Summer in the City: Eine Stadt im Rausch

“Hot town, summer in the city”, röhrt Joe Cocker in seinem Klassiker. “Back of my neck gettin’ dirt and gritty.” Auf dem Matthias-Beltz-Platz dagegen singt niemand Lieder der verstorbenen Musik-Legende. Vom GUDES aus wabert Reggae-Musik herüber, auch bei 30 Grad hat sich in den Abendstunden wieder einmal ein gefühltes halbes Frankfurter Nordend rund um das Wasserhäuschen und auf dem Platz bequem gemacht.

So sitze auch ich irgendwo zwischen den Sonnenblumen, gepflanzt von einigen eifrigen Anwohnern. Ein Wunder, dass sie trotz des Feinstaubs, welcher unentwegt über der Friedberger Landstraße weht, ihre gelben Blüten nimmersatt gen Sonne strecken. Ich beiße in eine Nektarine, Saft tropft auf meine Oberschenkel und vermengt sich augenblicklich mit meinem Schweiß. “Was soll’s”, denke ich mir. Wenn sich Sommer nicht genau so anfühlt – ja, wie eigentlich dann?

Eine Stadt im Rausch

Ein Tennisball rollt an mir vorbei, ein kleiner Hund hechtet hinterher und hinterlässt Staubwolken. Ein Mann spielt mit seinem vierbeinigen Freund, amüsiert beobachte ich das Treiben. Eine Frau hat es sich im mitgebrachten Liegestuhl bequem gemacht, ist versunken in ihr Buch, nippt abwechselnd an Apfelwein und Mineralwasser. Ein Haufen Halbstarker hat sich um einen Tisch geschart und spielt Karten, gleich nebenan kichern junge Frauen mit großen Sonnenbrillen und öffnen kleine Sektflaschen. Braungebrannte Männer geben sich High Five und öffnen große Bierflaschen. “Kann ich die haben?”, ein Mann sammelt Pfandflaschen. Selbst er hat ein Grinsen im Gesicht. “Klar, Bruder. Kannste haben!”

Im Baum über mir hat jemand eine Leinwand an einem Ast aufgespießt, das nennt sich dann wohl “Urban Art”. Ein Anderer schüttet sich Wasser in den Nacken, es ist wirklich heiß an diesem Montag. Ich schütte derweil einen Schluck Apfelwein in mich hinein, schaue herüber zu meinem Wohnhaus. Die sommerliche Tollerei kann nicht jedermann genießen, Anwohner laufen Sturm. Sie haben Flugzettel in den Briefkästen der Nachbarschaft verteilt und dazu aufgerufen, bei Lärm die Polizei zu rufen. Ich bin ebenfalls ein Anwohner und habe die “Kampagne” mit eigenen Flugblättern erwidert, habe die Nachbarn dazu eingeladen, doch einfach mal Platz zu nehmen auf dem Matthias-Beltz-Platz.

Sich auch einfach mal ein Bier zu öffnen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen oder in Lektüre zu versinken. Einfach mal entspannt zu bleiben. Nun; auch eine Art, sich mit es mit den Nachbarn zu verscherzen.

Nicht ganz in der Nachbarschaft, doch nicht einmal einen Kilometer weit entfernt hat in diesem Moment das STOFFEL den Günthersburgpark in Beschlag genommen und in ein fröhliches Festivalgelände verwandelt. Schon beim Eröffnungstag bildeten uzählige Picknickdecken einen Teppich auf den Wiesen des Parks und ließen kaum mehr einen Grashalm erkennen. Braucht sich die Frankfurter Kulturlandschaft schon im Winter nicht zu verstecken, so scheint die Stadt im Sommer geradezu zu bersten vor kulturellen Highlights.

Für ganze drei Sommerwochen lang haben die Macher des Stalburg-Theaters (fast) Tag für Tag ein buntes Bühnenprogramm auf die Beine gestellt, welches sich wahrlich nicht zu verstecken braucht. Schon ab dem Nachmittag sorgen Lesungen, Aufführungen und Auftritte (nicht nur musikalischer Art!) dafür, dass Frankfurter Feierabend auf das Vorzüglichste genossen werden können.

Ein ganz normaler “STOFFEL”-Abend

Auch die Macher des Kulturfestivals Sommerwerft haben sich nicht lumpen lassen. Sogar ein Zirkuszelt wurde aufgebaut, um das östliche Mainufer über Wochen hinweg zur alternativen Bühne und interkulturellen Zusammenkunft werden zu lassen. Jeden Tag aufs Neue finden Konzerte, Theateraufführungen, Poetry Slams oder Filmvorführungen statt, umweht von einem Hauch Karibik.

Als seien das kulturelle Angebot der beiden Freiluft-Feste und damit die Qual der Wahl noch nicht groß genug, kommen Theaterfreunde zeitgleich im Grüneburgpark auf ihre Kosten: Die Dramatische Bühne gastiert in einer der schönsten Grünanlagen der Stadt und lässt Zuschauer frische Sommerluft statt trockene Saalluft atmen.

Kultur gibt’s nicht umsonst

Die zahlreichen Möglichkeiten, heiße Feierabende zu verbringen, sind keineswegs ein Grundrecht. Wir alle – hier spreche ich wohl nicht für mich alleine –  vergessen  oft nur allzu sehr, dass hinter den Veranstaltungen Menschen stecken, welche eine Menge Zeit, Geld und Herzblut in deren Organisation stecken. Für diese Idealisten ist es Jahr für Jahr aufs Neue eine Herausforderung, trotz Zuschüssen seitens der Stadt bei freiem Eintritt kostendeckend zu arbeiten. Ohne die zahlreichen freiwilligen Helfer, die Zelte auf- und abbauen, Programmhefte drucken und durstige Kehlen beglücken, wären die Veranstaltungen ohnehin undenkbar. Doch nie zuvor stand beispielsweise das STOFFEL auf derart wackligen finanziellen Füßen wie in diesem Jahr: So haben unter anderem gesteigerte Sicherheitsauflagen die Kosten für das Fest weiter in die Höhe getrieben. Machen wir uns das bewusst – und geben wir den Veranstaltern ein wenig Support, indem wir uns unsere Freunde schnappen und auf ein, zwei Kaltgetränke bei STOFFEL, Sommerwerft & Co vorbeischauen!

 

Frankfurt, ein Sommermärchen

Ja, der gemeine Frankfurter wünscht sich, im Sommer zwei-, wenn nicht gar dreiteilen zu können:  So servieren obendrein etwa die Gutleuttage statt Ausblicke auf die Theaterbühne spannende Einblicke in einen zu Unrecht etwas in Verruf geratenen Stadtteil.

Auch hinter dieser Veranstaltung stecken weder Stadt noch große Event-Unternehmen – vielmehr engagierte, junge Köpfe mit einem gewissen Hang zum Risiko und einer großen Portion Liebe zu unserer Stadt. Mit jeder Menge Liebe werden auch zwei “Klassiker” gestaltet, die sich längst im Frankfurter Sommer etabliert haben: So bietet das Osthafen-Festival in etwa ein hochkarätiges Konzertprogramm und Eisenbahn-Sonderfahrten entlang der alten Hafenanlagen. Ganz zu schweigen vom Museumsuferfest mitsamt seines atemberaubenden Feuerwerk!

Doch auch der Alltag jenseits der zahlreichen Feste gestaltet sich im Frankfurter Sommer deutlich entspannter. Manchmal, schmunzele ich während ich einen Blick auf die immer noch in ihr Buch versunkene Frau im Liegestuhl neben mir werfe, mag man sich in diesen Tagen fast wie im Süden fühlen!

Theater, Freunde, Apfelwein: Auf der “Sommerwerft”

Selbst auf der für gewöhnlich vom Konsumterror beherrschten Zeil hetzen die Menschen ein wenig langsamer über das heiße Pflaster. Manche stellen gar die prall gefüllten Primark-Tüten ab, um auf einer der Sitzbänke Platz zu nehmen und sich für einen Moment lang von den Sonnenstrahlen im Gesicht streicheln zu lassen. Auf dem Wochenmarkt an der Konstablerwache dominiert Obst das Tagesgeschäft, ein kalter “Rauscher” sorgt für eine kühle Erfrischung auf hessische Art und Weise. Auf den Treppenstufen sitzen Pärchen, Cliquen und Familien. Die Kleinen trinken kalte Cola, die Großen Bier, die Harten Jack-Daniels-Cola aus der Dose.

Auch in den grünen Oasen der Stadt herrscht Ausnahmezustand: Im Brentanobad wird um jeden freien Quadratmeter der Liegewiese gekämpft, auf dem Lohrberg stauen sich die Autos über mehrere hundert Meter hinab bis zur Bundesstraße. Im Ostpark, der neben den Nilgänsen vor allem für seine große Grillfläche bekannt ist, werden die weißen Pavillons über Nacht gar nicht erst abgebaut. Im Bethmannpark rücken alte Herren an großen Schachfiguren, überdenken ihren nächsten Zug bei einem Schluck aus der Bierflasche. Jenseits der 30 Grad hält es eben auch die größte Couch-Potatoe nicht mehr in der überhitzten Wohnung. Bänker köpfen Champagner-Flaschen auf versnobten Rooftop-Bars, auf dem Main stehen Standup-Paddler auf wackligen Beinen, während Tanzende auf dem Deck des vorbeifahrenden Ausflugsschiff ihr sommerliches “Afterwork” begießen.

Ein Fluss als Zweitwohnzimmer

Überhaupt, der Main: Die Uferflächen erweisen sich in der schönsten Zeit des Jahres als ein auf 10 Kilometer erstrecktes Sommerparadies. Anlaufstelle erster Wahl dabei: Das MainCafé, in dessen Dunstkreis kein Stückchen Wiese unbesetzt und keine Kehle trocken bleibt. Wenn es dann irgendwann dunkel wird, und sich die Skyline im Mondschein im Fluss spiegelt, fällt es besonders schwierig, sich nicht in diese Stadt zu verlieben. Nur, wenn es ganz still ist, erreichen gedämpfte Bässe vom Yachtklub-Boot dieses Stückchen Süden am Main.

Viel zu häufig bleibt der drollige Nidda-Fluss vom großen Schatten des namensgebenden Main verdeckt. Wer nicht gleich eine tagesfüllende Radtour unternehmen will, schwingt sich auf den Sattel und gleitet ihre schattigen Ufer entlang. Unterwegs hängen bewegungslustige Großstadtbewohner ihre Füße ins kalte Wasser der Staustufe Nied, erfrischen sich mit einem Drink am Niddastrand – oder fahren gleich durch bis in den westlichen Stadtteil Höchst, in dem es sich an der Alten Schiffsmeldestelle ohne Weiteres einen ganzen Tag vertrödeln lässt.

Der erste Sommer

“Hey, Matze! Mal wieder faul am Rumhängen?” Ich werde von einer lieben Bekannten am Nacken gepackt und aus meinen Gedanken gerissen. “Auch noch ‘nen Apfelwein für dich?”

Ich betrachte den Füllstand meiner Flasche und bejahe. Mich beschleicht eine dunkle Vorahnung, dass dieser Abend noch lange andauern wird. Macht ja nix: In dieser Nacht werden die Temperaturen nicht unter zwanzig Grad sinken. Es sind diese Momente, welche mich meine Heimat besonders lieben lassen.

“Ich hab’ mich am Anfang in Frankfurt nicht wirklich wohl gefühlt”, diesen Satz habe ich von Zugezogenen schon oft gehört. “Doch dann kam mein erster Sommer in der Stadt.”

Ich verstehe nur allzu gut, was sie meinen. “Eingeplackte” eben.

Diesen Sommer schon gestoffelt?

In Frankfurt kann man ja ‘ne Menge Dinge tun, die man nirgends anders machen kann. Stoffeln zum Beispiel.

Während andernorts – vorrangig im Süden der Republik – allenfalls im Substantiv der “Stoffel” als griesgrämiger Mensch bekannt ist, bezeichnet im Frankfurter Stadtgespräch das Verb “stoffeln” dagegen dem Nachgehen einer äußerst angenehmen Tätigkeit:

Dem Besuch des Freiluft-Festivals “STOFFEL” im Günthersburgpark.

Der Name “STOFFEL” ist ein vom Veranstalter – dem Stalburg-Theater – kreiertes Kunstwort und ist nichts weiter als die Abkürzung für “Stalburg offen Luft”.

Das aber nur am Rande, das STOFFEL ist eben das STOFFEL, und wenn der Frankfurter sich bepackt mit Kaltgetränken, Decken und den liebsten Freunden gen Günthersburgpark aufmacht, um einen lauen Abend bei Live-Musik und Unterhaltung zu verbringen, dann geht er eben stoffeln.

Bei freiem Eintritt findet das Festival bereits zum vierzehnten Jahr in Folge statt – und das für stolze vier Wochen lang!

 

Sommerfreuden auf der Kippe

So etabliert das “Stoffel” mittlerweile zweifelsfrei auch ist:
Der Fortbestand auch dieser sommerlichen Frankfurter Institution darf – leider, leider! – nicht als gesichert betrachtet werden.

Darüber, dass der Veranstalter große Schwierigkeiten hat, trotz Zuschüssen seitens der Stadt kostendeckend zu arbeiten, wurde bereits zur Genüge berichtet. Auch, dass in diesem Jahr erstmalig aufgrund der Klage einer einzigen (!) Anwohnerin nur an 18 Tagen der vier Veranstaltungswochen Livemusik auf der Bühne gespielt werden darf, wurde in den einschlägigen Gazetten bereits kontrovers diskutiert. Darüber kann und darf man sicherlich geteilter Meinung sein. Das Stalburg-Theater hat jedenfalls reagiert, die Lautstärke der Musik entsprechend reduziert und an den “ruhigen Tagen” ohne musikalisches Rahmenprogramm ein spaßiges Ersatzprogramm geschaffen. So sollen auf den weiten Wiesen des Günthersburgparks Gesellschaftsspiele statt Dezibel für Unterhaltung sorgen.

Es wär’ so schade drum! Ein Aufruf.

Wieso ich also auf diesem Blog das “Stoffel” erwähnen möchte, wo das Festival doch nach 14 Jahren nunmehr jedem Frankfurter bekannt sein sollte – und über die Probleme, mit denen der Veranstalter zu kämpfen hat, bereits in jedem Käseblatt berichtet wurde?

Ganz einfach: Weil es mir ganz persönlich wichtig ist. 

Ich meine hey, wie glücklich können wir uns alle schätzen, ganze vier Wochen lang ein solch vielfältiges Festival inmitten unserer Stadt genießen zu können?

Wie dankbar muss man dem Veranstalter sein, trotz aller Widrigkeiten Jahr für Jahr aufs Neue ein solches Festival auf die Beine zu stellen? Ist es nicht fast selbstlos, dass Jahr für Jahr all die fleißigen Helfer und Organisatoren dafür schuften, damit wir eine geile Sommerzeit haben können? Und dabei mit nur mit Ach und Krach keine Verluste einfahren?

Kann man ein solches Engagement eigentlich genug wertschätzen? Ich denke, nein. Ich persönlich befürchte allerdings, dass viele von uns das “STOFFEL” erst dann zu schätzen wissen, wenn es zu spät ist.

Und das wäre unendlich traurig, wäre ein herber kultureller Verlust für Frankfurt.

Deswegen: Geht “stoffeln”, sozusagen für den guten Zweck!

Gibt es überhaupt einen Grund, den Feierabend nicht im Günthersburgpark zu verbringen? Mir jedenfalls fällt da – außer Unwettern und einem drohenden Weltuntergang – keiner ein. Der Eintritt ist umsonst, lediglich um Spenden wird gebeten.

Das kulturelle Rahmenprogramm dürfte für jeden etwas bereithalten. Und lässt sich ein lauer Sommerabend überhaupt schöner verbringen als mit den liebsten Freunden an einem der schönsten und grünsten Fleckchen inmitten der Stadt?

“Stoffeln”, das ist was feines. Ja, ich weiß, überall in Frankfurt locken in diesen Tagen die tollsten sommerlichen Vergnügungen. Doch einfach mal stoffeln zu gehen, das ist in diesem Jahr wahrscheinlich wichtiger denn je.

Nicht nur für das eigene Gemüt und die Pflege eurer Freundschaften:
Sondern dafür, dass diese wunderbare Veranstaltung auch in Zukunft noch existieren kann.
Es wäre schade drum. 

 

Programm & Infos

Nun klappt euren Rechner zu, schnappt euch Decken und Freunde, und macht euch auf in den Günthersburgpark!

Vorher könnt ihr euch freilich noch über das aktuelle Programm informieren. Dieses findet ihr online unter http://www.stalburg.de/stoffel/info/ . Dort erfahrt ihr auch von Möglichkeiten, das Festival anderweitig zu unterstützen.

Ich wünsch’ euch eine geile Zeit dort, Freunde!