Happy Birthday: Ein erster Hauch der QuarterLife-Crisis?

Nun sitze ich also hier, am Tresen meiner Lieblings-Kneipe in meiner unmittelbarer Nachbarschaft, mitten drin im Frankfurter Nordend.

Und beginne eine Ahnung von all den Gedanken, Zweifeln und Ängsten zu bekommen, die so ziemlich einen Jeden recht pünktlich zum 30. Geburtstag ereilen.

Zwar habe ich noch etwas Schonfrist, bis ich mich endgültig von meinen Zwanzigern verabschieden muss. Jedoch werde ich in exakt 48 Minuten meinen 29. Geburtstag feiern, und ich fürchte, auch mein nächstes Lebensjahr wird nur allzu schnell an mir vorüberziehen.

Einmal Frühjahr, einmal Sommer, noch ein Herbst – und zack, dann ist sie da, die Dreißig. Die doch irgendwie Symbol ist für ein endgültiges Erwachsensein.

Hey, war ich nicht gestern erst 20? Ich nehme einen Schluck aus meinem Gerippten und werfe einen Blick zurück.

Als Jugendlicher hatte ich einen väterlichen Freund, der damals in dem Alter gewesen ist, in dem ich mich heute befinde. “Ende zwanzig” eben.

 

Dieser väterliche Freund von mir, er war für mich der Inbegriff des Erwachsenseins:

Er hatte einen Job. Eine eigene Wohnung in einer Großstadt. Durfte spätabends noch ein Bier in der Kneipe trinken gehen, ohne dafür Schülerausweise fälschen zu müssen und unangenehme Fragen beantworten zu müssen. Und wenn ihm danach war, bis in die Morgenstunden hinein tanzen zu gehen, dann hat er das eben gemacht.

Kurzum:

Er, das war der erwachsenste Mensch für mich überhaupt. Grund für mich, mich im Zimmer meines Elternhauses auf dem Dorf nach dem Erwachsensein, einem unabhängigen Leben, meinem Traumberuf zu sehnen.

 

Sogar bügeln kann ich!

Und heute? Heute bin ich selbst so alt wie damals väterlicher Freund und mein Vorbild es war.

Lediglich: Ich fühle mich mitnichten “erwachsen”.
Und, ganz ehrlich: “Erwachsen sein”, was bedeutet das schon? 

Ich habe meinen Traumberuf ergriffen, der mich recht anständig verdienen lässt. Ich kann es mir leisten, in einer schicken Wohnung zu leben. In einer Großstadt, die erstmals ein Gefühl der Heimat in mir erweckt hat.

Ich habe viele Bücher gelesen, habe so manchen Ort der Welt bereist. Unzählige Menschen sind in mein Leben getreten, ebenso viele haben es wieder verlassen. Manche blieben länger, manche nur kurz. Nur meine Familie, die blieb für immer.

Ich kann für mich sorgen, ich kann Wäsche waschen, weiß einen Wischmopp zu benutzen. Und sogar Hemden bügeln kann ich!

Die Weisheitszähne habe ich verloren, dafür zieren bereits zwei Brücken mein Lächeln. Gut, dass ich über eine Zahn-Zusatzversicherung verfüge. Ja, auch solche profanen “Erwachsenen-Dinge” besitze ich.

Ich habe viele Feste gefeiert, manch Kater auskuriert. Ich habe gelacht, geweint, mal gewonnen, mal verloren. Mir mein Herz brechen lassen – und andere gebrochen. War mal der Arsch, mal das Häufchen Elend.

Erlebte Höhenflüge, bin so richtig abgestürzt. Habe Hilfe erfahren, habe mich neu entdeckt und mich mit meiner Liebe zu neu entdeckten Leidenschaften wieder aufgerappelt. Dieser Blog ist eine dieser Leidenschaften.

Die schönsten und bittersten Erfahrungen meines Lebens sind in Form von Tattoos auf meiner Haut verewigt.

Ich gehe arbeiten, habe Hobbies, verdiene Geld, gebe es aus. Verreise ab und zu, gehe nach wie vor auch gern mal feiern. Ich treibe Sport, wann auch immer die Zeit es zulässt – und bin froh, wenn ich meine Jungs treffe.

 

Könnte glatt so weitergehen, oder?

Es sind nun noch 34 Minuten bis zu meinem Geburtstag, und ich resümiere:

Jawollja, es ist mir gelungen, ein unabhängiges Leben aufzubauen. Jede meiner Entscheidungen habe ich aus freiem Willen treffen können, ich bin nur mir selbst Rechenschaft schuldig und habe auch ansonsten (gottlob!) keinerlei Schulden. Äh, auch meinen Deckel am letzten Wochenende hatte ich bezahlt. Glaube ich.

Herzlichen Glückwunsch also, Sie haben Ihr Ziel erreicht? 

Doch genau der Gedanke daran, dass es jetzt ja eigentlich so weiter gehen könnte: Er lässt mich verzweifeln und macht mir Angst.

Fast tröstlich, dass es nicht nur mir so geht. Mittlerweile wurde schließlich gar ein Begriff erdacht für dieses kritische Zurückblicken, gepaart mit der fatalsten aller Fragen: “War das jetzt schon alles?”.

“Quarter Life Crisis”, so hat man diese kleine Lebenskrise getauft. Die die Kraft hat, so manchen Endzwanziger kurzzeitig mal ordentlich aus der Bahn zu werfen.

 

Noch 23 Minuten

Und ich fürchte, ein Hauch dieser hat auch mich soeben erreicht. Klar, alles könnte gemütlich so weiter zu gehen. Aber hey, soll das tatsächlich schon alles gewesen sein? Bin ich angekommen, verharre nun mein restliches Leben lang im Alltag, den ich mir erschaffen habe?

Noch ist’s ja nicht zu spät, noch erwarte ich zu viel vom Leben. Aber was soll da noch kommen? Wie viele Orte dieser Welt muss man bereist haben, um “angekommen” zu sein? Wie viele Bücher soll ich noch lesen, um als “belesen” zu gelten? Welche Karriere soll ich noch machen, um mich mit stolz geschwellter Brust als “erfolgreich” bezeichnen zu dürfen?

Ich fürchte, meine Gedanken enden bei der alten Frage nach dem Glück.

Ein Zitat fällt mir ein, welches mir eine Person mit auf den Weg gegeben hat, die wohl zu den herausragendsten und denkwürdigsten Bekanntschaften meines bisherigen Lebens zählt:

Es gibt kein schönes Leben. Es gibt nur schöne Tage

Ein wunderschönes Zitat, und ich vermute, es ist verdammt wahr.

 

Solange ich noch Träume habe…

Ich ziehe an meiner Zigarette (ja, auch damit hab ich irgendwann mal ngefangen…) und überlege mir, was ich von den kommenden Jahren noch erwarte.

Ich könnte so viel tun und machen, so viel sehen und erleben – nur:
Möchte ich das? Will ich das? Und – um Himmels Willen – was verpasse ich auch alles? Kann ich mit 29 tatsächlich schon Wurzeln geschlagen haben in einer Stadt? Oder nicht vielmehr nochmals meine Zelte abbrechen, um den Horizont zu erweitern?

Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. 

Was ich aber ganz bestimmt weiß: Solange ich noch konkrete Ziele habe, solange ich noch Träume haben, solange mag ich mein Leben verdammt gerne.

Ich mag ein Buch schreiben. Mag zumindest Südostasien entdecken. Mag nicht von dieser Welt gehen, ohne Vater zu sein. Und zwar mindestens der allerbeste Papa dieser Welt!

Gleich ist es soweit. Der Minutenzeiger meiner Armbanduhr rückt bedrohlich Nahe an die Mitternacht heran. Wie gut, dass niemand außer mir im Raum weiß, dass ich in drei Minuten Geburtstag haben werden. Muss ja auch nicht, reicht wenn ich morgen Abend meine Freunde um mich versammeln kann.

 

Auf mich und ein neues Jahr!

Ich sollte das mit dem Denken jetzt vielleicht endlich mal bleiben lassen. Führt ja zu eh nichts, außer zu depressiver Verstimmung und schlaflosen Nächten.

Vielleicht fang’ ich übermorgen wieder zu Zweifeln und Grübeln an, aber heute, hey, da hab’ ich Geburtstag, und der ist schließlich nur einmal im Jahr!

Ich sollte meinen Tag und mein bisheriges Leben symbolisch zelebrieren. Nur für mich. Ich bestelle ein edles Getränk (gegeizt wird heute nicht!) und grinse in mich hinein. Die Datumsanzeige meiner Uhr wechselt. Es ist soweit. Und bislang fühle ich mich noch ganz und gar wie mit 28.

Happy Birthday, Matze. Auf ein neues Lebensjahr – und darauf, dass die 30 noch 365 Tage weit entfernt ist.