“Ach, nun warte mal ab!”, tröstete mich die mir wohlvertraute Stimme meiner Mutter am Telefon. “Irgendjemanden wirst du schon treffen – sagst du nicht selbst immer, Frankfurt sei ein Dorf?”
Es war Montagabend, ich hatte gerade Feierabend und berichtete der besten Mama der Welt via Ferngespräch von meinen Plänen für den morgigen Tag. Beziehungsweise Nicht-Plänen, denn weder war ich verabredet noch hatte ich irgendetwas vor, als mich durch die Stadt treiben zu lassen. Außerdem, da klagte ich über die kreative Flaute in meinem Kopf: Ein großes Projekt war gerade abgeschlossen, mein Gehirn befand sich offensichtlich im “Leck’ mich”-Modus.
Ein Tag später:
Der Wecker klingelt – ja, moment mal, ich hab’ doch frei?! – verdammt, wieder einmal nicht geschafft, auszuschlafen. Nein, auch am freien Tage will die Disziplin gewahrt werden, will sich sportlich betätigt werden. Also: Erst den Wecker verfluchen, anschließend mich für meinen Ehrgeiz, Mein Gewissen zerrt mich aus dem Bett. “Wenn ich irgendwann mal groß bin, dann lern’ ich das mit dem Entspannen mal”, schwöre ich mir noch, als ich nach einem schnellen Kaffee in die Laufschuhe schlüpfe.
Zehn Kilometer später, heiß und ausgiebig geduscht:
Ich entsinne mich an die Worte meiner Mutter, als ich einen neuen Schwarzweißfilm in meine Kamera einlege und mich auf den Weg zum Römerberg mache. Den diesjährigen Weihnachtsbaum will ich mir anschauen, der in einigen Wochen schon die glühweinseligen Massen überragen soll.
Meine Freunde dürften ihre Mittagspause beendet haben und wieder im schlecht klimatisierten Büro sitzen, als ich vor der mächtigen Tanne aus dem Sauerland stehe. Dass der Baum auch in diesem Jahr den Transport nicht ganz unbeschadet überlebte, sieht man ihm kaum an.
Ja, entgegen des weitläufigen Trends habe ich dieses Jahr tatsächlich nichts zu meckern; der Baum ist groß, grün und nadelig – und wird obendrein gerade dekoriert:
Ein Kran fährt gerade eine Plattform an den Baum heran, auf der ein Weihnachtskugel-Aufhängarbeiter (macht der das hauptberuflich?!) damit beschäftigt ist, den Baum tauglich für die besinnlichen Tage zu machen.
Ich zücke meine Kamera, möchte diesen Moment gern dokumentieren.
Doch Moment mal…
Welch Mann im Anzug läuft mir denn da gerade in den Auslöser? Das ist doch nicht etwa…? Doch, genau der ist es.
Peter Feldmann, seines Zeichens Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, marschiert querbeet über den Römerberg. Einfach so, ohne Bodyguards in schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen. Ich lasse meine Kamera sinken.
“Ja, schönen guten Tag auch, Herr Feldmann!”, grüße ich unser nicht immer unumstrittenes Stadtoberhaupt. “Sie hier?”
Der Bürgermeister macht kurz Halt. “Ja, sicher – ich arbeite schließlich hier!”. Ich reiche ihm die Hand. “Schön, Sie zu sehen – na denn einen guten Arbeitstag! Ach, und übrigens: Am Baum, da hab’ ich nichts zu meckern!”.
Das Stadtoberhaupt lacht und reckt den Daumen.
Amüsiert und noch etwas ungläubig schüttele ich meinen Kopf, gehe wieder in die Knie, um meine Bilder zu schießen. Beschließe, anschließend ein wenig Paternoster im IG-Farben-Haus zu fahren, macht mir immer gute Laune. Beim Fotografieren treffe ich zufällig einen Kollegen, der offensichtlich auch mein Hobby teilt. Verrückt, ihn mal ohne Uniform zu sehen. Wie unverhofft und schön! Wir plauschen ein wenig, und ich hab’ ein Grinsen im Gesicht, als ich zur Krönung des Tages mein heißgeliebtes Café Sugar Mama ansteuere.
Mama hatte Recht:
Irgendjemand, den trifft man immer, bewegt man sich nur aufmerksam durch die Stadt. Und was zu schreiben, das hab’ ich nun auch gefunden. Die Moral von der Geschichte? Einfach mal rausgehen, irgendwen, den trifft man immer.
Manchmal sogar den Herren Oberbürgermeister.