am anderen Ende der Welt Urlaub. Karibik statt Korsika, das war nun die Devise – und spätestens, als dann überall auch noch günstige Mietwagen zu finden waren, war der “gute, alte Autozug” schlicht überflüssig.

Und so ereilte schließlich auch Neu-Isenburg das Schicksal der Autozug-Verladebahnhöfe: Am 26. Oktober 2014 lief der “AZ 53370” aus Narbonne ein und beendete das jahrzehntelange Kapitel des Autoreisezugverkehrs ab Neu-Isenburg.

Die himmelsblaue Fassade des Bahnhofsgebäudes wich samt den schönen Motiven einem Einheitsweiß, sodass heute nur noch das längst geschlossene Wartegebäude sowie die alten Rampen an all die freudigen Urlauber erinnern, die hier ihre Reise begonnen hatten.

Wenn ich heute, im Jahre 2017, vor dem Bahnhofsgebäude stehe, mir die verfallenden Anlagen anschaue: Dann werde ich ein wenig wehmütig.

Und wenn ich dann noch meine Augen schließe, dann erinnere ich mich an die Geschichte eines jungen Lokführers, der einmal frühmorgens um 4 noch recht verschlafen im Taxi saß. Auf dem Weg vom Frankfurter Hauptbahnhof nach Neu-Isenburg war. Er sollte dort einen Autozug aus Italien zu übernehmen, neue Urlauber samt ihren motorisierten Zwei- und Vierrädern mit an Bord nehmen und bis Hildesheim zu bringen, wo ein Kollege ihn ablösen würde und er einen ICE zurück nach Frankfurt nehmen würde. Das Ende der Autozüge war bereits absehnbar, der Fahrplan bereits entsprechend ausgedünnt. Es war, sagen wir mal, irgendwann im Sommer 2011.

 

Und die Geschichte, die geht so…

Nein, mitten in der Nacht aufstehen und zum Dienst eilen müssen, das war noch nie meins. Daran werd’ ich mich wohl nie gewöhnen. Ich sitze im Taxi, sehe die dunklen Fassaden des Gutleutviertels an mir vorüberziehen. Der Taxifahrer scheint munterer als ich, schert er sich doch jedenfalls herzlich wenig um jegliche innerstädtischen Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ich habe andere Probleme: Ich brauche Kaffee. Viel Kaffee. Und hoffe, dass ich in Neu-Isenburg am Bahnhof noch welchen ergattern kann, bevor meine Fahrt nach Hildesheim beginnt.

Wir erreichen den noch in Dunkelheit gehüllten Bahnhof, vor dem aber bereits großer Trubel herrscht. Urlaubstrubel, um genau zu sein. Auf dem großen Parkplatz vor der Wartehalle stehen bereits brav Autos Schlange, um auf die bereitstehenden Transportwagen verladen zu werden. Motorräder stehen daneben, ihre stolzen Besitzer sind offensichtlich trotz der unchristlichen Uhrzeit bereits in bester Urlaubsstimmung und rauchen Zigaretten in Lederkluften. Ich trage derweil auch Leder, allerdings in Form meiner Uniformjacke, die mich als Lokführer ausweist.

Zielsicher steuere ich auf die kleine Tür im Erdgeschoss des Empfangsgebäudes zu und klingele. Ein alter Mann mit sanftem Blick in seinem verlebten Gesicht öffnet mir die Türe und mustert mich. “Lokführer?” fragt er mich. “Jau”, sag ich. “Für den 13370 nach Westerland”. Er nickt. “Na denn komm’ mal rein! Gibt auch Kaffee!”.

Wärme und Kaffee. Ich bin glücklich. Der Kaffee sollte sich zwar als bluthochdruckfördernder Filterkaffee “alter Schule” herausstellen, aber soll ja schließlich wirken, nicht schmecken. Ich folge dem Kollegen, er führt mich in sein Büro, bietet mir Platz an und reicht mir eine dampfende Tasse Kaffee. Ich schmunzele, als ich das Logo der Deutschen Bundesbahn auf ihr entdecke. Wohl schon was älter.

“Kannst auch noch eine Tasse trinken oder auch zwei”, sagt der Kollege. “Dein Zug hat eine gute Stunde Verspätung. Wieder irgendwelche Verzögerungen an der Grenze. Na ja, die Italiener eben. Kennt man ja.”

Ich bin fast ein wenig froh um die Verspätung. Noch ein bisschen Augenpflege vielleicht, ein paar Kaffee hinterher – das erscheint mir als angenehmere Aussicht als eine unmittelbare Dienstaufnahme. Auch die Urlauber draußen vor dem Fenster scheinen die Verspätung gelassen zu nehmen.

Ich nutze die Zeit, um mich ein wenig im Büro umzuschauen. Es scheint mir auf den ersten Blick zur Tasse in meiner Hand zu passen. Irgendwie aus der Zeit gefallen, als seien die Uhren hier irgendwann einfach stehen geblieben. In den “guten, alten Zeiten der Bundesbahn”, von der die älteren Kollegen immer so schwärmen.

Mein Blick streift unendliche Reihen von Akten, fein säuberlich beschriftet und verfrachtet in riesigen Regalen. Ich versuche, die Buchstaben zu entziffern. “Westerland 1977”, lese ich da. “Villach 1981”, “Paris 1984”, “Narbonne 1986”.

Auf dem gewaltigen Schreibtisch stehen unzählige Stempel, fein gespitzte Bleistifte liegen daneben. Und darüber, da tickt lautstark eine alte Bahnhofsuhr. Nein, ich sitze hier nicht verschlafen in einem Büro, befinde ich.
Vielmehr befinde ich mich in einer Amtsstube, in einem Relikt aus der Bundesbahnzeit, einem Bilderbuchbeispiel für deutsches Behördentum.

Mein Kollege bemerkt meine neugierigen Blicke, bietet mir eine Zigarette an. “Hab’ eigene”, sage ich. “Aber Danke dir!”. Er nickt, stellt einen bereits überquellenden Aschenbecher zwischen uns, gibt mir Feuer. Klar, in einer richtigen Amtsstube, da schert man sich herzlich wenig um seit Jahren gültige Nichtraucherschutzgesetze am Arbeitsplatz.

“Alles fein säuberlich aufbewahrt”, bricht er unser Schweigen, “so wie sich das gehört. Er deutet auf ein großes, vergilbtes Plakat an der Wand, das ich jetzt erst entdecke. “Netzplan Autoreisezugverkehr, Winterfahrplan 1977/1978” steht darauf. Farbige Linien verbinden Städte in ganz Europa, und irgendwo – relativ in der Mitte – ist mit rotem Filzstift die Station Neu-Isenburg eingekreist.

“Tja, damals war von hier aus noch die ganze Welt erreichbar”, seufzt mein alter Kollege. “Und der Netzplan, der hängt dort, seit ich hier angefangen habe. Seit 1977 sitze ich hier auf meinem Stuhl und kümmere mich um die Bürokratie, damit andere in ihren verdienten Urlaub reisen können”. Er bläst blauen Rauch in mein Gesicht, ich gieße mir Kaffee aus der ebenfalls vergilbten Kanne nach. Ich überschlage kurz Jahreszahlen.

“Du sitzt schon seit 35 Jahren hier?”, frage ich verwundert.
“So ist es!”, seine Augen strahlen stolz. “Ich habe damals meine Junggesellen-Ausbildung bei der Bundesbahn gemacht, hier beim Bahnhofsvorsteher von “Isebursch”. Und als der in Pension ging – Gott habe ihn selig! – hab’ ich seinen Posten übernommen. Und seitdem sitz’ ich eben hier in meinem Reich.”

Ich staune. Und überlege, ob auch ich noch in 35 Jahren im Führerstand einer Lokomotive sitzen werde. Und ob ich das überhaupt möchte. Der alte Kollege spricht weiter. “Damals, da war hier noch richtig was los. Jeden Tag kamen Züge von überall hier an. Es wuselte noch von Rangierern, die für Isenburg bestimmte Autowagen hier abkuppelten, hier verladene Autos wieder anhängten. Die Autos stiegen hier auch mit um, wurden an andere Züge angehängt. Und dann wieder auf die Reise geschickt, irgendwohin, wo es schön ist”. Sein Blick ist nun ein wenig wehmütig, er starrt ins Leere. “Tja”, er haut auf den Tisch, “alles vorbei. Der Lauf der Zeit eben”. Der Autozugverkehr, der sei am Sterben, er sei sich ganz sicher, dass das Ende bald kommen würde. Und dann, sagt er, würde er hier “die Bude absperren”. “Für immer”. Und dann endlich in Pension gehen und selbst verreisen. Er sagt das nicht traurig – er sagt das mit einer inneren Zufriedenheit, wie sie nur ältere Menschen sie besitzen. Er scheint dankbar um seine Zeit hier zu sein. “35 Jahre”, sag’ ich, “da hast du bestimmt so einiges erlebt. Du könntest sicher Bücher schreiben!”

“Allerdings”, nun lacht er. “Die schönsten und traurigsten Geschichten, die sind mir aller hier passiert.” Er erzählt mir von einem Ehepaar, dass sich kurz vor der Abfahrt in den gemeinsamen Urlaub hier am Bahnhof dermaßen zerstritten hat, dass die Frau spontan die Flucht ergriff und der Mann seine Reise dann alleine antrat. All sein gutes Zureden habe da nix geholfen. Oder aber von einer Familie, die versehentlich den falschen Zug bestiegen hat, denen er aber auf dem kleinen Dienstweg einen kleinen Unterwegs-Umstieg ermöglicht hat und dafür gesorgt hat, dass ihr eigentlich gebuchter Zug an einem anderen Ort noch auf sie wartet. Aus dem Urlaub habe er ein Dankeschön-Schreiben erhalten, das habe er noch heute. Er klingt stolz. “Nur einmal”, fährt er fort, “da habe er großen Mist gebaut. Ein Auto einem falschen Transportwagen zugewiesen, sodass die Urlaubsfamilie vergeblich auf ihr Auto wartete, als sie in Italien ankam. Denn das war derweil nämlich irgendwo in Frankreich. “Das hätte nie passieren dürfen”, er beißt sich auf die Zunge.

Ich zucke auf, als sich die Türe öffnet. Ein junger Kerl in verschmierter Warnkleidung tritt ein. “Mahlzeit!”, begrüßt er mich, streift Handschuhe ab und greift zur Kaffeekanne. “Ladevorgang für den 13370 beendet!”. Mein Gegenüber greift einen Stapel Papiere, macht irgendwelche Vermerke. Stempelt irgendwas. Ich reiche dem jungen Kerl die Hand, “Moin, Kollege!”. Kollegen, das seien wir ja eigentlich gar nicht. Eigentlich sei er Student und das hier nur sein Ferienjob.

Klar, hätte ich mir ja denken können. Für die wenigen Zugpaare in der Woche dürfte es sich für die Deutsche Bahn kaum lohnen, festangestellte Verladehelfer hier vorzuhalten. Ebenso wie auch das Rangierpersonal: Während früher hier gleich zwei Rangierlokomotiven der Baureihe V60 (die wir Lokführer liebevoll als “dreibeiniges Stangenwirbeltier” bezeichnen) samt Personal fest stationiert waren, reist heute für jeden Zug eigens eine Rangierlok aus dem Hauptbahnhof in Frankfurt an. Und die Rangierarbeiten, die erledigt dann allein der Rangierlokführer. Tja, man spart eben wo man kann, muss ja seit 1994 Geld verdienen als Eisenbahn des Bundes. Bundesbahn, das war einmal. Außer eben in diesen vier Wänden hier.

Ich quatsche ein wenig mit dem Studenten, er studiert Germanistik. Und die Arbeit hier, die sei zwar körperlich anstrengend – dafür sei sie aber wesentlich besser bezahlt als ein Job als Kellner im Café. Und Trinkgeld, das bekomme er sogar manchmal auch. “Du weißt ja, bei Urlaubern sitzt die Brieftasche immer etwas lockerer!”, grinst er. Ich grinse mit, der alte Mann wirft einen Blick auf seinen Monitor. Röhre, kein TFT – aber immerhin: Ein Monitor.

“Kannst dich langsam fertig machen!”, sagt er. “13370 im Anflug, gerade Darmstadt durch”.

Ich ziehe meine Jacke an, trinke den letzten Schluck des bitteren Kaffees aus. Packe meinen schweren Rucksack, reiche dem alten Kollegen die Hand. “Hat mich gefreut”, ich verabschiede mich, “ich hoffe, wir sehn uns noch mal vor deinem Ruhestand. Solange die Autozüge noch rollen!”.

Ich trete aus auf den Bahnhofsvorplatz. “Sind Sie unser Lokführer?”. Aha, die Jungs mit den Motorrädern also. “Also, verkleidet hab’ ich mich nicht – meine Uniform ist echt!”, lache ich, die Jungs lachen mit. Ob sie denn nachher mal einen Blick vorne in die Lok werfen dürften, werde ich gefragt. “Na klar dürft ihr das!”. Man freut sich, jawoll, bis später. Ich laufe auf den Bahnsteig, sehe irgendwo am Horizont drei weiße Lichter vor der aufgehenden Morgensonne. Das muss er also sein, mein 13370. Das laute Brummen der Rangierlok ist bereits zu hören, sie befindet sich im Rangierbahnhof auf “Lauerstellung”, wartet mitsamt den Autotransportwagen auf den ankommenden Zug. Und auch ich muss nun durch die Gleise zum Rangierbahnhof laufen. Dort lösen wir Lokführer ab, mein Kollege wird dann herüber zur S-Bahn laufen und die Fahrt in seinen Feierabend antreten. Mit kreischenden Bremsen hält die alte Lokomotive vor mir: Eine Maschine der Baureihe 110, Baujahr 1956. Da war selbst mein Vater noch nicht geboren. Ich klettere auf den Führerstand, es ist angenehm überhitzt. “Alles in bester Ordnung!”, sagt der Kollege, nachdem ich ihm die Hand gegeben habe. Ich wünsche ihm einen schönen Feierabend, beginne meine Vorbereitungsarbeiten.

Als die Rangiermanöver beendet sind, führe ich gemeinsam mit dem Rangierlokführer eine Bremsprobe mit den neuen Wagen durch. Anschließend erhalte ich über Funk die Zustimmung des Fahrdienstleiters, zum Bahnsteig vorzuziehen. Die Urlaubsrückkehrer, die wollen hier schließlich noch aussteigen – und schließlich gilt es noch, die Urlauber aus dem Rhein-Main-Gebiet einsteigen zu lassen, damit ihre schönsten Tage des Jahres endlich beginnen können.

Ich halte am Bahnsteig, die junge Zugführerin steigt aus und eilt zu mir vor. Sie begrüßt mich mit einem “Morgen, lieber Lokführer!” und reicht mir lächelnd einen dampfenden Kaffee und ein Frühstück aus dem Speisewagen. “Damit du mir auch durchhältst bis Hildesheim!” Ich bedanke mich, sie macht eine kurze Sprechprobe mit ihrem Funkgerät. Und nun steht auch die Motorrad-Gang bei mir, schon ganz neugierig. Ach ja, da war ja was. Ich bitte sie, zu mir heraufzukommen. “Aber Einer nach dem Anderen, ist ziemlich eng hier drinnen!”.

Einer nach dem anderen blickt mit staunenden Blicken über den Führerpult. “Hat ja auch ein paar mehr PS als unsere Bikes”, wird da festgestellt. Und alle wollen sie mal auf meinem Führersitz platznehmen. Ob ich denn ein Foto von ihnen machen könne, von ihnen vorne auf dem Sitz des Lokführers. Für ihre Frauen. Na klar kann ich, die Jungs freuen sich, laden mich auf ein Bier im Speisewagen ein. Muss ich leider dankend ablehnen, Dienst ist schließlich Dienst und Schnaps ist schließlich Schnaps. Dabei ist auch egal, dass der Schnaps in diesem Falle nur Bier ist. “Aber, Moment…” nun kommt mir ein Einfall, “nachher in Hildesheim, da werde ich abgelöst. Wenn ich dann absteige, und ihr mir noch einen Kaffee nach vorne bringen könntet, dann wäre das der Revanche genug!”.

“Abgemacht!”, der Rocker und ich geben uns ein High Five. “Verlass’ dich drauf, ein Mann, ein Wort!”. Ja ja, die Rocker-Ehre. Ich bin doch ein Schlitzohr, denke ich in mich hinein. Und den Kaffee nach der Ankunft, den werd’ ich später ziemlich nötig haben!

Sämtliche Urlauber sind an Bord, ich melde dem Fahrdienstleiter die Fahrbereitschaft für den 13370. Das Ausfahrsignal zeigt freie Fahrt, ich drehe sachte am Fahrschalterhandrad. Die Fahrmotorlüfter laufen hoch, der Autoreisezug gen Westerland rollt an. Ein Blick auf meinen Fahrplan und meine Motorstromanzeigen, ein letzter Blick hinaus auf das Fenster der Amtsstube im Bahnhofsgebäude. Ich bediene der Pfeife der Lok, verabschiede mich mit einem lauten Pfeifsignal von meinem alten Kollegen. Und ich will nur hoffen, dass ich ihm nochmals begegne.

Und ebenso, da hoffe ich, dass ich auch irgendwann so zufrieden auf mein Berufsleben zurückschauen kann. So viel erlebt haben werde wie der alte Kollege. Irgendwann, wenn dann auch mal ich in Rente gehe. Und “die Bude zusperre”.

Aber erst einmal, da gilt es, Familien und Motorradfreunde sicher in ihren Urlaub zu bringen. Ach ja, und ihre Autos und Motorräder, die natürlich auch.

 

Das traurige Ende einer großen Ära

Vielleicht ist diese Geschichte nichts weiter als erstunken und erlogen. Vielleicht aber auch war ich selbst der junge Lokomotivführer war, der diese Geschichte irgendwann  im Sommer des Jahres 2011 erlebt hat. Wie auch immer, ich denke gern an diese Geschichte zurück. Und genauso gern, da denke ich an den alten Beamten der sich mittlerweile längst in Pension befindet und hoffentlich endlich einmal selbst Urlaub macht. Und an die große Zeit der Autoreisezüge, die nun unwiderruflich vorbei ist.

An all das denke ich, wenn ich das einheitsweiße Bahnhofsgebäude und die verrammelte Wartehalle des Bahnhofs Neu-Isenburg heute 2017 anschaue. Werde ein wenig traurig, wenn ich den Verladerampen – einst Beginn von Urlaubsträumen – beim stetigen Verfall zuschaue.
Zeiten gehen vorbei, Momente werden zu Geschichten. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.

 

Auf Trinkhallen-Tour mit den Experten: “Im Kaleidoskop der Wasserhäuschenkultur”

Dass ich ein großer Freund der Frankfurter Wasserhäuschen-Kultur bin:
Das sollte nicht erst allgemein bekannt sein, seitdem ich all den Büdchen unserer Stadt im Rahmen meiner Reihe “Talentfrei Musizieren” eine eigene Hymne gewidmet habe.

Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass ich mich unmittelbar für einen Stadtspaziergang mit dem etwas vagen Titel “Im Kaleidoskop der Wasserhäuschenkultur” angemeldet habe, den ich in den Untiefen des WWW entdeckt habe.

Die Tour reiht sich in die lose Reihe diverser Stadtspaziergänge an, die vom Open Urbane Institute Frankfurt organisiert werden. Diesmal sollte Christoph Siegl vom “OUI” jedoch fachkundige Unterstützung der Trinkhallen-Experten der “Linie 11” erhalten. Was für ein paar Kumpels als spaßige Idee begann (nämlich das Abfahren der Straßenbahnlinie 11 verbunden mit der Einnahme von entsprechenden Kaltgetränken an den Wasserhäuschen jeder einzelnen Unterwegshaltestelle), ist mittlerweile längst zu einem leidenschaftlichen Projekt mit entsprechendem Einfluss und zunehmender Präsenz geworden.

Ich bin jedenfalls schon gespannt darauf, die ausgemachten Experten der Frankfurter Wasserhäuschen-Kultur kennen zu lernen!

In der Beschreibung wurde etwas vage “ein Spaziergang zur Erkundung des Ursprungs sowie der heutigen Bedeutung der Frankfurter Wasserhäuschen-Kultur” versprochen, “mit besonderem Fokus auf deren Einfluss auf den sozial- und städtebaulichen Bereich”.

Kurzum: Ich hab’ keine rechte Ahnung, was da auf mich zukommen mag.
Aber hey: Klar, dass ich dabei bin! 

 

Wetterfest in Bockenheim

Es ist Dienstagabend, 18 Uhr, als ich pünktlich den Treffpunkt am Kurfürstenplatz erreiche. Dass man sich bereits an der dortigen Trinkhalle positioniert hat, hätte ich mir ja denken können. Ich sag’ mal “Hallo” und treffe neben Christoph vom Urban Institute auf gleich zwei Vertreter der “Linie 11” auf gleich 15 weitere Trinkhallenkultur-interessierte Frankfurter, die sich bereits mit Wegebier und gemischter Tüte versorgt haben. Man mag schließlich gerüstet sein für all das, was während des Spaziergangs kommen mag!

Schnell komme ich ins Gespräch, einen hervorragenden Opener liefert hierbei das Wetter: Dieses zeigt sich nämlich justament von einer ganz und gar nonchalanten Seite. Windböen und Regen: Nicht gerade das ideale Wetter für einen gemütlichen Spaziergang.

Wir werden vom freundlichen Trinkhallenbetreiber (an den Büdchen scheint der Kunde wirklich noch König!) umgehend mit Sonnenschirmen versorgt, die gleichsam Schutz vor Regen bieten, und flüchten unter einen nahestehenden Baum.

Unter dessen Krone werden wir herzlich begrüßt und bekommen eine grobe Übersicht über das, was uns erwarten mag. Schnell wird klar:
Das Ruder hier haben eindeutig die Jungs von der “Linie 11” in der Hand. Und einen besseren Führer als die beiden Büdchen-Experten könnte ich mir wahrlich nicht vorstellen!

Sie erzählen uns von der Geschichte der Wasserhäuschen in Frankfurt am Main. Kaum zu glauben, aber in den frühen Jahren das 19. Jahrhunderts war das Frankfurter Trinkwasser derartig verunreinigt, dass die Frankfurter es bevorzugten, ihren Durst – insbesondere während der Arbeit! – mit Schnaps und Bier zu löschen.

Die Stadt wollte diesem der Volksgesundheit nicht unbedingt dienlichem Zustand nun Einhalt gebieten und installierte vor den einzelnen Industriestätten kleine Buden, die sauberes Trinkwasser und Limonaden anboten.

Uns wird eine “Klickerflasche” präsentiert – diese Erfindung ermöglichte es erstmals, kohlensäurehaltige Getränke ohne “Prickelverlust” abzufüllen. Und die “Büdchen” entwickelten sich schnell zu deren Hauptumschlagsplatz. Wer hätte gedacht, zu Hochzeiten etwa 800 (!) Wasserhäuschen im Frankfurter Stadtgebiet existierten?

 

“Gezapftes Bier macht Kopfschmerzen!”

Wind und Regen flauen ab, wir sind im Begriff, unseren Spaziergang zu beginnen.
Da läuft ein Besucher der Trinkhalle zu uns, bittet, ein kurzes Wort an uns richten zu dürfen. Natürlich darf er das, deswegen sind wir hier!

Es folgt ein kämpferisches Plädoyer für die Frankfurter Wasserhäuschenkultur.
“Ich habe reichlich Trinkerfahrung”, sagt er. “War in jeder Kneipe dieser Stadt, kenne ein jedes Wasserhäuschen”.

“Geht nicht in Kneipen!”, rät er uns. Das gezapfte Bier sei dort nicht nur schweineteuer, sondern auch gesundheitsschädlich. Da die Zapfleitungen stets metallisch verunreinigt seien, verursache Bier vom Fass Kopfschmerzen. Am Büdchen jedoch, da würde lediglich Flaschenbier verkostet: Und das sei in der Regel nicht nur kalt, sondern gleichfalls günstig und verursache keine Kopfschmerzen.

Zugegeben: Eine etwas gewagte Theorie. Aber ich jedenfalls freue mich über die unvorhersehbare Gastrede. Schließlich sollen die Wasserhäuschen einem jeden Menschenschlag eine Heimat bieten, genau dies macht deren Authentizität für mich schließlich aus. 

Wir bedanken uns für die Worte des gut gekleideten Mannes mit Binding Export in der Hand, werfen einen hoffnungsvollen Blick gen Himmel, beginnen unsere Tour. Ich stärke mich mit einem Schluck Cola, gerade mal halb sieben, will ja noch ein Weilchen aufnahmefähig bleiben.

 

Vom Selbst-Öffnen und Vor-Ort-Trinken

Unser Spaziergang führt uns gen Westen, schnell machen wir einen ersten Halt an einer Trinkhalle am Beginn der Hamburger Allee. Die Ersten sind nämlich schon wieder durstig, wie gut, dass es hier Frischbier gibt!

Die Trinkhalle liegt zwischen zwei Wohnhäusern in einer Baulücke und ist somit kein waschechtes Wasserhäuschen, wie uns berichtet wird. Per Definition ist ein echtes Wasserhäuschen nämlich freistehend, verfügt über keinerlei für Gäste zugängliche Räume – dafür aber stets über eine Toilette.

 

 

 

Und dass die frisch erstandenen Biere hier direkt auf dem Bürgersteig vor der Trinkhalle verköstigt werden können, das liege allein daran, dass die Flaschen lediglich vom netten Verkäufer ausgehändigt, aber nicht geöffnet wurden. Anderenfalls wären nämlich eine Ausschankgenehmigung sowie die Vorhaltung von sanitären Einrichtungen vonnöten. In unserem Fall werden aber somit nur mitgebrachte Getränke in öffentlichem Raum konsumiert.

Nachdem ausführlich die rechtliche Lage erörtert wurde, stelle ich wieder einmal fest: Gar nicht immer so einfach, in Deutschland zu leben und trinken.

 

Trinkhalle, Büdchen, Späti – ja, was denn nun eigentlich?

Wir ziehen weiter, überqueren die Emser Brücke. Von hier aus haben wir einen hervorragenden Ausblick auf das Europaviertel zu unserer Linken sowie das alteingesessene Gallusviertel zu unserer Rechten. Ein Kontrast, der prompt interessante Diskussionen hervorbringt. Ich jedenfalls hab’ meine ganz eigene Meinung zu all den “Montag bis Freitag – Frankfurtern”, die mit ihren Einheitseigentumswohnträumen die sozial Schwächeren zunehmend verdrängen.

Derweil wird uns erzählt, wie die Konzessionen für den Trinkhallen-Betrieb einst unter nur wenigen Pächtern aufgeteilt wurden. Diese hatten ihre jeweils eigenen Farben – was zur Folge hatte, dass die Wasserhäuschen stets in den Farben des Pächters, dem sie angehörten (beispielsweise rot-weiß oder gelb-grau) gestrichen wurden. Hab’ ich auch noch nicht gewusst.

Nun unterhalten wir uns schon eine ganze Weile über all die Büdchen in der Stadt.

Aber: “Büdchen”, “Wasserhäuschen”, “Kiosk” oder gar “Späti” – wie heißt’s denn nun eigentlich wirklich?

Klar, dass die Jungs von der Linie 11 hier weiterhelfen können:

Im allgemeinen Sprachgebrauch meinen alle Begriffe dasselbe. Das “Wasserhäuschen” bezeichnet im engsten Sinne jedoch auch heute noch ein freistehendes Büdchen, während ein “Kiosk” meist in eine Häuserzeile integriert. Der Begriff der “Trinkhalle” dagegen stammt aus dem Nordrhein-Westfälischen Sprachraum, während der “Späti” als Späteinkaufsmöglichkeit vor allem in Berlin ein beliebter Treffpunkt für die Nachbarschaft ist. Wieder was gelernt! 

Wasserhäuschen Einst & Jetzt

Wir lassen Emser Brücke und somit Bockenheim hinter uns, betreten das Terrain des Gallusviertels. Es ist nicht weit bis zum “Wasserhäuschen Kölner Straße”, einem echten Prachtbeispiel des Frankfurter Büdchenbaus.

Hier werde dann auch ich schwach: Mittlerweile hat sich der Himmel aufgeklärt, die Abendsonne zeigt sich von ihrer besten Seite. Jetzt ein kühles Henninger Export – ja, das hätte was. Gedacht, bestellt!

Beim Frischbiergenuss diskutieren wir über den jüngsten Wandel der Frankfurter Wasserhäuschen. Verleugnen sie ihre Idee als soziokulturellen Treff für jedermann, mutieren sie zu Hipster-Buden – oder machen sie sich fit für die Zukunft, um ihre Funktion in kommende Generationen weiterzutragen?

Klar, dass es nicht lange dauert, bis die Sprache auf das “GUDES” am Matthias Beltz-Platz kommt. Und hier hab’ ich als direkter Anwohner, als Angehöriger einer jüngeren Generation, natürlich was zu sagen – und zeige besonderes Interesse. Schließlich erlebe ich tagsüber wie nachts all das Treiben am Büdchen und auf dem angrenzenden Matthias-Beltz-Platz, der in der Vergangenheit bereits oftmals Schlagzeilen aufgrund von der Nachbarschaft mitgebrachten Sitzmöbel sowie Parties bis in die Morgenstunden gemacht hat.

Auch das “Fein” in der Eschenheimer Anlage hat einen denkwürdigen Wandel vollzogen:

Mit einer hochwertigen Siebträger-Kaffeemaschine und putzigen Sitzmöbeln mutet das Wasserhäuschen nunmehr wie ein vollwertiges Café an und zieht auch entsprechendes Klientel an.

“Sich der sozialen Verantwortung nach wie vor bewusst sein”

Kein Problem, findet die Linie 11. Am wichtigsten sei schließlich, dass das Konzept des “Wasserhäuschens” überlebensfähig bleibt. Nur ebenso wichtig sei es, dass sich die Betreiber ihrer sozialen Verantwortung bewusst seien, auch weiterhaft eine Anlaufstelle für das klassische “Wasserhäuschen-Publikum” seien und dieses nicht verdrängen würden. Und somit freue man sich darüber, dass es beim “Fein” nach wie vor auch grundsolides Flaschenbier zu kaufen gibt.

 

“Hart klassisch” geht es weiter

Gemeinsam mit dem Wandel der Trinkhallen hin zum “hippen Treffpunkt für die Nachbarschaft” hat sich derweil auch die Ansicht auf die Büdchen-Kultur in breiten Teilen der Frankfurter Bevölkerung geändert:

So ist es schon längst nicht mehr verpönt, ein Bier am Wasserhäuschen trinken zu gehen. Unsere Trinkhallen also auf dem Weg zur allgemeinen sozialen Akzeptanz?

So einfach scheint es nicht. Denn nach wie vor, so wird uns neugierigen Teilnehmern berichtet, existiere sie:

Die Kategorie der “hart klassischen Trinkhallen”. Wie bitte? 

“Hart klassisch”, diese adverbiale Zusammensetzung war mir selbst zuvor nicht geläufig. Ich beschließe jedoch, diese umgehend in meinen Wortschatz aufzunehmen.

Unter “hart klassisch” ist, so auch eine andere Teilnehmerin, eine Trinkhalle zu verstehen, an der sich nach wie vor nahezu ausschließlich das klassische Wasserhäuschen-Klientel zu treffen pflegt, um bereits am Morgen das ein oder andere Bierchen zu zischen. Jene Art von Trinkhallen, auf deren unmittelbare Nachbarschaft man vielleicht nicht unbedingt stolz ist.

Aber dennoch, so finde ich: 

Auch vermeintliche “gescheiterte Existenzen”, die gehören einfach zu unserer Stadt. Auch ihnen soll ein Raum des Austauschs geboten sein. Und wie sagen es die Jungs von der “Linie” so schön: “Wäre es besser, sie alleine auf dem Sofa dem Fernseher zu überlassen?”. Ganz meine Meinung. 

Ein schönes Beispiel einer so “hart-klassischen” Trinkhalle wird uns prompt mit einem Besuch des “Einkaufskiosk Kölner Straße” geboten. Gelegen inmitten des Gallusviertels, altgedientes Arbeiterviertel.

Und hier werde ich dann auch schwach: Zu schön die Abendsonne, die mittlerweile den Regen verdrängt hat. Zu sehr lacht mich das eisgekühlte “Henninger Export” an. Mal fix eines erworben, macht dann 1,30 Euro, besten Dank auch und Prost. Ich fühle mich umgehend ein wenig hart bis klassisch und genieße den ersten kalten Schluck Bier.

 

Wie steht es also um die Zukunft?

Wir setzen unseren Spaziergang fort, mittlerweile sind wir Teilnehmer warm geworden miteinander und betreiben munteren Austausch.

Unser Ziel ist ein berühmt-berüchtigter Ort, nämlich der alte Wachturm der Gallusanlage. Unmittelbar unterhalb des Turmes konkurrieren seit zwei Jahrzehnten gleich zwei Trinkhallen in direkter Nachbarschaft:

Die eine – nun ja, “hart-klassisch” eben, geöffnet 24 Stunden am Tag – die andere recht familiär und mit weit weniger aggressivem Marketing-Auftritt.

Die durstigen ordern noch ein Bier, ich schwenke derweil über zum Kaffee. Wir tauschen uns über die Zukunft der Frankfurter Wasserhäuschen aus.

“Kann man finanziell denn eigentlich noch überlegen – als Betreiber eines Wasserhäuschens” ? 

Diese berechtigte Frage kommt uns auf. “Klar”, sagen die Experten, “heutzutage, wo jeder zweite REWE bis Mitternacht geöffnet hat, wo sich auch die ganze Nacht lang noch ein Bier an der Tankstelle nebenan kaufen lässt – da ist der Anreiz gering, eigens zum Getränke-Erwerb noch das nächstgelegene Büdchen aufzusuchen”.

Ein Großteil der Betreiber habe sich darüber hinaus ein Zuverdienst als Paket-Annahmestelle oder Lotto-Station gesichert. Anders ginge es eben nicht mehr. Sei dann der Pachtvertrag noch entsprechend alt und günstig, ginge das schon noch irgendwie, mehr schlecht denn recht.

Aber die soziokulturelle Funktion eines Wasserhäuschens, die dürfe eben nicht unterschätzt oder gar verloren gehen.

Mein Fazit

Die Dämmerung beginnt, wir spazieren weiter durch den Abend. Die nächste Anlaufstelle ist ein weiteres Beispiel einer “hart-klassischen” Trinkhalle:

Das “NEDO”, das zwar nicht mehr so heißt, seit der Inhaber gewechselt hat – aber dennoch als solches bekannt ist. Dort lassen wir den offiziellen Teil des Spaziergangs zu Ende gehen. Wie uns der kleine Streifzug durch die Frankfurter Wasserhäuschen-Kultur gefallen hat?

Ich für meinen Teil kann sagen: 

Ich habe nicht nur eine Menge wissenswertes zur Geschichte der Frankfurter Wasserhäuschen erfahren, ich hatte obendrein einen echt netten Abend mit netten Menschen.

Und obendrein wurde mein Bewusstsein dafür geschärft, dass Wasserhäuschen eben viel mehr sind, als nur Gelegenheit zum Bier- und Süßigkeiten kaufen:

Die Frankfurter Wasserhäuschen sind ein Original, ein Stück Kulturgut, das es zu bewahren gilt. Und viel öfter sollte auch ich meinen Beitrag leisten, dieses zu erhalten.

Einfach mal 1,50 Euro am Büdchen zahlen statt 89 Cent im Supermarkt – dafür aber bestenfalls noch interessante, bestenfalls nette Menschen aus der Nachbarschaft treffen. Ein bisschen tratschen über Dies und Das. Und wo ich schon mal da bin, vielleicht noch ein paar Briefmarken mitnehmen.

Auf gute Nachbarschaft! 

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich die Stadtspaziergänge des “Urban Open Institute” bislang gar nicht kannte. Und es gibt noch so viele davon, dass in deren Vielfalt mit Sicherheit für jeden von euch etwas dabei ist!

Für den Spätsommer ist übrigens auch eine neue Auflage des “Wasserhäuschen-Stadtspaziergangs” angekündigt.
Neugierig geworden? Dann schaut einfach hier vorbei:

https://www.facebook.com/openurbaninstitute/

Pfingsten in Frankfurt: Vielfalt im Stadtwald, Fachwerk & Natur im Umland

Nach diesem Pfingstwochenende, da weiß ich mal wieder ganz genau, warum Frankfurt einfach “meine Stadt” ist.

Dabei fing das lange Wochenende eher freudlos an für mich:

Freitagabend, Nachtschicht. Unterwegs in der S-Bahn in Stuttgart (jaja, ihr wisst schon – dieses Epizentrum der Spießigkeit, in einem Talkessel im Südwesten der Republik…).

Dumme Anmache von, nun ja, Mitbürgern offensichtlich abendländlichler Herkunft. Bin genervt, fühle Anspannung in mir. Und auch als ich den Hauptbahnhof erreiche und an zahlreichen Menschen eher aggressiver Grundstimmung vorbeilaufe, Kopf gesenkt und Musik an, da fühle ich mich nicht unbedingt sicherer.

Immerhin, die Rückfahrt nach Frankfurt, die verläuft reibungslos. Soll noch mal jemand sagen, auf die Deutsche Bahn wäre kein Verlass! Nun schnell vom Bahnsteig zum Parkplatz. Als ich das übliche Hauptbahnhofs-Klientel herumhängen sehe, da bin ich fast erleichtert: Die sind wenigstens seltenst aggressiv, im Direktvergleich mit dem nächtlichen Publikum des Stuttgarter Hauptbahnhofs fast als “Normalos” zu werten. Car2Go mieten, ab nach Hause.
Nun, da ich Main und Hochhäuser im Blickfeld habe, als ich im Smart nach Hause fahre, da macht sich doch ein wenig Freude in mir breit.

Ausschlafen! Langes Wochenende! Und nicht nur irgendeines, nämlich: Pfingstwochenende!

Und Pfingsten in Frankfurt, das bedeutet bekanntlich vor allem Eines: Wäldchestag!

Man sagt über die Frankfurter ,dass sie zwar unheimlich stolz auf ihren riesigen Stadtwald sein, auf all das von Wander- und Radwegen durchzogene Idyll. Trotz aller Lobeslieder auf den die Stadt umgebenen Wald pflegt der Frankfurter jedoch lediglich ein einziges Mal im Jahr den Weg dorthin aufzunehmen: Am Wäldchestag.

So wie – das versteht sich von selbst! – auch ich das vorhabe. Bin zwar nur zugezogenen, aber hey, ich zeige stets größte Integrationsbereitschaft.

Aber erstmal, da gilt es auszuschlafen. Gelingt mir recht gut, ab ins Bettchen, der Wecker bleibt zur Abwechslung mal ausgeschaltet.

10 Stunden später: Duschen, Kaffee, kleiner Spaziergang zwecks Lebensmittelversorgung über die Feiertage. Nun kann’s losgehen, Turnbeutel und gute Laune eingepackt: Wäldchestag, ich komme!

Vom Nordend mache ich mich auf, Umsteigen am Hauptbahnhof. Nehme Platz in der Linie 20, noch ein Red Bull zwecks endgültigem Ausmerzen meines Schlafdefizits.. Gegenüber von mir ein Kerl gleichen Alters, der mich in unangenehmer Weise an meine “nette” Bekanntschaft aus der Stuttgarter S-Bahn in der letzten Nacht erinnert.

Noch ein wenig in der Zeitung blättern, die Traum überquert den Main, bahnt sich ihren Weg durch Niederrad. Kurz vor meiner Zielhaltestelle, dem Oberforsthaus, da werde ich aus meiner Lektüre gerissen, weil ich herzlich lachen muss:

Schon seit Anfang Mai kann sich der Fahrgast in den Trams der VGF nämlich an Haltestellenansagen der Berufskomiker von “Badesalz” erfreuen. Und die vom Oberforsthaus, die hörte ich zum ersten Mal:

Nun ja, ich pruste vor mich hin, der Typ mir gegenüber nimmt seine Kopfhörer aus den Ohren. “Jetzt bitte keinen Stress”, denk’ ich mir, noch etwas nachgeschädigt von meiner “Bekanntschaft” in der Stuttgarter S-Bahn in der letzten Nacht.

Aber Halt, ich bin ja hier zu Hause, in Frankfurt, und so ernte ich statt einem “Hey, was bist’n du für einer, was willst du hier?” dann auch lediglich die Frage nach dem Grund meines spontanen Lachanfalls.

Gern beantworte ich diese Frage, leiste Aufklärungsarbeit in Sachen Badesalz und dem hessischen Dialekt. Nun lacht auch mein Gegenüber, “Und ich hör’ Musik – wie doof von mir!”. 

Ob ich denn auch zum Wäldchestag wolle, was’ ne Frage, wer will das heute nicht – ach, und übrigens, er sei der Amir. “Freut mich”, sag’ ich, “bin der Matze. Auch aus Frankfurt?”

Wir geben uns die Hand, steigen gemeinsam aus und bahnen uns nebeneinander den Weg durch den Stadtwald. Ich frag’ Amir, wo seine Wurzeln sind. Aus dem Iran ist er, verrät er mir, lebt seit sechs Jahren hier. Ist aber heute zum erstem Mal beim Wäldchestag, ist mir dankbar dafür, dass ich ihm den Weg zeigen kann.

Wir sinnieren noch ein wenig über Herkunft und Heimat. “Frankfurt ist geil”, findet er.

“Hier ist es scheißegal, wo jemand herkommt, ganz egal wer jemand ist – hier ist einfach jeder einfach Frankfurter”. 

Kann ich ihm nur beipflichten, gerade deswegen liebe ich diese Stadt schließlich auch so sehr. Nur, dass Berlin vielleicht noch ‘nen Ticken “geiler” sei – diese Ansicht teile ich nach reichlicher Überlegung dann doch gar nicht.

Lustigerweise, so stellt sich heraus, haben wir das selbe Ziel.
Seine Freunde wie auch meine Freunde warten auf uns im “Regenbogen-Zelt”.

Wer’s nicht kennt: Ein Zelt, in dem die schwule und lesbische Community der Stadt alljährlich ‘ne fette Party schmeißt.

Und schon wieder: Hier ist’s egal, wer du bist und wie du tickst. Ich bin jedenfalls weder schwul noch lesbisch, hab’ hier trotzdem Jahr für Jahr meine helle Freunde.

Man ist hier schließlich nicht Homo- oder Hetereosexuell, ist nicht Ausländer oder Deutscher, ist nicht Zugezogen oder Einheimisch: Man ist ganz einfach Frankfurter, nicht mehr und nicht weniger. 

Amir stößt prompt auf seine Leute, ich halte weiter Ausschau. Wir verabschieden uns, “cool, dich kennen gelernt zu haben, sehen uns ja eh später wieder”. 

Ich werde derweil fündig an den Bänken vor der Bühne. Noch gibt’s Live-Musik, das beste der Siebziger. Bei diesem Soundtrack dürften sich meine Eltern kennengelernt haben, denk’ ich mir. Jetzt ‘nen Apfelwein, hach, schmeckt das herrlich – endlich frei haben. Endlich leben.

Punkt 21.30 Uhr ist dann aber Schluss mit Livemusik, und wie auf Befehl verlassen die Besucher schlagartig ihre Bierzeltgarnituren und strömen ins Festzelt.

 

Hier geht die Party nämlich weiter, bis nachts um 1. Die Instrumente bleiben eingepackt, die Musik kommt aus der Dose: Jeden Abend geben sich Frankfurter DJ’s hier ein Stelldichein: Mein Favorit hierbei ist “DJ Hildegard”, die, ohne weiter ausschweifen zu wollen, so gar nicht aussieht wie eine typische “Hildegard”. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Tradition, Moderne, Techno

“Tradition trifft Moderne”, das ist in Frankfurt eben kein schnöder Satz aus dem Stadtmarketing – vielmehr wird ein Nebeneinander von Alt und Jung hier schlicht gelebt. Eben noch Siebziger, zehn Meter weiter, rumms, Techno.

Auch ich stehe mittlerweile im Zelt, wenige Takte genügen, um mich in Tanzlaune zu bringen. Hab’ ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich nirgends besser abschalten kann als beim Technotanzen?

Und so steh’ ich hier, links und rechts wird bereits geknutscht. Daran, dass sich hier auch gerne Mann und Mann sowie Frau und Frau die Zunge in den Hals stecken, daran stört sich hier niemand. Was in Dresden vermutlich einen gewalttätigen Aufstand hervorrufen und in Stuttgart zumindest befremdliche Blicke hervorrufen würde, das ist hier vor allem eines: Scheißegal. Auch, dass ich als Heterosexueller hier nicht unbedingt zur “Szene” gehöre: Scheißegal. Darum geht’s hier nicht, es zählt der junge Mensch, es zählt die Feier.

 

Frankfurt, das ist nämlich auch und vor allem eines: Unendlich tolerant. 

Ich bin in Stimmung, zünde mir eine Zigarette an. Und muss schmunzeln beim Gedanken, dass mich in einer Vielzahl der anderen Bundesländern – und ja, auch in Stuttgart! – nun die Security des Zeltes verweisen würde. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich Frankfurt wirklich mag?

Jemand schlägt mir auf die Schulter, ach, mein persischer Freund aus der Straßenbahn mal wieder. Prost, Amir, weitertanzen. Ich treffe auf Kollege, Schwule wie Nicht-Schwule. Ich bezeichne meinen Kumpel (Bulgare) im Scherz als “Wirtschaftsflüchtling”, er schimpft mich einen “Deutschen mit Stock im Arsch und Bausparvertrag”. Hach, ich liebe Klischees.

Ja, und irgendwann ist die Party dann auch vorbei, aufmachen zur Straßenbahn. Diese ist dann vollbesetzt mit zahlreichen Bravo-Abonnenten der Mittelstufe: Zeitgleich und Nebenan im Waldstadion findet nämlich das “World of Club Dome” – Festival statt.

Wozu also zum Nürburgring fahren und sich dort mit ärgerlichen Terror-Verdachtsmomenten herumschlagen müssen, wenn man doch auch einfach in Frankfurt bleiben kann?

Ganz besonders toll finde ich ja, dass auch um Mitternacht noch Familien hier sind. Ohne Angst haben zu müssen. Glaube kurz, ich wäre als Kind auch schon gerne hier gewesen. Aber man kann sich’s ja nicht aussuche, gelle? Von Fahrgeschäften hab ich zumindest früher nie genug bekommen, heute erzeugt der Gedanke an drei Runden “Breakdancer” am Stück jedoch bereits Übelkeit in mir. Man wird ja auch nicht jünger!

 

Irgendwann lande auch ich dann wieder mal im Bett. Bin ja auch nur ein Mensch mit gelegentlichen Schlafbedürfnissen.

Nicht ohne zuvor noch ein paar Nachbarn am “GUDES” getroffen zu haben, man trifft ja auch ständig Bekannte hier in Frankfurt. Wer auch immer sagt, München sei das kleinste Dorf der Welt – der war noch nie in Frankfurt.

 

Wäldchestag zum Zweiten

Am nächsten Abend, ganz klar, da lande ich natürlich wieder auf dem Wäldchestag. Diesmal aber ein wenig gediegener.

Und als ich im Riesenrad sitze und die Gondel ihren Höhepunkt erreicht. Als ich meinen Blick über die Baumkronen streifen lasse, mein Blick an der Skyline kleben bleibt.  Als ich von unten Musik höre, und weiß, dass genau dort unten gerade Menschen jeglicher Herkunft, sexueller Orientierung und Couleur gemeinsam feiern:

Da erfüllt es mich mit ein wenig Stolz, diesen Ort meine Heimat nennen zu dürfen.

 

 

Stiller Wald, weite Felder und ein zuckersüßes Umland

Huch, ist denn immer noch Pfingsten? Kaum zu glauben, wie lange ein solches Wochenende sein kann. Mich soll’s freuen! Schließlich schätze ich Frankfurt auch sehr dafür, ein wunderbarer Ausgangspunkt für lange Nachmittage auf dem Fahrrad zu sein.

 

Meine heutige Tour führt mich durch die stillen Weiten des Frankfurter Stadtwaldes, vorbei an Dreieichenhain, wo ich kurze Rast an der alten Wasserburg mache und das zuckersüße Fachwerk der kleinen Altstadt bewundere.

 

 

 

Weiter geht’s, ich trete eifrig in die Pedale und statte der Grube Messel einen Besuch ab. Die Ausgrabungsstelle als Weltkulturerbe hatte ich alter Kulturbanause nämlich tatsächlich noch nie zuvor besucht.

So gerne ich auch unter Menschen bin, so sehr brauche ich auch hin und wieder einfach Zeit für mich alleine. Will ohne Rücksicht auf andere meinen Entdeckerdrang ausleben, will in die Pedale treten wie es mir beliebt. Will rasten, wo und wie lange es mir beliebt. Und für einen kurzen Tapetenwechsel muss ich nicht mal weit weg fahren oder gar fliegen: Der Stadtwald und damit die große, grüne Welt beginnt gleich hinter dem Sachsenhäuser Berg!

Den hab’ ich zwischenzeitlich aber längst hinter mir gelassen, haben unterwegs Bekanntschaft mit einer Entenfamilie im Weiher und einem adretten Storchenpaar gemacht.

 

 

 

Nächster Stopp dann in Dieburg: Auch hier finde ich eine sehenswerte, schnuckelige Altstadt samt meinem so geliebten Fachwerk vor. Bitte kurz ein freundliches Ehepaar, ein kleines Erinnerungsbild von mir auf dem Marktplatz zu schießen.

Nun führt mich der Weg durch weite Felder, hier wachsen Rüben, Kartoffeln und Salat. Soll ja nicht heißen, meine Generation kenne Gemüse nur aus dem Supermarkt! Im wahrsten Sinne des Wortes ganz diebisch freue ich mich dann, als ich ein Erdbeerfeld entdecke und mir ein paar der saftig-süßen Früchte mopse. Ist ja schließlich Sommer, und ein Sommer ohne Erdbeeren?! Geht ja schließlich gar nicht!

Mein Tagesziel soll da Groß-Umstadt sein. Kannte ich bislang nur vom Hörensagen, gerüchteweise sollten dort sogar Menschen leben. Nun kann ich bestätigen: Dem ist so!

Außer leibhaftigen Menschen verzückt auch diese Kleinstadt mich mit ganz viel Fachwerk, schmucken Kirchen und einem barocken Rathaus an einem wunderschönen belebten Platz.

Die Regionalbahn bringt mich innerhalb von einer Stunde wieder heim nach Frankfurt. Wie toll es doch einfach ist, von Frankfurt aus ganz schnell ein so wunderschönes Umland genießen zu dürfen! Und – ebenso toll! – auch ganz schnell wieder zurück in der Großstadt zu sein. Und während ich die weite Landschaft vor dem Fenster vorbeifliegen sehe und ein perfektes langes Wochenende Revue passieren lasse, bis die Landschaft wieder Häuserschluchten weicht, als der Tunnel meine S-Bahn verschluckt und ich mich bald wieder zu Hause wähne:

Da weiß ich einmal wieder ganz genau, warum dieses Flecken Erde meine Heimat ist. Und nach Stuttgart, da mag ich wirklich so bald nicht mehr. 

Aber erst einmal, da fliege ich nun nach portugal. ich bin aufgeregt und gespannt auf all die eindrücke im äussersten westen des Kontinents. Aber weiss schon jetzt ganz sicher:
Ich werde froh sein, wieder zurück zu sein. Weil ich hier zu Hause bin.

 

Talentfrei musizieren: Büdchen-Pop und Hipster-Rap

Mit den Talenten ist das ja so ‘ne Sache. Die hat man oder nicht, und auch mir wurden vermutlich einige davon in die Wiege gelegt. Definitiv nicht zu meinen Talenten allerdings das Musizieren.

Ich kann weder singen (eine Krähe ist nun einmal kein Singvogel…) noch beherrsche ich ein Instrument in tauglichem Ausmaß. Daran änderte auch das gemeinschaftliche Singen in der Grundschulklasse nichts, und auch sieben Jahre Klavierunterricht machten schlussendlich keinen Virtuosen des Pianospieles mehr aus mir. Musizieren, das sollte ich also eigentlich aus bloßer Rücksicht auf die Unversehrtheit meiner Mitmenschen besser bleiben lassen.

Aber hey, wer sagt denn eigentlich, dass man besonders talentiert sein muss, um etwas zu tun?

Muss Musik perfekt sein, um zu unterhalten? Muss ich wirklich Meister meines Faches sein, um Freude dabei zu empfinden, aus einer Idee einen akustischen Frontalangriff auf meine Mitwelt werden zu lassen?

Ich denke, nein. Und genau deswegen versuchte ich mich in den letzten Tagen einfach mal als Musiker. Völlig talentfrei, aber mit Freude bei der Sache.

Zwei kleine Projekte sind mir in den Sinn gekommen, die ich nun vollendet habe. Und wenn sich nur ein Einziger von euch davon ein wenig unterhalten fühlt, vielleicht sogar darüber lachen kann (und wenn’s auch nur über mich ist…), dann hat mein Wirken sein Ziel erreicht.

Also: Lauscher auf und Bühne frei für meine vollkommen talentfreien Machwerke!

 

Büdchenzauber: Eine Ode an die Wasserhäuschen

Es war eines Abends im April. Die Tage wurden endlich länger, ich saß zu Hause und ließ den Blick durchs Wohnzimmer streifen. Was stand denn da an der Wand und blickte mich ganz vorwurfsvoll an? Ach, da war ja was: Meine Gitarre. Auch schon ewig nicht mehr in der Hand gepackt. Ob ich denn noch ein paar Akkorde beherrschen würde?

Dacht’ ich mir, nahm Klampfe in die Hand und Platz auf dem Balkon. Nachdem ich eine gehörige Portion Staub von ihr gepustet hatte, da folgte schnell Erleichterung: Zumindest ein Bruchteil meines – ich nenne es einfach mal so – “Könnens”, das ließ sich noch halbwegs abrufen.

So saß ich also da auf meinem Balkon im Nordend, Klampfe in der Hand – und schaute nach unten auf den Matthias-Beltz-Platz, an dem sich schon die halbe Nachbarschaft tümmelte, um den lauen Abend zu genießen.

Bevorzugt mit Kaltgetränken versorgt wird sich bei diesen Get-Togethers natürlich bei der Trinkhalle nebenan, in diesem Fall dem “GUDES”.

Die Frankfurter Wasserhäuschen – sie sind so viel mehr als nur Bezugspunkt für ein Bier zum Mitnehmen zu später Stunde. Open Air-Wohnzimmer, Nachbarschaftstreff, Ort für Klatsch & Tratsch, für neue Bekanntschaften und Seelsorge.

Auch ich weiß mich sehr glücklich um die zahlreichen “Büdscher” in Frankfurt am Main. Und, hey – wieso nicht eine kleine Hommage an all diese liebenswerten Frankfurter Phänomene komponieren?

Gedacht, getan: Das hier kam dabei raus!

Der Soundtrack aus dem Szenekiez: Ich versuche mich als Rapper

Im Rahmen der Vorab-Recherche für meine Erkundungstour nach Frankfurt-Sossenheim taten sich wahre Abgründe vor mir auf. Auf Youtube posieren harte Kerle samt Proleten-Karre vor tristen Wohnblicken, besingen ihren Block als Bronx und huldigen Drogenhandel, Schusswaffen und Prostitution.

Nach tapferem Anhören zahlreichen GangsterRap – Liedguts in Frankfurt muss ich feststellen: Nein, ich kann mir wahrlich nicht vorstellen, dass in einigen Stadtteilen tatsächlich Zustände wie in der Bronx herrschen sollten. Vielmehr, da war ich mir sicher, spielen die “harten Jungs” wohl ebenso gerne mit Klischees, wie ich das tue.

Die eigene Postleitzahl als Kampfansage, als Label für den Lifestyle eines Stadtviertels: Warum eigentlich immer nur in Verbindung mit Gangster-Attitüden?

Ich beschloss, dem etwas entgegenzusetzen. Ebenso klischeebeladen, ein wenig übertrieben, bestenfalls auch unterhaltsam. Wie das wohl für meinen “Kiez”, für die Postleitzahl 60316 aussehen konnte? Wie könnte er sich anhören, der “Sound der Berger Straße”?

Nun gehört das Singen bekanntlich nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen. Aber vielleicht könnte ich mich im Sprechgesang versuchen? Wo in Sossenheim der Gangster regiert, regiert im Nordend wohl der Hipster. Somit war es an der Zeit, eine eigene Musikrichtung zu etablieren: 

Den Hipster-Rap! 

Also: Schnell ein paar Zeilen geschrieben, feschen Beat ausgesucht, mit ein paar “Yo, yo, yo’s” in Stimmung gebracht. Die Aufnahme musste ich gleich mehrfach wiederrholen, weil ich währenddessen lauthals zu lachen anfangen musste. Und darüber lachen, das könnt ihr hoffentlich auch?

Yoyoyo, haltet eure Snapbacks fest, dreht schon mal den SWAG auf: 

 

Hier ist er, der Soundtrack aus dem Szene-Kiez!

 

Spaß an der Freude

Ich hoffe, damit den Beweis erbracht zu haben, dass man auch ohne jegliches Talent viel Freude haben kann. Mir hat das Texten, Spielen und Rappen jedenfalls viel Spaß gemacht, auch wenn die Resultate nicht einmal ansatzweise das Prädikat “Musik” verdient haben dürften. Einfach mal was machen, nicht aus dem Können heraus, sondern aus dem sprichwörtlichen Spaß an der Freude!

Habe ich auch euch ein wenig unterhalten können? Ich bin gespannt auf euer Feedback!
Bis dahin: Wir seh’n uns am Wasserhäuschen! Oder auch im Szenekiez, versteht sich. Keep it real!

 

 

Wohltaten im Moseleck

Es ist eine Geschichte, wie man sie wohl nur in Frankfurts berühmt-berüchtigtster Bahnhofskneipe erleben kann:

Es ist Sonntagabend, schon gen Mitternacht. Ich habe Feierabend am Hauptbahnhof. Und verpasse – trotz Sprint – die Straßenbahn ins heimelige Nordend. In der Kälte auf die nächste warten? Muss nicht sein.

Lieber noch auf ein Kaltgetränk ins Moseleck. Ist ja nicht weit, und außerdem ist heute schließlich Welttag des Bieres – und den gilt es schließlich auch noch gebührend zu zelebrieren. Gedacht, getan!

Als ich die legendäre Spelunke betrete, lasse ich meinen Blick streifen: Noch mächtig was los hier. Einzig an einem Zweiertisch ist noch einer der fest am Boden verankerten (warum nur?) Hocker frei. Am Tisch sitzt bereits ein älterer Herr mit Hut. Ich beweise gute Kinderstube und frage höflich, ob ich mich denn dazusetzen dürfe. Na klar darf ich. Wir sind hier schließlich im Moseleck, da darf man keine Berührungsängste haben.

Ich nehm’ dann mal Platz, bestelle Henninger, zücke mein Buch. Es dauert nicht lange, bis mir mit “Frankfurter Freundlichkeit” mein Gerstensaft serviert wird. Ein kaltes Bier zum Feierabend – was könnte schon schöner sein? Richtig, die Zigarette dazu.

Nach meinem Buch zücke ich also meine Schachtel Gauloises. Frage den Mann mit Hut mir gegenüber, ob es ihn denn störe, wenn ich rauche. Schließlich mag ich auch im Moseleck ein rücksichtsvoller Mensch sein.

 

Der Mann lächelt, schaut mich an.

“Weißt du”, sagt er. “Ich mag dich. Weil du ein rücksichtsvoller Mensch bist. Und für solch rücksichtsvolle Raucher, da hab’ ich immer was einstecken”.

Der Mann kramt eine frische Schachtel Marlboro aus seiner Tasche, drückt sie mir in die Hand. “Die sind für dich, weil du Rücksicht auf mich nehmen willst. Du darfst gerne rauchen, nur puste den Qualm bitte in die andere Richtung”.

Ich bin derweil erstmal baff. Zweifle kurz am Vollbesitz des Mannes geistiger Kräfte. Doch er meint es ernst. “Doch, du behältst die jetzt”.

Es entspinnt sich ein Gespräch. Aus München sei er, so verrät er mir. Doch nachdem seine Frau – die beste von allen! – gestorben sei, da habe er es dort nicht mehr ausgehalten in all dem Mief der Schickeria.

Ich könne mich glücklich schätzen, ein Frankfurter zu sein. Zum Beispiel, weil hier noch Rücksicht aufeinander genommen werde. Frankfurt, das sei eine gute Wahl.

 

Rücksicht zahlt sich aus

Wir unterhalten uns weiter. machen uns auch namentlich bekannt. Ich weiß nicht, ob seine Anekdoten voll und ganz der Wahrheit entsprechen – aber dennoch die weiteren Gesprächsinhalte hier nicht weiter ausführen, die bleiben mal schön im Moseleck. Gestaunt hab’ ich jedenfalls ganz mächtig.

Als ich später in der Straßenbahn gen Nordend sitze, da bin ich nicht nur um eine Schachtel Zigaretten reicher. Oder die Erkenntis, dass sich Rücksicht auszahlt.

Nein, wieder einmal hat sich mir bestätigt, dass ein jeder noch so unscheinbarer, auf den ersten Blick vielleicht befremdlicher, Mensch eine Geschichte hat.

Eine Geschichte, die zum Nachdenken bringen kann, für Unterhaltung sorgen. Die es in aber jedem Falle wert ist, sie sich anzuhören. Und dafür lohnt es sich mitunter auch, einfach mal spontan einen Blick in die düsteren Ecken der Stadt zu werfen.

 

 

Eine Null zu viel: Von einem mißglückten Samstagabend

Es ist Samstag. Während sich der gemeine Frankfurter ab spätestens 14 Uhr mittels Weinschorle an Kleinmarkthalle oder Rauscher auf dem Wochenmarkt bereits wieder zielsicher an den Pegel vom Vorabend heran trinkt, schiebe ich Dienst.

Ich bin seit 13 Stunden unterwegs, als ich am frühen Abend endlich meine Wohnung betrete. Meine Einkäufe verstaue, ein bisschen Erwachsenen-Zeugs erledige (Rechnungen begleichen, Schriftwechsel mit der Krankenkasse- ja, auch das gehört eben dazu…), schlussendlich heilfroh im Bett lande.

An Schlaf jedoch, da ist nicht zu denken.

Die preisexklusive Wohnlage im “lebhaften und urbanen Nordend” zollt dank Friedberger Landstraße und samstäglich belegtem Matthias Beltz-Platz eben ihren Tribut. Ursprünglich, da wollte ich ja mit einer Bekannten feiern gehen. Angesichts meiner Verfassung – es ist mittlerweile kurz vor Mitternacht, ich bin seit fünf Uhr heute Morgen auf den Beinen – erscheint es mir jedoch als keine gute Idee, noch irgendwo Eintritt zu bezahlen, um wenig später auf der Tanzfläche einzuschlafen.

Ein Kumpel schreibt, er befinde sich in einer stadtbekannten Musikkneipe in Alt-Sachsenhausen. “Puh”, denk ich mir, “es ist Samstagabend, ich habe morgen frei – wann kommt das schon mal vor?” – ein Apfelwein, der ist sicher noch drin.

Ich eile ins Bad, rette, was zu retten ist. Stürme das Treppenhaus hinunter, eile zur Straßenbahnhaltestelle.

Nur noch mal kurz Kohle kaufen

Man darf ja auch mal Glück haben: Die nächste Achtzehn kommt in drei Minuten. Reicht gerade noch zum Geldholen.

Ich eile zur Sparkasse, stecke meine Karte in den Geldautomaten, wähle routiniert “anderen Betrag auswählen”. Will den für einen Samstagabend obligatorischen Fuffi abheben, tippe auf der Tastatur herum – huch, ja, eine Null zuviel, herzlichen Glückwunsch:

Ich halte einen 500-Euro-Schein in der Hand. Scheiße. Sollten die nicht eigentlich längst abgeschafft sein? Damit durch Alt-Sachsenhausen zu schlendern, das erscheint mir als keine gute Idee.

Also: Gleich herübergeeilt zum gegenüberliegenden Einzahlungsautomaten.
“Für Kunden fremder Sparkassen ist eine Bargeldeinzahlung leider nicht möglich”. Fuck, wollte ich nicht bereits vor sieben Jahren meine Hausbank wechseln?

Aber: Kein Stress, keine Panik. Ich bestaune kurz die enorme Größe des 500ers, die Pizzeria ums Eck hat noch geöffnet. “Können Sie mir eben wechseln?”, ich zücke meinen lila Schein, man zeigt mir den Vogel. “Sie spinnen wohl!”. Na, schönen Dank auch.

Also: Wieder ab nach Hause, den “Lilanen” ins Kopfkissen einnähen.
Als ich den lila Riesen in der Hand halte (der ist wirklich großformatig!), da komme ich kurz in Versuchung.

Was nun tun mit dem “Lilanen”?

Zusammenrollen, ‘ne Linie Koks draus ziehen – das hätte doch Stil!
Blöderweise habe ich aber weder Drogen noch Drogenerfahrung, und alleine zu Hause weißes Pulver ziehen, das erscheint dann selbst mir als ein wenig unangebracht. Auf der Toilette des Gibson müsste das schon sein – blöderweise habe ich allerdings weder Lust auf das dortige Bänker-Stelldichein noch Bargeld für den Eintritt. Oder akzeptieren die auch Kreditkarte? Scheiß’ drauf, Koksen ist eh nicht meins. Auch wenn es bekanntlich wach machen soll – hätte ich nötig gerade. Wo ich aber gerade unverhofft wieder zu Hause bin, tut’s aber noch ein schneller Espresso.

Die Straßenbahn ist zwischenzeitlich längst weg, ich besteige mein Fahrrad, auf ein Neues zur Sparkasse. Hebe ich dieses Mal eben ganz gewissenhaft 20 Euro ab. “Von Ihrem Konto sind derzeit leider keine Verfügungen möglich.

Scheiße, das Tageslimit von 500 Euro an Bargeld ist erreicht, ich bin mittellos. Und es ist kurz nach zwölf. Kein Geld für mich also bis Montag.

Immerhin, mein Fahrrad fährt ganz kostenlos, ich rolle hinab gen Sachsenhausen. Unterwegs rufe ich meinen Kumpel an, der wird mir doch sicher was leihen können. “Der Teilnehmer ist momentan…” – statt Kumpel in Musikkneipe meldet sich die Mailbox. Ja, leckt mich doch alle am Arsch.

Setz’ ich halt mich erstmal in die Kneipe nebenan. Drahtesel angeschlossen, trete ein, nehme Platz an der Theke. Hab’ zwar kein Geld mit, dafür aber die “Extra News”, die BILD des kleinen Mannes (und das will was heißen!), die ich aus einem Briefkasten ziehen konnte. Werde darauf angesprochen von meiner Sitznachbarin, nette Frau, mein Alter.

Es entwickelt sich ein Gespräch, schlussendlich berichtet sie mir davon, dass es neulich ziemlich übel gerochen habe in ihrer Wohnung in Oberrad. Ob es denn an den sieben Kräutern gelegen habe, frag’ ich sie im Scherz – sonst fällt mir ja nicht viel ein zum äußeren Stadtteil an der Grenze Offenbachs. “Nee”, ist ihre Antwort. “Als ich vom Urlaub kam, da musste ich feststellen, dass ich vorher vergessen hatte, abzuspülen. Und meine Pisse, die hatte nach all den Tagen echt zu stinken angefangen”.

Ich schaue verstört, too much Information. Lenke das Thema schnell auf mich, schildere den bisherigen Verlauf meines unschönen Samstagabends.

Bin dankbar, als sie mir aus Mitleid – ich habe ja WIRKLICH kein Geld dabei – einen Apfelwein spendiert. Stoße mit ihr an, lenke das Gespräch auf interessante Inhalte. Aha, aha, Quarterlife-Crisis- oder schon “Midlife”? Man weiß es nicht genau, philosophiert. Und das in Alt-Sachsenhausen. Dass ich das noch erleben darf!

Mein Kumpel meldet sich, er hat offensichtlich wieder Empfang. Ich verabschiede mich höflich von meiner neuen Bekanntschaft aus dem fernen Oberrad, eile herüber ins Musiklokal. Immer noch stocknüchtern, ein Apfelwein allein war schließlich noch nie Garant für die eine “Nacht des Lebens”:

 

Endlich im Musiklokal

Hallo auch Kumpel, ohjeh, die haben’s aber auch alle hinter sich. Schon eigenartig, hier zu sein – stocknüchtern, während der ganze Rest vermutlich bereits rauschbedingt so ‘nen “richtig geilen Abend” hat. Der schlussendlich darin besteht, zu trinken und die immergleichen Lieder mitzusingen. Mag spaßig sein, jedoch nicht nach einem kleinen Apfelwein. Verdammt, ich erahne erste Defizite angesichts meines Alkoholpegels.

Ich klage mein Leid, mein Kumpel (Du bist der Beste!) erbarmt sich, mir einen Apfelwein auszugeben. Ja denn, zum Wohl, ich beobachte. Der Rest schwankt, ich stehe. Der Rest singt, ich schweige. Nee, das ist nicht mein Abend. Hätte gleich im Bett liegen bleiben sollen.

Verabschiede mich höflich wie nüchtern, besteige den Nachtbus. Bin froh, als ich mich im Flur meines Wohnhauses befinde. Zu meiner Irritation befindet sich bereits eine ganze Horde vor dem Aufzug im Treppenhaus: Um genau zu sein eine Horde offensichtlich englischsprachiger Touristen, die den rechten Arm zum Himmel strecken, ein akzentuiertes “Heil Hitler!” brüllen.

“Oh, just kidding, German brother”, sagen sie zu mir, peinlich erwischt. Ich teile mit ihr den engen Raum des Aufzuges, Baujahr 1962 – made in good old Germany.

Bin unendlich froh, als ich meine Wohnungstür aufschließe. Meinen Laptop aufklappe, um mir meinen Frust von der Seele zu schreiben. Und morgen nüchtern zu sein – um etwas “zu haben vom Sonntag”, wie man so schön sagt in meinem Alter.

Habt auch immer was, ihr Lieben – und wenn es nur die tragische Komik ist.

Die Sache mit dem Ding.

Was ist das eigentlich für ein “Ding”, das da alle machen? Nicht im Kollektiv, nein, jeder ganz für sich? Im Lauten wie im Leisen, jedenfalls ganz sicher jeweils absolut individuell? So individuell sogar, dass dieses “Ding” mitunter oftmals als “das eigene Ding” bezeichnet wird?

Fast fühle ich mich ein wenig schlecht, euch nun mit dieser alten Kamelle anzukommen: “Mach’ dein eigenes Ding”, “Beib’ du selbst” – ziemlich ausgelutscht, diese Phrasen. Totgeschrieben ohnehin, ich will mir gar nicht vorstellen, wie viele Posts, Artikel, Aufsätze, Bücher schon über jenes mysteriöse “eigene Ding” verfasst wurden. Wohl jeder Bravo-Leser weiß um diese Binsenweisheit.

Doch ich komme nicht umhin, mir eine Frage zu stellen: Was ist das eigentlich, dieses “eigene Ding”?

Und wie sieht es in der Praxis aus, beschließt man, fortan sein “eigenes Ding zu machen” ? Bedeutet es völlige Rücksichtslosigkeit in beruflichen wie privaten Belangen, ein Loslösen von jeglichen Konformitäten – oder bleibt es am Ende doch nur hohle Phrase?

Ich hab’ einfach mal ein paar Leute gefragt, ob sie denn ihr eigenes Ding machten. Wenig überraschend, dass die prompte Antwort stets lautete:

“Natürlich mach’ ich mein eigenes Ding!”

Eine anders lautende Antwort habe ich derweil nie bekommen. Klar, wer behauptet schon von sich, fremdgesteuerter Mitläufer zu sein, ein Mensch ohne Meinung, gar ohne Ziele?

Ich fragte weiter nach. Was die Leute denn konkret darunter verstehen, “ihr eigenes Ding zu machen”. Nun blickte ich zumeist in ratlose Gesichter, statt eine schnelle Antwort zu erhalten. Da müsse man noch mal genau überlegen, ja, das sei gar nicht so einfach zu definieren, jenes eigene Ding.

So einig sich alle darin waren, ihr Ding zu machen – so schwierig scheint die Frage nach einer Definition dieses Dinges zu sein, nach dessen Bedeutung, nach dessen Umsetzung.

Anlass genug für mich, mir ein paar Gedanken zu machen. Auch ich bin schließlich felsenfest davon überzeugt, mein Ding zu machen. Was ich allerdings konkret darunter verstehe, wie sich die Ausübung des Dinges konkret auf mein Leben auswirkt: Das fällt auch mir zunächst nur schwierig in Worte zu fassen.

Zeit, das zu ändern! Nehmt ihr Teil an meiner Ergründung des ominösen Dinges? 

 

Carpe Diem

“Och nöö….”, werdet ihr euch nun denken. “Bitte nicht noch so ‘ne alte Kamelle”. Und ihr habt ja recht, kein Lebensmotto wird wohl inflationärer verwendet als “Carpe Diem” – Nutze den Tag. Zuhauf zu finden in Lebensratgebern, Poesiealben, in großen Lettern auf Facebook. Nein, besonders einfältig ist er wirklich nicht, dieser Auftrag, das Beste aus jedem Tag zu machen.

Dennoch: 

Jeder sollte sich darüber bewusst sein, dass auch der eigene Tag nur 24 Stunden hat. 24 Stunden, die zur Verfügung stehen, um sie nach eigenem Belieben zu füllen. 24 Stunden, die genutzt werden wollen, um Ziele zu erreichen – oder an deren Erreichen zu arbeiten. Vorausgesetzt natürlich, man ist tatsächlich frei in der Entscheidung über die eigene Zeit – und nicht gerade in Gefangenschaft, noch minderjährig oder Komapatient.

Nun werden die ersten vielleicht widersprechen:

“Schön wär’s”, werden sie sagen – “Die meisten meiner Tage bestehen aus der Ausübung meines Jobs, Alltagspflichten wie Einkäufen, ein wenig Entspannung am Abend – und schlafen muss ich ja auch noch irgendwann. Wo bleibt da noch Zeit für freie Zeiteinteilung? Mein Chef zeigt mir ‘nen Vogel, wenn ich ihm erkläre, dass ich aufgrund akuter Unlust der Arbeit lieber fern bleibe!”. 

Soweit, so richtig. Aber: Auch die eigenen Verpflichtungen wie der Job sind aus einer freien Entscheidung heraus getroffen. Und dienen einem ganz konkreten Ziel: Dem Erwerb eines Einkommens zur Absicherung der eigenen Existenz, als finanzielle Grundlage für alle weiteren Bereiche des Lebens, für den Luxus der eigenen vier Wände – oder zumindest ein Dach über den Kopf.

Und das ist doch schon mal ein ganz großes und hervorragendes Ziel, das ihr hier Tag für Tag erreicht, oder? Ihr habt euch aus freien Stücken dafür entschieden, täglich einige Stunden lang fremdbestimmt zu arbeiten. Dafür seid ihr die restlichen Stunden lang ein (finanziell) unabhängiger Mensch und könnt euer Leben auf ein solides Fundament bauen.

Auch ich quäle mich mitunter mitten in der Nacht um 2 aus dem Bett: Weil ich mich für einen Beruf entschieden habe, der dies gelegentlich erfordert. Der mir aber Freude bereitet, der mir mein Leben in Frankfurt finanziert. Und, wie ihr wisst: So ein Leben in Frankfurt, das ist leider kein immer günstiges Vergnügen.

Niemand würde euch davon abhalten, einfach nicht mehr am Arbeitsplatz zu erscheinen. Ihr müsstet nicht mal kündigen. Nur mit den Konsequenzen, mit denen müsstet ihr leben. Besteht nicht das gesamte freie Leben aus einem ständigen Abwägen von Entscheidungen und deren resultierender Konsequenzen?

Zurück zum Thema:

Jeder sollte sich darüber bewusst sein, dass jede einzelne Sekunde eines jeden einzelnen Tages aus freien Stücken heraus gestaltet und genutzt werden kann. Die Entscheidung, wie dies getan werden soll, obliegt alleine jedem einzelnen, freien Menschen. 

Sich dieser Erkenntnis ganz bewusst zu sein ist die wichtigste Grundlage dafür, sein “eigenes Ding” zu machen. 

 

Die Sache mit den Zielen

Nach all der Küchentisch-Psychologie wird’s nun etwas praktischer: Ich mache mir Gedanken über Ziele. Alle reden über Ziele, jeder hat sie, manche sogar bereits erreicht. Ziele sind omnipräsent, sich mit ihnen zu beschäftigen ist unausweichlich.

Doch wieso eigentlich Ziele? 

Ganz schön anstrengend also, sich permanent mit Zielen und deren Erreichen beschäftigen zu müssen. Zeitraubend ohnehin. Wieso nicht also gleich ganz bleiben lassen, sich entspannt und ganz ziellos zurücklehnen und die Welt einen schönen Ort sein lassen?

Ganz einfach: Weil der Mensch nicht zum “Sein” geschaffen ist.

Es liegt in der Natur des Menschen, niemals zufrieden mit dem Zustand der Beharrlichkeit zu sein. Jeder von uns strebt nach irgendetwas, ob bewusst oder unbewusst. Der Mensch erträgt keinen Stillstand, keine Langeweile. Das ist sein Fluch und Segen. Meint ihr, die Menschheit hätte jemals einen Fuß auf den Mond gesetzt, hätten sich alle gedacht: “Och ja, ganz nett heute, ich lass’ den Tag mal ‘nen schönen Tag sein und das Leben an mir vorüberziehen?”

Nein, das entspricht nicht unserer Natur. Und darum setzt sich jeder von uns ständig neue Ziele, im Großen wie im Kleinen:

Die Stunde joggen, die Einkäufe des Tages, die Ausbildung, das Studium, der Beruf, das eigene Kind, das gelesene Buch, das geschriebene Buch, die Urlaubsreise, die Verabredung mit einem guten Freund, der Frühjahrsputz, die Millionen auf dem Konto, das neue Auto, die Entspannung in der Sauna, das Bepflanzen eines Blumenbeets, die Traumwohnung, das Komponieren eines Liedes, das Erlernen eines Instrumentes oder einer Sprache, das Hören einer Schallplatte, das Leben in einer neuen Stadt, die Briefmarkensammlung, der Konzertbesuch:

All das sind Ziele, ganz Große und ganz Kleine. Schnell und leicht erreichbare – und welche, die nur langfristig und mit größerer Mühe zu erreichen sind. Ziele, die ein Jeder von uns hat. Ziele, die ganz unterschiedlich sind, und dennoch nur einer einzigen Sache dienen: Der Erfüllung von Bedürfnissen.

Es liegt in unserer Natur, dass wir nur zufrieden sind, wenn wir unsere Bedürfnisse durch das Erreichen unserer Ziele befriedigen. Und ebenso in unserer Natur liegt es wohl, dass wir uns – oft, bevor wir ein Ziel erreicht haben – schon ein nächstes Ziel setzen, um ein neues oder anderes Bedürfnis zu befriedigen. Und das allergrößte menschliche Bedürfnis, das ist das Bedürfnis nach dem “Mehr”, so denke ich.

Jeder von uns will immer mehr – mehr Sehen, mehr Erleben, mehr Gespräche, mehr Geld, mehr Geld ausgeben, mehr verkaufen, mehr kaufen, mehr Reisen, mehr Anerkennung, mehr Karriere, mehr Eindrücke, mehr Kultur, mehr sportliche Leistung, mehr Gesundheit, mehr Freude, mehr Technik, mehr Wissenschaft, mehr Information, mehr Freunde. Hauptsache mehr, dann geht’s uns gut.

Wunderbare Sache eigentlich, aber leider gar nicht so einfach, da durchzublicken. Es gilt also überlegen:

Wie möchte ich die nur 24 Stunden des Tages verbringen, um meine Ziele zu erreichen oder an ihrer Erfüllung zu arbeiten? Welches “Mehr” ist mir wichtig genug, ihm meine begrenzte Zeit zu widmen? Welches “Mehr” ist Zeitverschwendung, da es meine Bedürfnisse nicht befriedigt?

Ihr seht: Es ist überaus wichtig, die eigenen Ziele klar zu formulieren und im Blick zu haben. ALLES kann niemand erreichen, “von allem ein bisschen” erzeugt keine Glücksgefühle. Wichtig ist allein, was euch wichtig ist. Dem ihr alles Andere – auch die kurzfristigen Verlockungen – unterordnet. Und euch dabei stets darüber bewusst seid:

Jede Entscheidung FÜR etwas ist zeitgleich eine Entscheidung GEGEN alles Andere. Lässt sich nix dran machen, Naturgesetz, is’ halt so.

Und auch Zeit, die hat man nicht – man muss sich bewusst dafür entscheiden, sie sich zu NEHMEN. 

 

Und nun: Egoist werden?

Soweit also meine Gedanken über Zeit, Ziele und Entscheidungen. Wer sich allein auf die Erreichung seiner ganz eigenen Ziele fokussiert, Verlockungen trotzt, sich immer wieder ganz bewusst entscheidet: Der macht für mich “sein Ding”.

Jetzt muss ich mir nur noch überlegen, wie ich dieses “Ding” konkret in mein eigenes Leben übertragen kann. Oder mache ich es vielleicht bereits, mein eigenes Ding?

Ja, ich habe Ziele. Noch so einige, für die ein einzelnes Leben niemals ausreichen würde. Bleibe ich also erst einmal im Kleinen:

Ich weiß um die Dinge, die mich glücklich machen. Einen neuen Blog-Artikel zu veröffentlichen, beispielsweise. Eine Radtour ins Grüne, dabei ungeahnte schöne Flecken Erde entdecken. Ein Buch durchgelesen zu haben. Besonders zufrieden zu sein mit einem Bild, das ich vom Entwickeln abhole – und ein weiteres meiner Foto-Alben zu vollenden.

Niemand zwingt mich dazu, diese Dinge zu tun. Ich entscheide mich ganz bewusst dazu, Zeit und Energie in sie zu investieren. Und damit gegen alles andere. Klingt erstmal ziemlich simpel, doch Halt!

 

Die Tücken der Ablenkung 

Was sich theoretisch erstmal easy anhört, ist dann doch mitunter nicht immer einfach konsequent umzusetzen. In diesem Moment, in dem ich diese Zeile schreibe, da erinnert mich der SPIEGEL ONLINE-Tab in meinem Browser daran, dass ich auch mal wieder das Weltgeschehen checken könnte. Auch der Facebook-Tab bereitet mir ein schlechtes Gewissen, ich hab’ nämlich schon wieder neun Benachrichtungen und zwei private Nachrichten, die gelesen und beantwortet werden wollen. Ach ja, E-Mails hab ich auch schon seit drei Stunden nicht gecheckt.

Doch – ich erinnere mich daran, dass es mein Ziel ist, diesen Beitrag zu schreiben. Und damit, so denke ich, mache ich mein kleines, eigenes Ding. Zumindest in diesem Moment. Doch die Tücken der Ablenkung, sie lauern überall und ständig.

Eine Nummer größer: Wenn ich eigentlich ein Buch lesen möchte, die Kumpels aber zum spontanen Umtrunk laden – dann sage ich ab, setze mich alleine ins Café und lese. Oder stoße eben später zum heiteren Umtrunk, weil ich erst noch lesen möchte.

Ja, und öfters, da geh’ ich auch einfach mal nach Hause, weil ich unbedingt noch einen Beitrag schreiben oder Fotos einkleben möchte – statt den dritten Apfelwein zu bestellen. Das erzeugt zwar öfters mal Unverständnis (“Kannste doch auch morgen noch machen, jetzt bleib’ schon hier, ist ja gerade so lustig!”) – mach’ ich dann aber nicht und gehe allen Widerreden zum Trotz nach Hause.

Auch damit mach’ ich mein Ding.

 

Ist das nun egoistisch? 

Während ich diese Zeilen schreibe, merke ich, dass sich das zunächst mal ziemlich egoistisch anhört. Ein Leben, einzig und allein ausgerichtet auf die Erfüllung der eigenen Ziele? Und was ist eigentlich mit den anderen? Bin ich nun rücksichtsloser Egoist?

Ich denke, nein. Das beharrliche Festhalten an eigenen Zielen und deren hartnäckiges Verfolgen ist mit einem guten Miteinander vereinbar.

Beispiel gefällig? Angenommen, ich bin mal wieder an der Erfüllung meiner Ziele beschäftigt. Will eigentlich eine Radtour machen, die ich mir schon immer vorgenommen habe.

Doch während ich in den Sattel steige, da klingelt das Mobiltelefon. Ohjeh, Kumpel ruft an, Freundin hat Schluss gemacht, vorher das Konto geplündert, mitsamt Auto durchgebrannt. Whatever, Weltuntergang, kurzum: Meinem Kumpel, dem geht’s richtig mies. Er äußert den dringenden Wunsch, schnellstmöglich mich und mein offenes Ohr an seiner Seite zu wissen. Bestenfalls in Kombination mit Bier, das brauche er jetzt.

Und ich? Ich stehe – mal wieder! – vor einer Entscheidung. Mein Ziel zu erreichen, endlich die Radtour zu machen – oder meine Zeit nun damit zu verbringen, meinem Kumpel ein guter Freund zu sein.

Angenommen, ich teilte meinem Freund nun mit, er solle sich jemand anderen zum Ausheulen suchen, ich würde lieber Rad fahren: Dann wäre ich zwar überaus zielorientiert, aber gleichzeitig ein ziemlich schlechter Freund. Und ein egoistisches Arschloch obendrein.

Ich würde mich also ganz sicher dazu entscheiden, umgehend meinem Kumpel Beistand zu geben. Wie passt das jetzt zu meiner Theorie, dass es überaus erstrebenswert ist, stets allein das “eigene Ding” zu machen? Konsequent nur eigene Ziele zu verfolgen?

Ganz einfach: Ich gebe einem übergeordneten Ziel den Vorrang 

“Ich will meinem Kumpel ein guter Freund sein” – hey, ist das nicht auch ein Ziel? Jawollja, ein für mich sogar sehr wichtig ist. So wichtig sogar, dass ich ihm das Ziel der Radtour unterordnete, und statt ins Grüne postwendend zu meinem Kumpel fahre.

Somit habe ich also meinen eigenes, hier übergeordnetes Ziel, erreicht. Und damit “mein Ding gemacht”. Ganz ohne Egoist zu sein.

 

Unabhängig bleiben

Wichtig soll es für mich vor allem sein, unabhängig zu sein. Das heißt auch explizit: Unabhängig von anderen Menschen.

Dass ich kein Egoist bin, hätten wir ja nun geklärt.
Bin ich nun aber ein verquerer Einzelgänger, gar ein Soziopath?

Nein, bin ich ganz sicher nicht. Ich freue mich über jeden, der mich bei der Umsetzung meiner Ziele teilt. Der bestenfalls sogar das gleiche Ziel verfolgt, einen Ausflug zu machen zum Beispiel. Und ein solcher macht gemeinsam schließlich am meisten Spaß! Gilt natürlich auch für gemeinsame Foto-Streifzüge durch die Stadt, größere Projekte und Abenteuer.

Ich möchte meinen Ausflug (also mein Ziel) aber auch nicht von anderen abhängig machen. Und mach’ ihn deswegen eben alleine. Dafür schlag’ ich dann eben auch Verabredungen aus, auf die ich keine Lust habe. Wenn ich eine Stunde lang joggen gehen möchte, dann hab’ ich erst später Zeit für Verabredungen zum Kaffee. Wenn ich Dienst habe, dann bin ich pünktlich auf der Arbeit – für die ich mich entschieden habe, um meine Existenz zu sichern.

Weil ich eben mein Ding machen möchte. 

 

Und ihr so?

Für mich habe ich nun also definiert, was es bedeutet, das eigene Ding zu machen. Wenn ihr bis hierhin durchgehalten habt: Respekt!

Mag sein, dass ich euch mit meinen langatmigen Ausführungen genervt habe. Mag sein, dass sich meine Zeilen lesen wie ein zweitklassiger Lebensratgeber. Dass all diese “Erkenntnisse” doch ziemlich banal sind. Vielleicht haltet ihr all das Geschriebene für Quatsch, wenn gar garniert mit Sauce.

Für mich aber war es wichtig, mir Gedanken über “das Ding” zu machen, diese festzuhalten. Ja, ihr ahnt es bereits: Das war ein Ziel von mir.

Dieses Ziel habe ich nun erreicht, der Beitrag ist vollendet.
Was jetzt noch fehlt, ist die Debatte:

Teilt ihr meine Definition und meine Gedanken?
Oder habt ihr laute Einwände, möchtet mir noch ein paar Denkanstöße liefern?

Bedeutet es für euch vielleicht sogar etwas vollkommen anderes, wenn ihr von euch behauptet, ihr würdet euer Ding machen? Und ist euer “Ding” vielleicht etwas vollkommen anderes?

Ich bin schon ganz gespannt auf eure Gedanken, die ihr mir gern per Kommentar zukommen lassen dürft.

 

Abschließend ein Dankeschön 

Während ich diesen Text geschrieben habe, kamen mir zwei Menschen in den Sinn. Bei denen ich mich aus gegebenem Anlass nun kurz bedanken möchte:

Danke, Christian! Danke dafür, dass du mir gezeigt hast, wie herrlich einfach es ist, Tag für Tag “sein Ding” zu machen – nämlich ganz banal, indem du so konsequent Tag für Tag mit dem Hund am Weiher oder auf dem Feldberg warst.Einfach, weil es dir wichtig war. Das hat mir imponiert und mich dazu bewogen, mir selbst jeden Tag eine kleine Auszeit zu nehmen. 

Danke, Monika! Danke dafür, dass du mir irgendwann von den Bedürfnissen erzählt hast. Von dem “tief in sich selbst horchen”, das manchmal so schwierig ist. Aber so wichtig, um Bedürfnisse zu erkennen und sich daraufhin Ziele zu setzen. Dank deiner Worte kann ich dies nun immer besser – meistens jedenfalls. 


Und nun: Beitrag fertig, ziel erreicht. Laptop ausschalten, fertig machen. Ich hab’ da nämlich noch ein Ziel vor Augen und will noch schnell mein ding machen…

 

“Frankfurts nicht vorhandene Blogger-Szene” : WTF?!

Ihr Lieben, ich bin ein bisschen pissed.

Das ansonsten von mir so geschätzte Online-Stadtmagazin Merkurist Frankfurt hat am Wochenende einen Artikel veröffentlicht, der eine waghalsige These verbreitet: 

 

Die Frankfurter Blogger-Szene, die sei de facto nicht existent.

Diese Behauptung wird von gleich zwei “Bloggerinnen” untermauert:

Zum einen wäre das Graziella aus – nein, nicht Frankfurt am Main – Offenbach von “Graziellas Food Blog”, zum anderen “Ami Coco” von amicoco.com.

Im Artikel wird die Gunst der Stunde genutzt, um eifrig die eigenen Blogs zu bewerben. “Bewerben”, das ist es schließlich, um was es im Selbstverständnis ihres Blogger-Daseins zu gehen scheint.

Zitat:

„Ich glaube, meine Eltern sind bis heute nicht schlau daraus geworden, warum ich manchmal Sachen zugeschickt bekomme oder warum man mit demBloggen tatsächlich Geld verdienen kann“. 

Hey, vielleicht liegt es ja genau an eben diesem Verständnis des Blogger-Daseins:

Ist ein “Blogger” jemand, der sich daran messen lässt, wie viele Zusendungen von Kosmetik-Produktproben er wöchentlich von der Packstation abholen kann, um daraufhin für Viereurosechsundfuffzich seiner Umwelt mitteilen kann, wie fancy doch der neue Eyeliner von Balea ist?

Ist ein “Blogger” jemand, der jede noch so kleine Zwischenmahleit mit dem Hashtag “#FOODPORN” versieht, das zugehörige Foto prompt bei Instagram teilt – nur um influencer-mäßig ganz vorn mit dabei zu sein?

Wenn’s darum geht: Da habt ihr recht.

Mag sein, dass eine diesbezügliche “Blogger-Szene” in Frankfurt de facto nicht existent ist. Aber wisst ihr was?

Mir – und ich weiß, auch vielen anderen in unserer Stadt – ist es scheißegal, was ihr gerade futtert, welche fancy Produktproben auch immer gerade zugeschickt bekommen habt. Mir ist es scheißegal, ob ihr euch für ein paar Euro von der Werbeindustrie als “Influencer” missbrauchen lasst.

Euer Mangel, der besteht mitunter nicht an Klicks – er besteht an Herzblut.

 

Herzblut aus Frankfurt

Und, mein lieber Merkurist – wo wir gerade beim Thema “Herzblut” sind:
Ja, es gibt zahlreiche Blogger aus Frankfurt am Main, die die ursprüngliche Idee des Bloggens nicht missbraucht haben. Die mit Herzblut für und über ihre Stadt schreiben.

Ein kurzer Streifzug durch meine Browser-History der letzten zwei Tage gefällig? Und los geht’s! 

Sollte für’s erste reichen, oder?

Beweis genug dafür, dass es in Frankfurt nicht gerade an Bloggern mangelt – oder?

Versteht man unter “Blogger” allerdings nur all diejenigen, die sich als gesponsertes Fashion-Victim präsentieren, mag in Frankfurt vielleicht tatsächlich ein Mangel bestehen.

Und, ganz ehrlich: Ich bin froh darum. 

Ehrenswert, dass ihr über die Blog-Landschaft unserer Heimatstadt am Main berichtet. Aber dann lasst doch bitte, bitte, bitte (!!!) all die Blogs nicht außer Acht, die mit Herzblut geführt werden.

Mit Herzblut statt mit der Absicht, ein wenig Taschengeld mit immer mehr Paketen voller Produktproben, mit ein paar Klicks mehr auf dem “Influencer”-Channel zu verdienen.

Frankfurt, deine Blogger-Szene: Du bist eben doch existent! Man sollte eben wissen, wo man dich finden kann in den endlosen Weiten des Internets.