Alles anders dieses Jahr?

Alles anders dieses Jahr?Meine Eindrücke von der Bahnhofsviertelnacht 2016


Alles anders dieses Jahr?

Meine Eindrücke von der Bahnhofsviertelnacht 2016

Rumstehen, trinken, quatschen: Beliebt auch in diesem Jahr.

Über die Bahnhofsviertelnacht wurde im Vorfeld hier wie dort da ja bereits hinlänglich berichtet. Zu sehr artete der “Tag der offenen Tür” in Frankfurts einst ehemals gefürchteten Stadtteils, der sich nun zum Szeneviertel gemauesert haben soll, im vergangenen Jahr aus. Zu sehr sei der Kulturcharakter verloren gegangen, zu sehr sei die Veranstaltung zum kollektiven Massenbesäufnis von Hipstern wie Umlands-Pöbel eskaliert.

Dieses Jahr nun sollte alles anders werden:

Nachdem die Bahnhofsviertelnacht (von hippen, jungen Leute von heute ,bevorzugt zu finden am „Niddasack“ vor dem 25 hours Hotel und der „Bar Pracht“, auch gerne mal “BHFSVRTLN8” genannt erst gar nicht, dann im November stattfinden sollte, nahm sich unser geschätzter Herr Oberbürgermeister persönlich der Sache an.

Die “Frankfurter Tourismus + Congress GmbH” sollte die neunte Ausgabe Veranstaltung dieses Jahr organsieren und vermarkten. Hat sie dann auch, und das dann in einer Art und Weise, die dem Charakter eines so-called “Szene-Viertels” dann doch arg widerstrebt. Kennzeichnet ein Szene-Viertel nicht die Eigenschaft, eben nicht als ein solches vermarktet und beworben zu werden? Nun ja, meine Meinung.

In diesem Jahr die einzige zweier Musikbühnen: Vor dem “25 hours Hotel” gibt’s was auf die Ohren. Ansonsten soll’s nun ruhiger bleiben.

Ohne große Erwartungen ließ ich mir einen Besuch dann doch nicht entgehen. Lediglich den Druckraum der Frankfurter Aidshilfe wollte ich mir unbedingt einmal anschauen. Hey, vor dem YokYok stehen und Bier trinken kann ich schließlich auch das ganze Jahr über.

Wie es ansonsten so war, wird sicherlich recht bald in den einschlägigen Tageszeitungen und Blogs zu lesen sein, ich erspare euch somit einen kompletten Abriss des Geschehens und beschränke mich im Folgenden auf meine eigenen Eindrücke und Gedanken.


Der Druckraum der Frankfurter Aidshilfe

Bereits auf dem Weg zu den Räumlichkeiten der Aidshilfe, welche neben einem Café auch einen der Frankfurter Druckräume beherbergen, stolpere ich fast über sie:

Die ausgemergelten Gestalten, die apathisch und mit Spritze oder Crackpfeife in der Hand auf dem Bordstein liegen, begegnen mir bereits in der Elbestraße.

Fast bin ich froh, dass sich auch dieser Aspekt als großes gesellschaftliches Problem nicht hinter der Fassade eines „Szene-Events“ verstecken lässt.

Meine Stimmung wird trotzdem – wie immer, wenn ich diese Menschen sehe – getrübt. Immer wieder stelle ich mir die Frage nach dem „Warum“. Wieso bloß landeten all diese Menschen hier im Rausch der Selbstzerstörung auf dem harten Pflaster des Bahnhofsviertel? Sind sie nicht alle einst zur Welt gekommen, hatten Träume, Pläne, einen Lebensentwurf? Wurden geliebt, haben andere Menschen ihre Liebe geschenkt?

Was nur muss ihnen widerfahren sein, um all dies aufgegeben zu haben? Den Glauben an ein lebenswertes, würdiges Leben zu verlieren?

Ich empfinde großes Mitleid und würde am liebsten jeden Einzelnen nach seinem Schicksal befragen.

Die bereits geöffnete Eingangstür reißt mich aus meinem Gedanken. Wir sind da.

Ein befremdlicher Anblick: Konsumplatz im Druckraum.

Sozialarbeiter Frank nimmt sich Zeit für unsere Fragen und führt uns durch die Räume. Ein mulmiges Gefühl, vor den einzelnen Plätzen zu stehen, an denen steriles Fixbesteck, Löffel und Kerze für das mitgebrachte Rauschgift bereitsteht.

Ich erfahre, dass es mittlerweile bereits fünf der Konsumräume im Stadtraum gibt. Vier davon – na klar! – im Bahnhofsviertel, einer im Ostpark. Dort hätte ich einen solchen nun wahrlich nicht vermutet.

Auch Franks Antwort auf meine Frage nach dem „Durchschnitts-Klientel“ überrascht mich:

Auch Bauarbeiter, Handwerker und selbst Personen mit Pflegeberufen kämen in ihrer Mittagspause in den Druckraum, um harte Drogen zu konsumieren. Und anschließend wieder ihrer Arbeit nachzugehen. Vor dem Lockruf der Sucht ist wohl tatsächlich kein Mensch gefeit.

Wie krass, welch eine wahnsinnige Erfahrung muss ein solcher Rausch wohl sein? Was ist es wert, den hohen Preis des unwürdigen Lebens als Drogenabhängiger auf dem nackten Pflaster zu zahlen bereit zu sein?

Diese Frage beschäftigt mich.

„Es ist die körperliche Abhängigkeit“, sagt Frank. „Die Erfahrung des ersten Rauschs kommt niemals wieder, doch ein Zustand des normalen Empfindens und der körperlichen Entspannung setzt fortan nur noch unter Einwirkung der Droge ein. Ohne professionellen Entzug und Hilfe kommt man da nicht raus“.

Es ist wohl das erste Mal in meinem Leben, dass ich froh darüber bin, „nur“ psychisch abhängig nach Zigaretten und Kaffee zu sein. Nachdenklich verlasse ich den Druckraum und befinde mich augenblicklich wieder unter feierfreudigem Volk mit „Fußpils“ in der Hand. Verrückte Welt.


Toiletten überall!

Ich tümmele mit, und mir fällt auf:

Schicke blaue Häuschen an jeder Kreuzung: Geht doch!

Nachdem offenbar bei der letzten Bahnhofsviertelnacht 2015 Zustände geherrscht haben, die man ansonsten nur vom Friedberger Platz kennt, ist es doch tatsächlich gelungen, an jeder Kreuzung Toilettenhäuschen aufzustellen. Geht doch!

Einen solchen Aufstell-Elan für sanitäre Einrichtungen würde ich mir ebenfalls für das Mainufer wünschen. Die prekäre Toiletten-Situation ist derzeit ebenfalls großes Thema, aber anscheinend wurde noch nicht ausreichend wildgepinkelt, um entsprechenden Eifer bei der Stadt zu entfachen.

Sollte Devise für Besucher des Mainufers nun etwa fortan „Wildpinkeln für ausreichend öffentliche Toiletten“ sein?


Einmal um die Welt futtern

Wie üblich und erwartet laden die zahlreichen großen wie auch kleinen Imbisse und Lebensmittelgeschäfte dazu ein, sich vor ihren Geschäften einmal quer um die Welt zu futtern. Dass das Angebot hierbei nicht nur auf der Münchener Straße kulturell äußerst vielseitig ist, dürfte manchen Besucher überrascht haben – ich habe das Viertel diesbezüglich aber bereits ausführlich erkundet.

Menschenmengen vor dem „Maxie Eisen“, die genüsslich in ihre Stullen, pardon: Pastrami! beißen, volle Bänke vor den Grill-, Fisch- und Asia-Imbissen. Mit vollen Tellern volle Tische.

Ich freu’ mich jedenfalls drauf, schon ganz bald in Ruhe und ohne Gedränge mein Mittagessen im Bahnhofsviertel zu genießen. Und wo’s mir am besten schmeckt, weiß ich schließlich schon längst 😉


Vor YokYok nichts Neues

Gedränge auch vorm Kult-Kiosk in der Münchener Straße. Also alles beim Alten – in der Regel bietet ein durchschnittlicher, warmer Abend denselben Anblick. „Place to be“ ist die Trinkhalle ohnehin schon längst.

Das scheint auch der herzliche Betreiber zu wissen. Dass durstige Besucher mittlerweile dazu bereit sind, im Kiosk für ‘nen halben Liter Bier so viel zu zahlen wie für ein frisch gezapftes in der Kneipe mancherorts im Nordend, lässt auf große Beliebtheit schließen. Aus der sich wohl ordentlich Kapital schlagen lässt.

Es sei dem guten Kerl verziehen, er folgt damit wohl ohnehin lediglich Zeitgeist des zum „BHFSVRTL“ mutierten Stadtteils.

By MatzeFFM on September 9, 2016.

Exported from Medium on September 22, 2016.

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