Vorab: Nein, hier werden keine Gedanken zu lesen sein, welche so noch nie geäußert wurden. Nein, ich muss hier lediglich einstimmen in das altbekannte Lied von Sinn und Unsinn, vom Ausverkauf und Widerspruch des Weihnachtsfestes. Von einer diktierten und vermeintlichen Besinnlichkeit, die mir gerade in diesem Jahr mehr fehl am Platz erscheint als je zuvor. Wenn nicht gar sarkastisch. Vom Irrsinn einer heilen Welt, die doch leider lediglich als Sehnsucht jemals existiert hat. Oh du Fröhliche!
Daran, dass bereits im Spätsommer die Regale im Supermarkt gefüllt sind voll von Schoko-Nikoläusen, Lebkuchen und Lichterketten – just, wenn man auf dem Heimweg vom Freibad noch schnell seine Einkäufe erledigt, hat man sich längst gewöhnt. Und jedes Jahr aufs Neue wird über diesen Umstand geschimpft, wird sich lauthals beschwert über diese Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes. Konsumiert wird natürlich dennoch und trotzdem, denn: Wo keine Nachfrage, da kein Angebot. Alles nichts Neues, so far.
Es ist gerade einmal Mitte November, als das Bedürfnis in mir aufsteigt, diese Worte zu verfassen und mit euch zu teilen.
Ich beginne einen freien, faulen Tag im Café Sugar Mama.
Der morgendliche Blick in die Frankfurter Rundschau besagt:
Ein Volk wählt einen Irren zum Präsidenten, zum mächtigsten Mann unserer Welt.
Ansonsten: Der Bürgerkrieg in Syrien, die üblichen Flüchtlingsdramen in Deutschland, Erdbeben in Italien. Der Kampf gegen ISIS, und, ach ja: von Sadisten angezündete, an Flammen verstorbene Obdachlose in Köln, 30.000 umzubringende Hühner und natürlich der Jahrestag der grausamen Attentate von Paris.
Uff, über ein wenig mehr Optimismus angesichts des derzeitigen Zustandes unserer Welt hätte ich mich gefreut, als ich hinaus in die eiskalte Luft trete und durch die Stadt schlendere.
Am Römerberg werfe ich einen Blick auf den jüngst aufgestellten Weihnachtsbaum. Unvorstellbar, dass hier bereits in zwei Wochen hier Glühwein-selige Momente stattfinden sollen, während Kameras und Lautsprecheranlagen der Polizei vor Anschlägen und Terror schützen sollen. Verrückte Welt.
Als ich – nunmehr fröstelnd – meinen weiteren Weg über die Zeil antrete, betrachte ich die für schlappe 150.000 Euro angefertigte Weihnachts-Dekoriation des “myZeil”, welche demnächst zahlungskräftige, besinnliche Konsumenten zu eifrigem Geschenkerwerb animieren soll. Und auch innendrin schweben bereits Elche, funkeln bereits seit Anfang November die Glaskugeln an den aufgestellten Weihnachtsbäumen. Nee, komme ich nicht so drauf klar. Ich verlasse den Glastempel und trete wieder hinaus in die kalte Novemberluft.
Direkt gegenüber des Eingangs dann:
Eine Gruppe Salafisten, welche mittels Koranverteilung Hass zu schüren zu versuchen gegenüber Andersgläubigen. Im Gegenüber zu den friedlich funkelnden Weihnachts-Hirschen ein überaus verstörender Anblick.
Ich schüttele den Kopf, verfluche wieder einmal diese hektische, oft so feindliche Innenstadt – und vermag nicht zu verstehen, wie denn ausgerechnet hier bald eine vorweihnachtliche Zeit der Nächstenliebe und “Besinnlichkeit” stattfinden soll. Ein paar Besorgungen erledigt, die Rolltreppen hinab in die so schmucklose Hauptwache hinab – ach ja, dieser Ort unweit der Lichterketten, welche schon bald ihr Licht auf die größte Frankfurter Einkaufsstraße werfen werden, war doch vor Kurzem erst Schauplatz einer Messerstecherei. Blut auf Beton.
Kurz aufgewärmt und wieder rauf auf die Zeil. Schaufensterdekorationen, welche den zahlkräftigen Besucher bereits auf die Zeit des vorweihnachtlichen Geldausgebens einstimmen soll. Klar, dass auch Primark mitmacht, was weiß man schon in Bangladesch über das Weihnachtsfest der westlichen Welt?
Besinnlich sein, das kann ich nicht. Nicht nach dem Blick in die Nachrichten, nicht heute, nicht in diesem Jahr.
Nein, mir steht einfach nicht der Sinn nach Besinnlichkeit und Friede-Freude-Eierkuchen. Es wird Zeit für den Heimweg. Ich passiere die Paulskirche, an der Kräne innerhalb von Stunden ein Fachwerkhaus aufbauen, in dem vermutlich bald Glühwein aus dem Tetrapak – dafür aber mit Kopfschmerz-Garantie – kredenzt werden wird.
Mein Weg hinauf ins Nordend führt mich durch die Elefantengasse. Moment mal, war hier nicht neulich was? Ach ja, ein brutaler Raubüberfall, bei dem gleich vier Täter einen Passanten auf den Boden prügelten, auf ihn eintraten und anschließend ausraubten. Samstag, 04.55 Uhr in Frankfurt. Stille Nacht, Heilige Nacht.
Und in 10 Tagen dann: Same procedure as every year.
Ich weiß, dass ich nicht alleine bin mit meinem Unmut. Mit meinem Unverständnis über ein kommerzielles, sinnentstellten Weihnachtsfests. Ich weiß, dass auch viele andere sich lauthals beschweren werden über all den Stress der Adventszeit, über all die Geschenke, die es zu kaufen gilt – getrieben von der Aussicht, an Heiligabend dann ein Wiedersehen mit den Liebsten feiern zu können. Sich bestenfalls ein paar Auszeit gönnen zu können.
Und trotzdem, obwohl sich so viele einig sind über all den Unsinn einer kalendarisch befohlenen Zeit voller Stress, über ein krankhaft mutiertes christliches Fest:
Sie alle werden wieder scharenweise auf den Frankfurter Weihnachtsmarkt strömen, welcher am 23. November eröffnet wird.
So wie auch ich es vermutlich tun werde. Warum dem so ist, werde ich wohl in einem anderen Beitrag erläutern.
Mein Fazit
Dass meine Eltern mir einst Weihnachten zu einem kindlich-aufgeregten, wunderschönen Fest gemacht haben, ist lange her. Liegt es am Erwachsensein? Am Umstand, permanent konfrontiert zu sein mit Leid und Übel? Daran, die Augen nicht mehr verschließen zu können von den Grausamkeiten, all den Ungerechtigkeiten dieser Welt?
Am durch einen Blick in die Tageszeitung verursachten Unwillen, “besinnlich” zu sein just in einem Moment, in dem anderswo Tausende in einem Bürgerkrieg sterben? Unweit der eigenen Haustür Menschen brutal ausgeraubt werden, Glühwein an einem Ort zu schlürfen, der neulich noch Schauplatz einer Messerstecherei war?
Auch wenn die Blutspuren am Boden vielleicht zeitweise tiefroten Glühwein-Lachen weichen mögen:
Die Welt bleibt schlecht, Weihnachten ist eine Illusion. Die Illusion einer heilen Welt, wie sie vermutlich niemals existiert hat und existieren wird.
Weihnachten, das ist die Sehnsucht der Menschen nach eines von der Liebe geprägten Miteinanders, wie es niemals existiert hat. Wie schade eigentlich.
Wie traurig das alles klingt! Aber es gibt sie noch! Aufrichtige, warmherzige, zufriedene Menschen, die Weihnachten einfach durch ihre Anwesenheit schön machen! Die sich feuen, mit lieben Menschen zusammen zu sein, ungezwungen und frei von Kommerz. Vielleicht sollte man selbst mal raus, aus den eingefahrenen Weihnachtsritualen und die Abläufe dieses schönen Abends überdenken. Geschenke ? Ja, aber diesesmal an Menschen, die nicht damit rechnen Geschenke zu bekommen. Haben viele nicht alle was sie zum Leben brauchen!? Weihnachten mal ohne Geschenke unter dem eigenen Baum. Kein Stress zu haben, was schenke ich wem und ist es auch genug was ich schenke. Wird mein Geschenk Freude bereiten oder gefällt es doch nicht. Frei zu sein, sich den Luxus zu gönnen sich einfach die Zeit miteinander an diesem Abend zu schenken. Sich zu unterhalten, zu zu hören, zu spielen, gemeinsam zu essen, jedem Raum zu lassen für das was er erzählen möchte. Es braucht nichts mehr, als Menschen die dich mögen und lieben und die du magst und liebst, um einen bescheidenen aber schönen fröhlichen Weihnachtsabend zu verbringen. Geschenke machen nicht glücklicher !!! Dies ist und war schon immer so.
Dein Bericht regt zum Nachdenken an. Ich hoffe, dass ihn ganz viele Menschen lesen werden und auch sie den Wunsch verspüren Weihnachten anders erleben zu wollen als bisher. Ruhiger, ehrlicher, bewusster, ohne Stress und ohne Bremborium.
Vielen Dank für deinen sinnlichen Bericht!!! 🙂
Ein Beitrag, der nachdenklich macht. Sehr rational das Ganze – aber auch – vielleicht gerade deshalb – pessimistisch. Der Kommerz ist ein fester Grundbestandteil unserer Weihnacht. Wie auch anders, wo sich alles nur ums Geld dreht. Aber: Jeder hat, zum Glück, die persönliche Freiheit, dem Ganzen zu widerstehen. Die Manipulation ist groß – aber sind die Manipulateure schuld, wenn ich dem erliege? Jeder hat es selbst in der Hand.
Vielleicht ist Weihnachten gerade deshalb so wichtig, um in diesen unsicheren, turbulenten Zeiten einen Referenz-Punkt zu schaffen – einfach alles “da Draußen” anzuhalten und eine Zeit der persönlichen Besinnung zu schaffen. Einen “Triggerpunkt”, sozusagen. Ohne die reale Welt zu verdrängen.
Nicht zu vergessen die Kinder, denen man das Fest nicht vorenthalten sollte. Es liegt an den Eltern, zu zeigen, dass nicht alles vom Materiellen abhängt. Du hast es selbst erwähnt, MatzeFFM, dass du Weihnachten in deiner Familie erleben durftest. Nur was man selbst erlebt und erfahren hat, kann man an die nächste Generation weitergeben. Um wieviel kälter würde die Zukunft, wenn alles nur noch rational gesehen würde.
In diesem Sinne – bitte etwas optimistischer – im Sinne der nächsten Generationen und dem eigenen Erleben.
Auch wenn dein Artikel mit nicht gerade fröhlich stimmt, ist er doch schön geschrieben und enthält viele Aussagen bei denen ich nur zustimmen kann. Trotzdem: Ich liebe Weihnachten und für mich ist dieses Fest eines, dass mir Hoffnung gibt und Trost spendet angesichts all dem was auf unserem Planeten so schief läuft. Ich freu mich auf den Glühwein und die Lieder und Lichter und hoffe auf das Beste.
xxx, Rina von https://darlingrina.wordpress.com/2016/11/16/american-cookies-triple-chocolate/
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