Kollektive Monsterjagd

 

“Pokémon Go” in Frankfurt

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Ich selbst bin ja eher analog groß geworden. So ganz behütet auf dem Dorf, der Besitz eines Tamagotchis war mir elterlicherseits nicht gestattet. Von einem Gameboy ganz zu schweigen. Der heimische Fernseh-Apparat kannte lediglich 5 Programme — bei gutem Wetter. Bei schlechtem blieben nur die Öffentlich-Rechtlichen.

Auch, wenn ich mittlerweile ein großer Freund von Smartphones, sozialen Netzwerken und Blogs bin: Der Anblick all der “Pokémon-Go”-Anhänger, der sich mir derzeit beim Flanieren durch die Stadt oder Joggen im Park bietet, irritiert mich. Was genau macht den Reiz aus, wie fremdgesteuert — den Blick streng auf das Smartphone fokussiert — gleich scharenweise auszuschwärmen, um virtuelle, bunte Monster zu jagen?


Ich werde neugierig und trete der Facebook-Gruppe “Pokémon Go — Frankfurt am Main” bei. Allein zu Recherche-Zwecken, versteht sich. Dort werde ich auf eine Veranstaltung zur kollektiven Monsterjagd aufmerksam, die an einem gewöhnlichen Mittwochabend an der Eissporthalle stattfinden soll.

Ich mache mich auf den Weg, um Fans der virtuellen Monsterjagd danach zu fragen, was genau den Reiz dieses Phänomens ausmacht. Vielleicht kann mir das ja jemand erklären — noch kann ich nämlich den derzeitigen Hype in keinster Weise nachvollziehen. Hey Leute, das lässt sich sicher therapieren!


Als ich eintreffe, staune ich nicht schlecht: Ich rechnete mit einer Hand voll Nerds, die sich an der Eissporthalle eingefunden haben. Stattdessen bietet sich mir der Anblick von schätzungsweise stolzen 100 jungen Frankfurtern, die die Treppenstufen vor der Halle belagern und sich — das Smartphone als Jagdwaffe gezückt — dem lauen Sommerabend erfreuen. Man fachsimpelt, trinkt Bier, das Smartphone immer fest im Blick. Könnte ja ein ganz besonderes Pokémon vorbeischneien, dass es unbedingt einzufangen gilt.

Die Hartgesottensten unter ihnen haben sich gar Camping-Stühle mitgebracht, ich erspähe den aufsteigenden Rauch einer Shisha, lausche den Klängen von mitgebrachten Musikanlagen — und sehe Menschen, gekleidet in Pokémon-Shirts und Pikachu-Schirmmützen.


“Würde man einfach ziellos durch die Stadt streifen, hätte man keinen Grund wie den der Monster-Jagd dazu?”

Zwei von ihnen sind Arne (34) und Marc (25), zu denen ich mich geselle, um mich in den Zauber um das Smartphone-Spiel einweihen zu lassen. Zeit für ein paar Fragen.


“Hey, ihr beiden Jäger! Arne, warst du früher schon ein Pokémon-Fan?”

“Nein, ich habe mich zur ersten Hochzeit des Pokémon-Hypes tatsächlich nie für die bunten Viecher interessiert. Allerdings hat das Spielprinzip der App mein Interesse geweckt: Augmented Reality, gepaart mit einer sozialen Komponente. Endlich habe ich einen Grund, um ein wenig durch die Stadt zu laufen und auch ganz reale Sehenswürdigkeiten und Schauplätze Frankfurts zu entdecken! Es kommt fast ein wenig Schnitzeljagd-Feeling auf, wenn ich Pokémon-Go spiele. Und obendrein ist es schön, dadurch Gleichgesinnte zu treffen, die dem selben Hobby frönen. Schon in der Facebook-Gruppe kommt man mit Anderen in Kontakt: Man teilt Tipps, Standorte, fachsimpelt und organisiert Treffen wie dieses hier.

Aber, mal ganz ehrlich: Das ist doch nur ein kurzlebiger Hype, und in zwei Monaten redet mehr kein Schwein davon, oder?

“Klar, das allgemeine Interesse am Spiel wird abflachen. Aber ein harter Kern von Anhängern wird sicher bleiben — so wie das beim vom Spielprinzip ähnlichen “Ingress” auch bereits der Fall war.”

Du wirst also weiterhin dabei sein?

“Klar — vor allem bin ich gespannt auf die Neuerungen, die für die App angekündigt sind!”

Und mal ganz unter uns, wie groß ist deine Angst vor einem leeren Akku?

“Die habe ich nicht — hey, für was gibt es PowerBars?”

Ich stelle Marc noch eine Frage, die mich sehr beschäftigt.

Findest du es nicht ein wenig traurig, dass für eine solche Vielzahl junger Menschen erst ein Smartphone-Spiel Anlass dafür ist, die Bude zu verlassen, unsere Stadt zu entdecken und mit anderen jungen Menschen ins Gespräch zu kommen?

“Auf keinen Fall! Ich meine, würde man einfach ziellos durch die Stadt streifen, hätte man keinen Grund wie den der Monster-Jagd dazu? Klar, genauso gut könnte ich bummeln gehen — nur, dass ich jetzt nicht aus Langeweile Geld ausgeben muss. Ist doch ‘ne feine Sache!”


Meine Meinung

Ich ganz persönlich sehe das etwas anders. Ich streife bekanntlich gern “einfach mal so” durch die Stadt. Klar, meistens mit Kamera im Gepäck oder der Hoffnung darauf, etwas zu entdecken und zu erleben. Statt virtueller Viecher entdecke ich dann aber lieber mir bisher unerkannte Orte, Veranstaltungen, Läden, Cafés oder Kneipen: Und die schönsten Bekanntschaften entstehen ohnehin meist ganz ungeplant.

Aber wenn “Pokémon Go” ein Hobby ist, das verbindet und an einem gewöhnlichen Mittwochabend mal eben stolze 100 junge Menschen die Eissporthalle bevölkern lässt, dann ist das schön. Allemal besser, als wenn die “Jugend von heute” nur noch auf dem Sofa herumlümmelt.

Doch für mich selbst gilt weiterhin: Man muss ja nicht jeden Sch***** mitmachen.


In diesem Sinne: Allzeit gute Jagd, euch neuzeitlichen Jägern 2.0 da draußen!

By MatzeFFM on August 2, 2016.

Exported from Medium on September 22, 2016.

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