Sagt euch der Name “Hugo van Haastert” etwas? Nein? Keine Sorge, das tat er mir bis vor Kurzem auch nicht. Kein Wunder, nicht mal einen Wikipedia-Artikel darf der Liedermacher sein Eigen nennen – und wäre ich nicht an diesem einen Dienstagabend in meiner Lieblingskneipe Feinstaub gewesen, so hätte auch ich wohl niemals von ihm erfahren…
Allein in Frankfurt/Main
Doch saß ich nun da, vor meinem Apfelwein, wie üblich in mein Buch vertieft, als ich innehielt. Nur ein halbes meiner Ohren lauschte der Musik, die mittels Schallplatte vom DJ serviert wurde, doch ich vernahm ich sie ganz deutlich, diese eine Textzeile:
“Und mit jeder Zigarette fällt mir mehr von uns beiden ein – wenn ich noch eine Chance hätte, würde alles ganz anders sein, in Frankfurt/Main.
Ja, ich bin allein – in Frankfurt/Main….”
Ich war eigenartig berührt von diesen Zeilen, vielleicht weil auch ich mich, manchmal bis gelegentlich geflissentlich alleine fühlte in dieser Stadt. Ich mochte wissen, wer sie einst gesungen hat. Schnell griff ich zum Mobiltelefon, fütterte Google mit einigen Textfetzen aus dem Lied. Dieses Internet, das wusste bekanntliich alles, und so wusste auch ich ganz schnell:
Hugo van Haastert war es, der 1977 dieses Lied aufnahm, welches nun – 40 Jahre später – begleitet durch Rauchschwaden durch eine Kneipe im Frankfurter Nordend waberte.
Zurück zu Hause, immer noch pfiff ich die Melodie des Liedes, “allein in Frankfurt/Main”, das wollte mir nicht aus dem Kopf. Wie praktisch, dass das Internet nicht nur alles weiß – sondern auch alles bietet. Dachte ich jedenfalls.
Keine Suchtreffer bei Spotify.
Nicht erhältlich auf Amazon. Nicht bei Apple Music, nicht bei Soundcloud, das gibt’s doch nicht. Ein letztes Ass, das hatt’ ich noch im Ärmel – doch nicht einmal bei Youtube wurd’ ich fündig. Und, räusper räuser, hätte ich illegale Download-Portale bemüht, wäre (!) ich auch nicht fündig geworden. Verdammt.
Dabei wollte ich doch nur Zuhause noch einmal das Lied genießen, Augen zu, Zigarette an. Einen dieser wenigen Momente erleben, in denen man, in denen ich Musik noch bewusst genießen kann.
Was blieb, war das Vinyl
Nie hätte ich für möglich gehalten, einmal ein gewünschtes Lied nicht irgendwo in den Untiefen des WWW zu finden.
Was blieb war das Vinyl, jener schwarze Kunststoff, auf den das Lied im Erscheinungsjahr 1977 schließlich gepresst sein worden musste.
Erste Anlaufstelle für ein zielgerichtete Suchen nach alten Schallplatten, Vinyl-Freunde wie ich wussten das, war die Plattform Discogs.
Und tatsächlich wurde ich dort fündig, Originalpressung der Single, guter Zustand, auf der B-Seite: „Hör‘ doch auf, zu träumen“. Der Preis der Schallplatte in Pfund angegeben, „Versand aus Großbritannien“ – wieviel das nun genau in Euro sein mochte, wollt’ ich dann auch gar nicht so genau wissen. Dieses Lied, das war klar, würde ein recht teurer Spaß werden für mich.
Wie die Platte ihren Weg ins vereinigte Königreich gefunden haben mochte, blieb mir derweil ein Rätsel. Was sollt‘s, viel wichtiger war schließlich, dass der kleine, runde Schatz seinen Weg zu mir, nach Frankfurt, finden würde.
Und genau das tat er dann glücklicherweise auch, eine knappe Woche später, sorgfältig verpackt in Zellophan und braunen Pappkarton. Mit sanften Fingern zog ich das ersehnte Stück hinaus, der Geruch einer vergilbten Hülle strömte in mein Näschen.
Genuss bei 45 u/min
Die Platte selbst dagegen tatsächlich fast wie neu, fast liebevoll fand sie ihren Platz auf dem Plattenteller. Das vertraute Knacken beim Aufsetzen der Nadel, bei 45 Umdrehungen pro Minute konnte mein Musikgenuss beginnen.
Und so saß ich da, allein in Frankfurt/Main, und hörte “Frankfurt/Main”. Eine Zigarette zwischen meinen Lippen, die Augen beim Zug geschlossen, Hugo van Haastert singt von verspäteten Linienflügen, der Liebe und schlechtem Englisch. Und, natürlich, von seinem Alleinsein hier, in Frankfurt/Main.
40 years ago.
Gänsehaut auf meinem Rücken, vermutlich schon allein aufgrund des vorangegangen Abenteuers. Verrückt, welch Umstände man doch für ein einziges Lied auf sich nehmen kann. Verrückt, dass es auch im Jahre 2018 noch Musik gab, die nirgends im digitalen Nirvana aufzufinden war.
Verrückt, was Musik auszurichten vermag. Hugo von Haastert drehte sich weiterhin munter mit 45 Umdrehungen pro Minute auf dem Plattenteller meines Schallplattenspielers. Und ich? War in diesem Moment vielleicht auch ein wenig verrückt – aber glücklich…