Woran denkt ihr zuerst, wenn euch der Frankfurter Stadtteil Bockenheim in den Sinn kommt? Klar, wahrscheinlich an die Bockenheimer Warte (die eigentlich im Westend steht), das weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Senckenberg-Museum, den zunehmend brachliegenden Uni-Campus oder urige Kneipen wie “Doktor Flotte” – und, natürlich, den Messeturm gibt’s auch noch. Aber kann es das gewesen sein?
Natürlich nicht! Dass der im Jahr 1895 eingemeindete Stadtteil weit vielschichtiger ist und eine durchweg spannende Geschichte vorweisen kann, möchte “Spurensuche aus Bockenheim” unter Beweis stellen. Das Buch ist im Oktober 2019 im von mir sehr geschätzten mainbook-Verlag erschienen – und landete dankenswerterweise kurz vor seiner Veröffentlichung in meinem Briefkasten.
Dreißigen Autoren, eine Hommage
Ich selbst lebe zwar im Nordend, bin aber häufig im 40.000 Einwohner starken Stadtteil unterwegs. Häufig genug, um mich zurechtzufinden und mit Freunden eine gute Zeit zu haben – jedoch nicht häufig genug, um wirklich in den Stadtteil, seine Vergangenheit und seine prägenden Persönlichkeiten einzutauchen.
Meine Neugierde war also geweckt – konnte das Buch meine Wissenslücken stopfen? Stolze dreißig Autoren bereichern das Buch laut Vorwort um ihre “informativen, originellen und historischen Texte”. Dass ich keinen einzigen von ihnen namentlich kenne und mir auch die Herausgeber Richard Grübling, Norbert Saßmannshausen und Otto Ziegelmeier nicht bekannt bin, muss nichts heißen – also los!
Den Auftakt des Buches bildet eine Anekdote aus dem Jahr 2015, als auch Frankfurt-Bockenheim zur neuen Heimat für zahlreiche Flüchtlinge aus Staaten wie Syrien und Afghanistan wurde. Eine Helferin erzählt von den Widrigkeiten der ersten Deutschunterricht-Stunden genauso wie vom Wert des Gefühls, für Menschen in Not da zu sein. Diese Geschichte liegt gleichzeitig am nächsten an der Gegenwart – zunehmend wird das Buch fortan zur Zeitreise und lässt Straßenzüge, Gebäude und Menschen kurzzeitig lebendig werden.
Anekdoten und Überraschungen
Und auch Pflanzen – wusstet ihr etwa, dass im Jahr 1907 eine ausgewachsene Eibe öffentlichkeitswirksam an ihren neuen Stammplatz im Palmengarten transportiert wurde, an dem sie heute noch bewundert werden kann? Wahrscheinlich genauso wenig, wie ihr von all den griechischen Familien wusstet, die seit den Siebzigerjahren Teil des Stadtteils wurden, gut vernetzt sind und Bockenheim bis heute um ihre Kultur bereichert haben. Ich war überrascht über das politische Ringen um das alte Bockenheimer Depot – wer hätte gedacht, welche Kämpfe vonnöten waren, bis ich selbst dort ganz selbstverständlich Theatervorführungen besuchen konnte?
Die Autoren, das wird schnell klar, brennen für Bockenheim und lassen einiges an Herzblut in ihre Texte fließen. So wird der Kneipe “Volkswirtschaft”, die ich selbst schon einige Male ganz unbedacht besucht habe, eine ganze Liebeserklärung zuteil – und die Verzweiflung eines alten Kartographen über die fortwährende Veränderung Bockenheims lässt echtes Mitgefühl in mir aufflammen.
An dieser Stelle soll freilich nicht gespoilert werden – aber immer wieder hat mir das Buch echte “Aha!-Effekte” beschert. Oder habt ihr etwa gewusst, dass die Schrift “Futura” – heute im Standardpaket eines jeden Computers – ihre Wurzeln im Frankfurter Stadtteil hat?
Welch Größen einst in Bockenheimer Buchhandlungen gelesen haben, welch Herausforderungen es für die seit jeher hier ansässige “TITANIC”-Redaktion zu meistern galt? Wusstet ihr, dass nicht nur Satire, sondern auch die Nullnummer der bis heute großen “taz” in Frankfurt-Bockenheim entstanden ist? Nein? Dann habt ihr schon jetzt einen guten Grund, euch selbst auf Spurensuche zu begeben!
Besonders gut gefällt mir, dass zwischen den Texten immer wieder eingestreute “Fun facts” auf unterhaltsame Weise für echtes Kennerwissen sorgen.
Bock auf Bockenheim?
Wenn ihr nun neugierig geworden seid – oder einfach nur wissen wollt, weshalb das Werk euch einen Grundlagenkurs im Buchdruck liefert, dann zögert nicht lange und macht euch auf zur nächsten Buchhandlung!
Nach zwei verregneten Nachmittagen, während derer ich mich auf “Spurensuche” begab, bin ich nun nicht nur erheblich schlauer – sondern werde fortan auch mit nochmals offeneren Augen durch Frankfurt-Bockenheim wandeln….