Jagdmaschine: Neulich in der Linie 11…

Dass man zu später Stunde in Frankfurter Nachtbussen zuweilen bemerkenswerte Bekanntschaften machen und unterhaltsame Unterredungen führen kann – darüber hatte ich bereits ausgiebig berichtet. Doch manchmal genügt auch bei Tageslicht der Zustieg in öffentliche Verkehrsmittel der VGF für das Erleben manch skurriler Momente…

 

Ein früher Samstagabend, ich bin mal wieder unterwegs. Zum neuen “YokYok” in der Fahrgasse, um genau zu sein, nette Menschen, kaltes Bier und so.

Ich steige also in eine Tram der Linie 11, deren Auslastung ist überschaubar. Ich nehme Platz in einer freien Vierergruppe, krame meinen Roman hervor, beginne zu lesen. Die Lesefreuden allerdings halten nicht lange an. Gleich an der nächsten Haltestelle steigt nämlich ein Mann zu, mittelalt, hält kurz Ausschau, und lässt sich dann mitsamt seiner halbgeleerten Flasche Hansa Pils direkt neben mir nieder. Nein, nicht auf irgendeiner der anderen freien Sitzgruppen oder gegenüber mir, nein: Neben mir. Er atmet schwer.

Ich bin irritiert, konnte sowas noch nie verstehen. Auf Kuschelkurs in der Straßenbahn, ganz ohne Not? Gelegentlich schätze ich Distanz. Nun ja, is’ ja für alle da, so ‘ne Straßenbahn, ich widme mich weiter meinem Roman. Für etwa drei Sekunden, denn dann legt der gute Mann links neben mir seinen Zeigefinger auf meine Buchseite, um mitzulesen. Ohweih. Spätestens ein solches Erlebnis löst bei Großstädtern ja ein gewisses Alarmsignal aus, auf Streit aus sind ja schließlich viel zu viele. Ich verhalte mich also still, lasse mich nicht beirren, starre aus dem Fenster und sehe die Mainzer Landstraße an mir vorüberziehen.

Mein Mitreisender zu meiner Linken lässt unbeirrt seinen Zeigefinger über meine Bücherseite gleiten, Zeile für Zeile, er beginnt zu schnaufen. Ob das ein gutes Zeichen ist? Ich bleibe wachsam und erschrecke, als er sich mir zuwendet und sagt:

“Scheiße. Johnny Thunders ist tot. ‘The Heartbreakers’ – kennste nicht? Der Sänger ist tot, gestorben wegen irgendwas, scheiße!”

Er blickt mich an, meine Reaktion ist gefragt. “Ja”, nicke ich in gespielter Traurigkeit, “erwischt immer die Falschen!”. “Nur die Besten sterben jung!”, er nickt nun auch zustimmend. “Was zur Hölle?”, denke ich mir, schließlich schaut sich Johnny Thunders schon seit den frühen 90ern die Radieschen von unten an.

Ich schaue mir derweil die Seite meines Buches an, immer noch verdeckt von seinem Zeigefinger. So sitzen wir nebeneinander, während ich so tue, als würde ich trotz seiner Pranke in meinem Blickfeld noch lesen können. Bloß keinen Ärger.

“Und das ‘U’ hat wirklich zugemacht”?

Oha, ein erneuter Versuch der Konversation. Ich will ja höflich sein, deswegen antworte ich irgendwas vonwegen “ja, schade drum, war ‘n geiler Laden, aber gibt ja noch das Tanzhaus!”

Damit scheine ich zunächst Irritierung auszulösen. “Tanzhaus?”
“Tanzhaus West!”, kläre ich auf, “Gutleutviertel. So bis Sonntagmorgens bis zehn und so”.  Ich ernte ein erstauntes Gesicht. “Tanzhaus West? Kenn ich gar nicht, hab’ meine letzten Jahre ja in Mannheim verbracht”.

Ich will mich nicht weiter zu dieser unsympathischen Ansiedlung von Planquadraten äußern und schweige. “Wo issen das?”, ja verdammt, abermals ist meine Interaktion gefragt. “Gutleutviertel”, entgegne ich knapp. “Links oder rechts vom Hauptbahnhof” – “na links, also westlich”, sag’ ich, mein Nebenmann schnauft. “Zweitausend Meter?”“Kommt hin!”, sag’ ich, ja kann denn meine Ziel-Haltestelle wirklich noch so weit entfernt sein?

“Da hab’ ich mal ‘ne richtig geile Frau kennengelernt”, vernehme ich auf meinem linken Ohr. Huch! Eben wart doch noch bestritten, das Tanzhaus West überhaupt zu kennen – wobei, Johnny Thunders ist ja auch schon seit 1991 tot…

 

Die Sache mit den Frauen

“Ist ja auch immer so ‘ne Sache mit den Frauen”, sagt mein Tram-Genosse, “och nööö – bitte nicht diese Art der Unterhaltung”, denke ich mir. Ich werde ausführlich darüber aufgeklärt darüber, wie das damals war, im Tanzhaus West, als er bei dieser Frau im Bett lag, nur noch schlafen wollte. An Schlaf jedoch wagte seine Bekanntschaft wohl nicht zu denken, eher an den Beischlaf: “Und dann wollte die halt mehr! Immer diese Fickerei! Also wegen zu wenig ficken, nee, da konnt’ ich mich noch nie beschweren!”

Ich pruste los, eine Sitzgruppe voll junger Frauen schräg hinter uns tut es uns gleich. “Ja, furchtbar aber auch!”, entgegne ich bestimmt, “da will man(n) einmal seine Ruhe haben – und dann wollen die Frauen immer gleich die ganze Nacht durchvögeln!”. Seine Probleme hätt’ ich ja wahrlich gerne. Er nickt zustimmend, die Damengruppe hinter uns kichert.

 

Die Jagdmaschine

Ich komme einfach nicht zum lesen. Hoffentlich aber irgendwann mal an. “Du bist ‘ne echte Jagdmaschine!”, wird mir von links beschieden, ich schaue irritiert zuerst Hansa-Pils-Flasche, dann meinen Nebenmann an. “Jagdmaschine?” Ich vermag nicht genau zu sagen, ob ich mich geschmeichelt fühlen soll.

“Ja, ‘n echt cooler Kerl!”, sagt mein Sitznachbar und Mitleser, “ja, Frankfurter halt!”, sag’ ich. Ich ernte ein pilsbehangenes “Genau! Frankfodder!”, die Lage scheint entschärft, “bin übrigens der Roman!”. Oha. “Yeah Roman, bin der Matze!”, sag’ ich, während ich mich frage, wie weit es eigentlich noch bis zum Börneplatz ist.

Romans Finger beginnen erneut, über meine Buchseite zu gleiten. Sie stocken beim Namen einer der Romanfiguren. “Meike?!”, liest er verwundert vor, “Mei-ke?!”
“Richtig”, bestätige ich dem Manne, der offensichtlich des Lesens mächtig scheint. “Das hätt’ ich ja ganz anders geschrieben”, er nimmt noch einen Schluck Bier und schaut mich erwartungsvoll an. “Nun ja”, entgegne ich, “kann man natürlich auch mit ‘A’ schreiben!”: “Neeeee, neeee!”, protestiert’s zu meiner Linken. “Mit ‘IH-KAH-EH'” !

Ich patsche mir imaginär mit meiner Hand gegen die Stirn. “Ja, könnte man machen – dann wäre Meike aber ein Mike und somit ein Mann!”. Meine Reisebekanntschaft macht ein ernstes Gesicht, nickt und denkt nach. “Achso”, sagt er irgendwann.

 

Eine Mutti-Bewegung für Frankfurt

Viel Zeit zum Durchatmen bleibt mir allerdings nicht. Kurz darauf entdeckt der Kerl nämlich das schöne Lesezeichen, das in meinem Buch steckt. Ungefragt zieht er es hinaus, hält es sich vors Gesicht. “Boah!”, sagt er, “das ist aber schön!”. Wo ich das denn her habe?

Ich stimme zu, jaja, wunderschönes Lesezeichen. “Hat mir meine Mum geschenkt”, verrate ich. “Du hast eine tolle Mutter!”, sagt’s, kann ich nur zustimmen. Der Begriff “Mutter” löst nun offensichtlich einige Assoziationen in seinem Kopf aus.

Wir erreichen gerade das Bahnhofsviertel, “nächster Halt: Münchner-/Weserstraße”, ertönt kratzig die unfreiwillig komische Computerstimme aus den Lautsprechern über uns. “Ich wollte ja eigentlich nicht über Politik reden…”, beginnt der Mann, immer noch nachhaltig beeindruckt von meinem Lesezeichen. Ich stöhne auf. Bleibt mir denn wirklich nichts erspart?

“Aber die Merkel, gell – die braucht doch echt keine Mensch!”

Hätt’ ich nun auch ein Bier in meiner Hand – darauf würd’ ich glatt mit ihm anstoßen.
“Und weißte was?”, gehen die Ausführungen weiter, ich zucke die Achseln. “Hmm?”

“Schau’ dir mal die Gegend an hier, nur komische Leute im Bahnhofsviertel. Weißte, was Frankfurt bräuchte? ‘Ne richtige Bewegung, quasi die Frankfurter Mutti-Bewegung! Dann würd’s hier mal wieder bergaufgehen!” Ääääh ja, ich stimme aus purer Ratlosigkeit zu, so ‘ne Frankfurter Mutti-Bewegung, da hätt’ ich auch nix gegen.

Ein schneller Blick aus dem Fenster, die Paulskirche zieht vorbei. Gott sei Dank, mein Ziel ist gleich erreicht. Bevor ich mich erhebe, hau’ ich meinem Nebenan zum Abschied auf die Schultern. “War nett mit dir”, sag’ ich “ich muss nun raus – wir sehn uns dann demnächst im Tanzhaus?”. 

“Yeah, Techno, na klar, Tanzhaus, aber sowas von! Ich vergess’ aber immer wo das ist, muss ich da links oder rechts vom Hbf aus laufen?” 

“Links”, antworte ich, kurz bevor ich durch die Türen der Straßenbahn hinaus auf das Pflaster des Börneplatz gleite. Ein tiefer Atemzug, endlich Frischluft, ich schüttele den Kopf. Der trotz geringfügigem Dachschaden grundsympathische Kerl hebt hinter der Scheibe seine Bierflasche zum Gruße, die Tram zieht an mir vorbei gen Osten.

Und als auch ich wenig später im neuen “YokYok” an meinem Bier nippe, bahnt sich ein lautes lachen den weg aus meiner kehle. Einmal wieder stelle ich fest: In den Verkehrsmitteln der VGF, da kann man wirklich immer was erleben. Mein Monatsticket, das hat sich jedenfalls schon jetzt wieder rentiert. ich alte jagdmaschine….
Habt auch ihr schon denkwürdige bekanntschaften in Bus, Bahn oder tram machen können? erzählt mir gern davon!

Talentfrei musizieren: Büdchen-Pop und Hipster-Rap

Mit den Talenten ist das ja so ‘ne Sache. Die hat man oder nicht, und auch mir wurden vermutlich einige davon in die Wiege gelegt. Definitiv nicht zu meinen Talenten allerdings das Musizieren.

Ich kann weder singen (eine Krähe ist nun einmal kein Singvogel…) noch beherrsche ich ein Instrument in tauglichem Ausmaß. Daran änderte auch das gemeinschaftliche Singen in der Grundschulklasse nichts, und auch sieben Jahre Klavierunterricht machten schlussendlich keinen Virtuosen des Pianospieles mehr aus mir. Musizieren, das sollte ich also eigentlich aus bloßer Rücksicht auf die Unversehrtheit meiner Mitmenschen besser bleiben lassen.

Aber hey, wer sagt denn eigentlich, dass man besonders talentiert sein muss, um etwas zu tun?

Muss Musik perfekt sein, um zu unterhalten? Muss ich wirklich Meister meines Faches sein, um Freude dabei zu empfinden, aus einer Idee einen akustischen Frontalangriff auf meine Mitwelt werden zu lassen?

Ich denke, nein. Und genau deswegen versuchte ich mich in den letzten Tagen einfach mal als Musiker. Völlig talentfrei, aber mit Freude bei der Sache.

Zwei kleine Projekte sind mir in den Sinn gekommen, die ich nun vollendet habe. Und wenn sich nur ein Einziger von euch davon ein wenig unterhalten fühlt, vielleicht sogar darüber lachen kann (und wenn’s auch nur über mich ist…), dann hat mein Wirken sein Ziel erreicht.

Also: Lauscher auf und Bühne frei für meine vollkommen talentfreien Machwerke!

 

Büdchenzauber: Eine Ode an die Wasserhäuschen

Es war eines Abends im April. Die Tage wurden endlich länger, ich saß zu Hause und ließ den Blick durchs Wohnzimmer streifen. Was stand denn da an der Wand und blickte mich ganz vorwurfsvoll an? Ach, da war ja was: Meine Gitarre. Auch schon ewig nicht mehr in der Hand gepackt. Ob ich denn noch ein paar Akkorde beherrschen würde?

Dacht’ ich mir, nahm Klampfe in die Hand und Platz auf dem Balkon. Nachdem ich eine gehörige Portion Staub von ihr gepustet hatte, da folgte schnell Erleichterung: Zumindest ein Bruchteil meines – ich nenne es einfach mal so – “Könnens”, das ließ sich noch halbwegs abrufen.

So saß ich also da auf meinem Balkon im Nordend, Klampfe in der Hand – und schaute nach unten auf den Matthias-Beltz-Platz, an dem sich schon die halbe Nachbarschaft tümmelte, um den lauen Abend zu genießen.

Bevorzugt mit Kaltgetränken versorgt wird sich bei diesen Get-Togethers natürlich bei der Trinkhalle nebenan, in diesem Fall dem “GUDES”.

Die Frankfurter Wasserhäuschen – sie sind so viel mehr als nur Bezugspunkt für ein Bier zum Mitnehmen zu später Stunde. Open Air-Wohnzimmer, Nachbarschaftstreff, Ort für Klatsch & Tratsch, für neue Bekanntschaften und Seelsorge.

Auch ich weiß mich sehr glücklich um die zahlreichen “Büdscher” in Frankfurt am Main. Und, hey – wieso nicht eine kleine Hommage an all diese liebenswerten Frankfurter Phänomene komponieren?

Gedacht, getan: Das hier kam dabei raus!

Der Soundtrack aus dem Szenekiez: Ich versuche mich als Rapper

Im Rahmen der Vorab-Recherche für meine Erkundungstour nach Frankfurt-Sossenheim taten sich wahre Abgründe vor mir auf. Auf Youtube posieren harte Kerle samt Proleten-Karre vor tristen Wohnblicken, besingen ihren Block als Bronx und huldigen Drogenhandel, Schusswaffen und Prostitution.

Nach tapferem Anhören zahlreichen GangsterRap – Liedguts in Frankfurt muss ich feststellen: Nein, ich kann mir wahrlich nicht vorstellen, dass in einigen Stadtteilen tatsächlich Zustände wie in der Bronx herrschen sollten. Vielmehr, da war ich mir sicher, spielen die “harten Jungs” wohl ebenso gerne mit Klischees, wie ich das tue.

Die eigene Postleitzahl als Kampfansage, als Label für den Lifestyle eines Stadtviertels: Warum eigentlich immer nur in Verbindung mit Gangster-Attitüden?

Ich beschloss, dem etwas entgegenzusetzen. Ebenso klischeebeladen, ein wenig übertrieben, bestenfalls auch unterhaltsam. Wie das wohl für meinen “Kiez”, für die Postleitzahl 60316 aussehen konnte? Wie könnte er sich anhören, der “Sound der Berger Straße”?

Nun gehört das Singen bekanntlich nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen. Aber vielleicht könnte ich mich im Sprechgesang versuchen? Wo in Sossenheim der Gangster regiert, regiert im Nordend wohl der Hipster. Somit war es an der Zeit, eine eigene Musikrichtung zu etablieren: 

Den Hipster-Rap! 

Also: Schnell ein paar Zeilen geschrieben, feschen Beat ausgesucht, mit ein paar “Yo, yo, yo’s” in Stimmung gebracht. Die Aufnahme musste ich gleich mehrfach wiederrholen, weil ich währenddessen lauthals zu lachen anfangen musste. Und darüber lachen, das könnt ihr hoffentlich auch?

Yoyoyo, haltet eure Snapbacks fest, dreht schon mal den SWAG auf: 

 

Hier ist er, der Soundtrack aus dem Szene-Kiez!

 

Spaß an der Freude

Ich hoffe, damit den Beweis erbracht zu haben, dass man auch ohne jegliches Talent viel Freude haben kann. Mir hat das Texten, Spielen und Rappen jedenfalls viel Spaß gemacht, auch wenn die Resultate nicht einmal ansatzweise das Prädikat “Musik” verdient haben dürften. Einfach mal was machen, nicht aus dem Können heraus, sondern aus dem sprichwörtlichen Spaß an der Freude!

Habe ich auch euch ein wenig unterhalten können? Ich bin gespannt auf euer Feedback!
Bis dahin: Wir seh’n uns am Wasserhäuschen! Oder auch im Szenekiez, versteht sich. Keep it real!